Die wichtigsten Fakten Wie der Ölpreis die Welt bewegt

Wie der Ölpreis die Welt bewegt - Endlich verständlich

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Die ersten Menschen, die diesen Stoff nutzten, waren vermutlich vor etwa 12.000 Jahren die Mesopotamier: Sie verwendeten zunächst nur die dickflüssigen Ölanteile, das teerartige Bitumen, zum Abdichten von Booten, aber wohl auch schon zur Beleuchtung.
Im heutigen Aserbaidschan und bei den Ureinwohnern Nordamerikas wurde Erdöl auch als Heilmittel eingesetzt, andernorts zur Mumifizierung oder als Schmiermittel.
Die moderne Erdölförderung begann 1859 in Pennsylvania: Investoren wollten einen Ersatz für das zur Beleuchtung genutzte und immer teurer werdende Walrat finden, einer öligen Flüssigkeit, die aus einem schwammigem Gewebe im Kopf des Pottwals gewonnen wurde. Petroleum sollte die Welt erhellen.
Der pensionierte Eisenbahner Edwin Drake förderte es als Erster. Später stiegen unter anderem der Kaufmann John Rockefeller und die Industriemagnaten Ludvig und Robert Nobel ins Geschäft ein. Amerika und Europa erlebten ihren ersten Ölboom - der jedoch mit der Erfindung der Glühbirne rasch wieder abebbte.
Der zweite Ölboom entstand, als sich Anfang des 20. Jahrhunderts das Auto mit Verbrennungsmotor durchsetzte. 440 Bohrstellen in Texas lieferten 1902 bereits 17,5 Millionen Barrel Öl.
Bald darauf wurde der Rohstoff auch auf anderen Erdteilen gefördert: 1907 wurden Felder auf Sumatra entdeckt, die die Grundlage für die spätere Royal Dutch/Shell-Gruppe bildeten. 1908 wurde Öl in Persien gefunden, kurz danach sicherte sich die britische Regierung die Mehrheit an der Anglo-Persien Oil Company, der späteren BP.
Im Ersten Weltkrieg wurde Öl erstmals zum kriegsentscheidenden Rohstoff. Politiker erkannten sehr bald seine strategische Bedeutung - und Wirtschaftsbosse seine ökonomische: Die Zahl der Autos stieg rapide, 1930 gab es schon gut 30 Millionen Fahrzeuge, drei Viertel davon in den USA. Erste Tankstellen wurden gebaut.
Vor allem Briten und Amerikaner begaben sich nun weltweit auf die Suche nach neuen Vorkommen und entdeckten bald darauf große Ölfelder im Irak, in Venezuela und Mexiko sowie in Kuwait und Saudi-Arabien. Gleichzeitig wurden die Verteilungskämpfe um Ölfelder härter.
So wurde Öl nach und nach zum Treibstoff der Weltwirtschaft - und zum Konfliktherd der großen Politik.
Fast jeder kennt sie - die ikonischen Ölbohrtürme, die den wertvollen Rohstoff aus der Erde pumpen. Nur: Wie funktionieren sie genau?
Da ist zunächst der Bohrturm selbst, der im Grunde einem Kran ähnelt. An dessen Haken hängt der sogenannte Bohrstrang. Dieser besteht aus vielen ineinander geschraubten Rohren, den sogenannten Drillpipes. Jede Drillpipe ist meist rund zehn Meter lang und hat einen Umfang von 30 Zentimetern. Der Bohrstrang selbst kann bei Bedarf mehrere Kilometer lang werden. Am unteren Ende des Strangs sitzt der Bohrmeißel.
Ein Motor im Bohrturm, der sogenannte Top Drive, dreht den Bohrstrang, die Rotation beträgt bis zu 1000 Umdrehungen pro Minute. Je nach Beschaffenheit des Untergrunds hält der Bohrmeißel nur wenige Stunden und muss dann ausgetauscht werden.
Während des Bohrens wird ständig eine wässrige, mit Chemikalien versetzte Flüssigkeit ins Bohrloch gespült, um das Bohrklein, also das beim Bohren zerbrochene Gestein, nach oben zu transportieren - eine sehr energie- und wasserintensive Angelegenheit.
Um zu verhindern, dass es zu einem Blowout, also einem unkontrollierten Austritt von Öl oder Gas kommt, ist die Anlage mit einer Reihe von Sicherheitsventilen, den sogenannten Preventern, ausgestattet, mit denen sich das Bohrloch im Notfall rasch verschließen lassen soll. Ist man auf Öl gestoßen, werden zunächst die Rohre einzementiert (Verrohrung), danach wird das Öl gefördert.

Zu Beginn sprudelt es oft von allein an die Oberfläche (Primärförderung). Danach werden große Mengen Wasser oder Erdgas ins Bohrloch gepresst, um weiteres Rohöl an die Erdoberfläche zu drücken (Sekundärförderung). Schließlich werden noch Heißluft, CO2 oder Chemikalien in den Boden gepresst, um zähe Ölrückstände aufzuweichen und dann abzupumpen (Tertiärförderung). Insgesamt können so 30 bis 70 Prozent des in der Erde lagernden Öls an die Oberfläche gebracht werden.
Immer wichtiger wird die seit den Siebzigerjahren betriebene Offshore-Förderung, also das Anbohren unterseeischer Vorkommen: Mittlerweile kommt fast ein Drittel der Ölproduktion aus den Meeren. Das Prinzip des Bohrens bleibt dasselbe wie an Land, nur dass von schwimmenden oder am Meeresboden verankerten Plattformen aus gebohrt wird. Das lohnt sich oft erst ab einem Ölpreis von mehr als 40 Dollar.
Öl wird heute auf allen Kontinenten und in fast allen Ozeanen gefördert. Besonders große Vorräte gibt es in Nordamerika, Russland und im Nahen Osten. Noch immer werden mehr als die Hälfte aller Ölreserven im Nahen Osten einschließlich des Maghreb vermutet.
Rohöl ist eine Mischung aus Hunderten verschiedenen Kohlenwasserstoffen. Weil diese bei unterschiedlichen Temperaturen kondensieren, kann man sie gut trennen. In den riesigen Destillationstürmen einer Raffinerie passiert genau das. Das Öl wird dort auf bis zu 500 Grad Celsius erhitzt, es verdampft und steigt im Turm empor. Je höher es steigt, desto weiter sinkt die Temperatur.
Im Turm sind in regelmäßigen Abständen sogenannte Glockenböden eingelassen, an denen die verschiedenen Ölprodukte kondensieren: erst Schweröl, dann Heizöl, Diesel, Kerosin und schließlich Benzin. Ganz oben im Turm sammeln sich noch die Gase Methan, Ethan, Propan und Butan, ganz unten am Boden bleibt teerförmiges Bitumen zurück.
Nach der Destillation wird jedes dieser Produkte noch weiterverarbeitet. Benzin wird zum Beispiel entschwefelt und mit sogenannten Alkylaten vermengt, die den Stoff für Motoren bekömmlicher machen. Zudem werden lange Kohlenwasserstoffverbindungen unter großer Hitze zu kürzeren Ketten aufgespalten, diesen Vorgang bezeichnet man auch als cracken.
Der Ölpreis hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. Wichtig sind zunächst Angebot und Nachfrage.
Wird die Produktion hochgefahren, sinkt in der Regel der Preis. Sinkt hingegen das Angebot, zum Beispiel weil es in einem wichtigen Lieferland zu Unruhen kommt oder Produktionsanlagen zerstört werden, steigt der Preis.
Eine steigende Nachfrage, etwa bei einem globalen Konjunkturaufschwung, wirkt ebenfalls preistreibend, während Krisen, wie das Platzen der New-Economy-Blase, die Ölpreise fallen lassen. Ein entscheidender Faktor für die Nachfrage ist die Ölintensität der Wirtschaft - also die für eine Einheit Sozialprodukt nötige Menge Rohöl. Diese hat sich seit Ende der Siebzigerjahre mehr als halbiert.
Ein niedriger Ölpreis belebt oft die Weltwirtschaft - was die Nachfrage nach Öl und damit den Preis mittelfristig wieder steigen lässt (siehe Frage 14).
Am Ölmarkt ist zudem oft eine Art Schweinezyklus zu beobachten: Gehen Produzenten von fallenden oder konstant niedrigen Preisen aus, reduzieren sie ihre Investitionen in die Erschließung neuer Felder. Dadurch sinkt mittelfristig das Angebot, was die Preise dann wieder in die Höhe schnellen lässt.
Großen Einfluss auf den Ölpreis haben auch die sogenannten Terminkontrakte, mit denen Händler Öl kaufen, das erst in ein paar Wochen oder Monaten gefördert wird. Jeden Tag wird über solche Kontrakte weit mehr Öl gehandelt als tatsächlich aus der Erde gepumpt. An der Rohstoffbörse Nymex ist es teils doppelt so viel.
Terminkontrakte sind bei Hedgefonds, Pensionsfonds und manchen deutschen Kleinanlegern beliebt. Denn mit ihnen lässt sich gut Geld verdienen: Wer jetzt billig Öl kauft, kann es bei steigenden Preisen in einigen Wochen teurer verkaufen. Da viele Fondsmanager und deren Computerprogramme sich ähnlich verhalten, entsteht oft ein Herdentrieb - der den Ölpreis stark schwanken lässt.
Und dann ist da noch die Opec, die Organisation erdölexportierender Staaten. Auch sie versucht regelmäßig, den Preis zu beeinflussen (siehe Frage 11).
Im historischen Vergleich ist Rohöl derzeit ausgesprochen günstig zumindest wenn man die Inflation mit einberechnet. Die 8,06 Dollar, die man 1864 für ein Fass Öl zahlen musste, scheinen heute gering, aber in aktuelle Preise umgerechnet wären es rund 125 Dollar. Der Preis war demnach 1864 mehr als doppelt so hoch wie jetzt.
Insgesamt befindet sich der Ölpreis derzeit im historischen Mittelfeld. Im April 1980, zu Zeiten der Revolution in Iran, war der Ölpreis schon einmal auf inflationsbereinigte 114 Dollar emporgeschnellt. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 und dem Platzen der New-Economy-Blase fiel der inflationsbereinigte Brent-Preis hingegen auf bis zu 23 Dollar.
Seinen historischen Tiefstand erreichte der Ölpreis im Jahr 1931 mit inflationsbereinigt rund 10 Dollar. Im Juni 2008 schnellte er mit inflationsbereinigt gut 139 Dollar auf seinen höchsten je gemessenen Monatsdurchschnitt.
Es gibt nicht das eine Öl, sondern Hunderte verschiedene Sorten. Das lybische Zueitina-Öl zum Beispiel. Oder das Forcados-Öl aus Nigeria. Oder das norwegische Ekofisk-Öl.
Die Öle unterscheiden sich unter anderem nach dem Grad ihrer Dichte. Es gibt Schweröle, die im Wasser untergehen, und schwimmende Sorten, sogenannte Leichtöle. Mittelschwere Sorten nennt man Intermediate.
Eine andere wichtige Eigenschaft einer Ölsorte ist ihr Schwefelgehalt: Öle mit einem Schwefelgehalt von mehr als 0,5 Prozent werden sauer genannt; schwefelarme Sorten als süß bezeichnet.
Je süßer und leichter ein Öl ist, desto begehrter und teurer ist es in der Regel. Denn die Verarbeitung zu Benzin, Diesel und anderen Destillaten ist dann leichter und die Ausbeute an wertvollen Endprodukten höher.
Das leichte, süße Brent-Öl lässt sich zum Beispiel zu einem Drittel zu wertvollem Benzin verarbeiten und zu einem Viertel zu Diesel beziehungsweise Heizöl. Bei der Sorte Arabian Heavy hingegen liegt die Benzin-Ausbeute oft bei gerade 16 Prozent. Entsprechend ist es im Handel weniger wert.
Jede Ölsorte hat also ihren eigenen Preis. Wenn in den Nachrichten von dem Ölpreis die Rede ist, dann ist fast immer ein sogenannter Referenzölpreis gemeint. Bei einem solchen handelt es sich meist um einen Kombi-Preis für mehrere Ölsorten, an dem sich Händler besonders oft orientieren.
Die bekanntesten Referenzölpreise sind der Brent, der typische Nordsee-Ölsorten zusammenfasst, und der West Texas Intermediate (WTI), der die in den USA und Mexiko geförderten Ölsorten abbildet.
Der Ölmarkt wurde lange von sieben großen Ölkonzernen, den sogenannten Seven Sisters, dominiert. Zu ihnen gehörten: die drei Firmen der Standard-Oil-Unternehmensgruppe aus New Jersey (heute Exxon), New York (heute ebenfalls Exxon) und Kalifornien (heute Chevron), Gulf Oil (heute vor allem in Chevron aufgegangen), die Anglo-Persian Oil Company (heute BP), Shell und Texaco. Die Seven Sisters besaßen vor der ersten Ölkrise 1973 rund 85 Prozent der weltweiten Reserven.
Heute beherrschen staatliche Ölgesellschaften wie Saudi Aramco oder Petroleos de Venezuela das Geschäft. Die Staatskonzerne kontrollieren mehr als drei Viertel der globalen Reserven. Viele von ihnen sind in der Opec organisiert, der Organisation erdölexportierender Länder (siehe Frage 11).
Die privaten Ölfirmen konzentrieren sich inzwischen auf schwierig und teuer zu erschließende Vorkommen. Auch das sogenannte Downstream-Geschäft, also die Raffinerien und der Vertrieb von Benzin über Tankstellen, ist nach wie vor ihre Domäne.
Die Opec englisch für Organization of the Petroleum Exporting Countries ist ein Zusammenschluss von derzeit 13 erdölexportierenden Ländern, die über mehr als 40 Prozent der globalen Tagesproduktion und mehr als 70 Prozent der nachgewiesenen Ölreserven verfügen. Die Opec wurde 1960 gegründet, ihr Hauptsitz ist Wien.
Mit Saudi-Arabien, Irak, Iran, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Kuwait und Venezuela gehören sechs der zehn weltgrößten Förderländer der Organisation an. Weitere Mitglieder sind Algerien, Angola, Ecuador, Gabun, Katar, Libyen und Nigeria.
Ziel der Vereinigung ist es, den Ölpreis durch Reduzierung oder Ausweitung der Fördermenge innerhalb eines festgelegten Korridors stabil zu halten. Dabei gilt es einerseits, die Einnahmen der Kartellmitglieder hoch zu halten, aber andererseits nicht die Wirtschaft der Konsumentenländer durch einen zu hohen Preis abzuwürgen.
Die Opec tagt dreimal pro Jahr. Jedes Mitgliedsland entsendet ihren für Energiefragen zuständigen Minister. Alle bedeutsamen Beschlüsse müssen einstimmig gefasst werden. Für die Umsetzung der im Ministerrat festgelegten Politik ist der sogenannte Rat der Gouverneure zuständig, in den ebenfalls jedes Land einen Vertreter entsendet. Repräsentant der Opec ist der vom Ministerrat ernannte Generalsekretär.
Ihren Durchbruch schaffte die Opec 1973, als sie nach dem Jom-Kippur-Krieg eine Reduzierung der Fördermengen durchsetzte, die den Ölpreis rasch um 70 Prozent steigen ließ. Die deutsche Regierung führte in der Folge unter anderem autofreie Sonntage ein. Die sogenannte Ölpreiskrise war die Strafe der Opec gegen die westlichen Industrieländer, die Israel im Jom-Kippur-Krieg unterstützt hatten.
Zuletzt war immer öfter von einem Machtverlust des Ölkartells die Rede. Denn erstens geht die Abhängigkeit vom Opec-Öl durch den Fracking-Boom in den USA und den Aufschwung der erneuerbaren Energien zurück. Zweitens halten sich einzelne Opec-Mitglieder oft nicht an vereinbarte Förderquoten. Und drittens kann sich die Opec teils erst nach jahrelangen Diskussionen auf ein gemeinsames Förderziel einigen. Besonders die Interessenkonflikte der Ölmächte Saudi-Arabien und Iran lähmen oft die Entscheidungsstärke der Opec.
Bei jeder Schwankung des Ölpreises werden gewaltige Kapitalströme umgelenkt. Fällt der Preis, dann erleiden Ölproduzenten sowie deren Zulieferer und Kreditgeber dramatische Verluste. Die Ölverbraucher dagegen sparen viel Geld und können dieses an anderer Stelle ausgeben. Steigt der Preis, ist es umgekehrt.
Was für eine gewaltige Umverteilung da im Gange ist, zeigt folgende Rechnung: Lange war ein Ölpreis von 100 Dollar pro Barrel (159 Liter) die Norm. Bei diesem wäre die jährliche Weltölproduktion gut 3,4 Billionen Dollar wert. Bei einem Preis von 60 Dollar sind es nur noch gut zwei Billionen Dollar.
Die Umlenkung der Kapitalströme verändert die Weltwirtschaft an Millionen Stellen gleichzeitig, im Großen wie im Kleinen. Betroffen sind Unternehmen, die ihre Projektpläne ändern müssen. Investoren, die ihre Risikokalkulationen und Anlagestrategien anpassen. Aber auch ganze Märkte, in denen sich Angebot und Nachfrage verändern. So können dem Sektor für Luxusimmobilien plötzlich die reichen Ölscheichs als Kunden fehlen. Und in Nahost werden Infrastrukturprojekte aufgeschoben - was dann bei europäischen Baufirmen zu Ausfällen führt.
Betroffen sind Autobesitzer, deren Fahrverhalten sich an den Benzinpreis anpassen. Konsumenten, die sich, abhängig von den Energiepreisen, mehr oder weniger Dinge leisten können. Aber eben auch Regierungen wie Russland, deren Haushaltsetat stark von der heimischen Ölproduktion abhängt.
Nach Berechnungen des Internationalen Währungsfonds setzt ein sinkender Ölpreis unterm Strich mehr Kapital frei als ein Anstieg. Das liege vor allem daran, dass die Milliarden von den Ölproduzenten zu den Konsumenten wandern. Durchschnittsverdiener, so der IWF, geben von ihrem Geld in der Regel deutlich mehr aus als arabische Ölscheichs oder nigerianische Kleptokraten. Bei einem Preisrückgang von zehn Prozent wachse die Weltwirtschaft entsprechend um 0,2 Prozent stärker.
Der deutsche Tankstellenmarkt wird laut Bundeskartellamt von einem Oligopol aus fünf Unternehmen beherrscht. Deutsche Autofahrer hegen daher schon seit Langem den Verdacht, dass die Benzinpreise höher sind, als sie sein müssten.
Zahlreiche Wissenschaftler haben dieses Phänomen untersucht - und fanden immer wieder dasselbe Muster: Wird Rohöl teurer, erhöhen die Mineralölgesellschaften meist rasch die Preise für Benzin und Diesel; Preisrückgänge am Rohölmarkt dagegen werden teils erst mit erheblicher Zeitverzögerung an Kunden weitergegeben. Die Unternehmen streichen in solchen Phasen dicke Gewinne ein.
*Kosten für Transport, Lagerhaltung, gesetzliche Bevorratung, Verwaltung, Vertrieb, Biokomponenten sowie Konzerngewinn.
Der Rohölpreis ist allerdings nur ein Faktor, der den Benzinpreis beeinflusst. Nach Angaben des Mineralölwirtschaftsverbands machte er im Jahresdurchschnitt 2016 gerade knapp ein Viertel des Tankstellenpreises für die Benzinsorte E10 aus. Andere wichtige Faktoren sind:
Die Raffinerien: Der Anteil Benzin, den sie aus Rohöl gewinnen, lässt sich nicht verändern. Steigt die Nachfrage nach Benzin, während die Nachfrage nach Öl gleichbleibt, wird Benzin knapp. Der Spritpreis steigt dann stärker als der Ölpreis.
Der Euro-Dollar-Kurs: Rohöl wird in Dollar gehandelt, Benzin in Euro. Sinkt der Wert des Euro im Vergleich zum Dollar, wird der Öleinkauf für deutsche Firmen teurer. Das bekommen dann auch die Autofahrer an den Tankstellen zu spüren.
Wenn Benzin also mal wieder teuer ist, dann kann die Profitgier der Tankstellenmultis dafür der Grund sein. Es kann aber auch andere Gründe geben.
Der Ölpreis ist ein wichtiger Faktor für die Inflationsrate. Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamts machen allein die Kosten für Benzin, Schmierstoffe und Heizöl in Deutschland rund fünf Prozent der wichtigsten Lebenshaltungskosten aus.
Insgesamt ist der Effekt für Verbraucher sogar noch viel größer. Denn ein höherer Ölpreis lässt mittelfristig auch viele Waren teurer werden.
So steigen beispielsweise die Treibstoffkosten für Schiffe, Flugzeuge, Lkw und Busse und damit unter anderem die Preise für Reisen oder den Transport von Waren.
Auch die Produktionskosten von Gütern hängen oft vom Ölpreis ab. Der Rohstoff wird unter anderem bei der Herstellung von Kunststoffen, Medikamenten, Kosmetika oder Düngemitteln verwendet.
Die genauen Preiseffekte auf einzelne Waren sind schwer zu bestimmen, schon allein weil die betroffenen Unternehmen die schwankenden Energiekosten nur zum Teil an ihre Kunden weitergeben. Der Energieexperte Steffen Bukold hat es dennoch versucht:
Seinen Berechnungen zufolge hätte ein Kilo Äpfel aus Neuseeland Anfang 2015 rund 23 Cent günstiger sein können, nachdem der Ölpreis von 105 auf rund 55 Dollar pro Barrel gefallen war.
Die Folgen für Kleidung dagegen sind offenbar gering, selbst wenn die Produkte vollständig aus petrochemischen Produkten bestehen: Die Kosten für ein Sporttrikot etwa würden nur um drei Cent fallen, schreibt Bukold.
Die globale Ölindustrie und die globale Politik beeinflussen sich gegenseitig. Einerseits ist der sichere Zugriff auf die Ressource Öl von solch großer strategischer Bedeutung, dass wegen ihm bisweilen Kriege ausbrechen oder bestehende Konflikte eskalieren. Blood for Oil nennen Kritiker dieses Phänomen. Blut gegen Öl.
Paradebeispiel dafür ist die Invasion der USA 2003 im Irak, über die hochrangige Funktionäre später sagten, sie habe vor allem stattgefunden, um Bagdads Allmacht über die gewaltigen Ölreserven zu brechen. Tatsächlich erhielten Konzerne wie Chevron, Exxon, BP und Shell nach dem Krieg weitreichende Förder- und Exportlizenzen im Irak.
Andererseits beeinflussen politische Spannungen in wichtigen Förderregionen immer auch den Ölpreis. In Libyen etwa brach die Produktion 2011 infolge eines Bürgerkriegs deutlich ein, das Angebot auf dem Weltmarkt verknappte sich, und der Ölpreis schnellte auf bis zu 120 Dollar pro Barrel empor. Und nach dem Jom-Kippur-Krieg setzte die Opec den Ölpreis als Waffe gegen Israel und den Westen ein (siehe Frage 11).
Ein sehr niedriger Ölpreis kann ganze Staaten ins Wanken bringen und so letztlich die gesamte Welt instabiler machen. In den Achtzigerjahren etwa beschleunigte ein Absturz der Preise den Niedergang der Sowjetunion, deren Staatshaushalt vom Erdölexport stark abhängig war.
Während der großen Ölpreis-Baisse der Jahre 2014 bis 2016 gerieten Exportländer wie Russland, Algerien, Nigeria, Ecuador oder Venezuela in finanzielle Schieflage. Da sie ihre Bevölkerung mit hohen Sozialausgaben ruhighalten, verschärften sich in vielen dieser Länder die sozialen Unruhen. Experten warnten in der Folge vor neuen Flüchtlingsströmen in Richtung USA und Europa.
Es fällt auf, dass in vielen ölreichen Ländern zum Beispiel in Saudi-Arabien, Iran, Irak, Russland, Venezuela oder Libyen - große politische Instabilität herrscht. Manche Forscher sprechen von einem sogenannten Ressourcenfluch, der es rohstoffreichen Ländern fast unmöglich macht, ihre von der Natur begünstigte Situation für den eigenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufschwung zu nutzen.
Untersuchungen zu diesem Thema haben folgende Zusammenhänge offengelegt: Rohstoffreichtum geht auffällig oft mit autokratischen Strukturen und Korruption einher. Die Einnahmen aus der Erdölförderung dienen dann dem Machterhalt einer kleinen Elite. Und die wird sich hüten, den Reichtum gleichmäßig zu verteilen oder in die Entwicklung einer vielfältigen Wirtschaft oder die Bildung der Einwohner zu stecken.
Große Rohstoffvorkommen locken oft Widersacher aus dem In- oder Ausland an, die die Macht über die Ölquellen an sich reißen wollen. Der ewige Kampf ums Öl heizt dann immer neue gewalttätige Konflikte an. Die bewaffneten Auseinandersetzungen im Kongo sind beispielsweise in hohem Maße durch den Kampf um Rohstoffe zu erklären, ebenso die Konflikte in Nigeria oder zwischen dem Sudan und Südsudan.
Zudem tun sich die Regierungen vieler Länder schwer, mit Ölmilliarden verantwortungsvoll zu wirtschaften. Kaum hatte zum Beispiel Ghana 2010 mit der Ölförderung angefangen, explodierten in Erwartung stetig hoher Einnahmen die Staatsausgaben. Als der Ölpreis einbrach, drohte die Staatspleite.
Es gibt aber auch Beispiele, die zeigen, dass Rohstoffe kein Fluch sein müssen. In Norwegen etwa wurde ein großer Teil der Öl- und Gaseinnahmen in einen Fonds überführt, der mittlerweile der größte Staatsfonds der Welt ist.
Die Sorge, dass die globale Ölförderung ihren Zenit bald überschreitet oder sogar schon überschritten hat, besteht seit Jahrzehnten. Horrorszenarien über eine globale Energie- und Wirtschaftskrise halten sich hartnäckig obwohl zuverlässige Prognosemethoden bis heute fehlen.
Begründer der sogenannten Peak-Oil-Bewegung ist der Geophysiker Marion King Hubbert, der lange für den Mineralölmulti Shell arbeitete. Im Jahr 1974 sagte Hubbert voraus, dass die globale Ölförderung schon 1995 ihren Höhepunkt überschreiten würde. Seine Prognose stellte sich als falsch heraus, doch die Angst vor einem Ende des Ölzeitalters blieb.
2010 gab die Internationale Energieagentur eine Studie heraus, laut der das Fördermaximum von konventionellem Erdöl bereits 2006 eingetreten war. Die US-Bank Goldman Sachs hielt zwei Jahre zuvor gar einen Anstieg des Ölpreises auf 200 Dollar pro Barrel für möglich. Wie zweifelhaft auch diese Prognosen waren, zeigte sich 2016, als das Barrel Öl zeitweise nur noch 30 Dollar kostete.
Aktuellen Statistiken zufolge gibt es auf der Welt derzeit nachgewiesene Reserven von rund 1,7 Billionen Barrel Öl. Geht man vom derzeitigen Verbrauch aus, wäre bis 2040 rein rechnerisch die Hälfte davon konsumiert (siehe Grafik).
Doch auch diese Angaben sind aus zwei Gründen unzuverlässig: Zum einen wissen Forscher nicht, wie viel Öl wirklich noch in der Erde ist. In den wichtigen Ölstaaten in Nahost geben nationale Ölgesellschaften entsprechende Daten heraus; unabhängige Prüfungen sind nicht möglich. Zudem werden noch immer neue Vorkommen entdeckt. Allein in Schiefersteinformationen in den USA könnte noch einmal so viel Öl lagern wie in allen Opec-Staaten zusammen. Ob man es auch fördern kann, und wenn ja, zu welchen Kosten, steht auf einem anderen Blatt.
Zweitens weiß niemand, wie viel von dem Öl, das in der Erde lagert, tatsächlich gefördert werden kann. 1980 konnten Firmen nur rund ein Fünftel des Öls aus einem Bohrloch bekommen; heute sind es bis zu 70 Prozent (siehe auch Frage 4). Dazu lassen sich durch neue Fördermethoden inzwischen auch Ölquellen in kanadischem Sandstein oder Tausende Meter unter dem Meer erschließen (siehe Fotostrecke).
Manch neue Fördermethoden sind derzeit noch unrentabel. Technische Innovationen können ihre Kosten aber rasch drücken. Und spätestens wenn das Öl einmal wirklich knapp und die Preise steigen würden, werden auch teurere Fördermethoden für Investoren an Attraktivität gewinnen.
Der globale Tagesbedarf an Öl wächst jedes Jahr um rund eine Million Barrel. Dieser Trend kann sich nur umkehren, wenn sich alternative Antriebe für Autos, Flugzeuge und Schiffe durchsetzen. Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) werden im Verkehrssektor derzeit rund 56 Prozent des globalen Ölangebots verbraucht.
Die Aussichten für eine weltweite Energiewende im Verkehrssektor sind schlecht. Die IEA erwartet, dass Benzin, Schiffsdiesel und Kerosin auch im Jahr 2040 noch die dominierenden Kraftstoffe sein werden.
150 Millionen Elektromobile dürften dann weltweit auf den Straßen unterwegs sein, schätzt die IEA. Das würde gerade einmal acht Prozent der globalen Fahrzeugflotte und einer Reduzierung von 1,3 Prozent des globalen Ölbedarfs entsprechen. Alternative Kraftstoffe dürften sich bis 2040 nur in wenigen Ländern durchsetzen, schreibt die IEA. Nur wenige Staaten, allen voran Brasilien, haben genug Ackerflächen, um ausreichend Bioethanol zu produzieren.
Im Industriesektor, der rund 18 Prozent der globalen Ölproduktion ausmacht, ließe sich Öl unter anderem durch chemische Verfahren ersetzen, die aus fester Kohle flüssige Kohlenwasserstoffe erzeugen - was allerdings sehr CO2- und energieaufwendig ist. Manche Produkte, beispielsweise Verpackungsfolien, lassen sich zudem direkt aus Biomasse herstellen.
Im Wärmesektor, in dem rund acht Prozent der Weltölproduktion verbraucht werden, hoffen Experten, dass sich Technologien wie Solarthermie und mit regenerativem Strom betriebene Wärmepumpen durchsetzen.
In allen drei Sektoren ließe sich der wachsende globale Ölbedarf zudem durch höhere Energieeffizienz eindämmen.
Die Prognosen der IEA gelten unter Fachleuten eher als konservativ. Es ist gut möglich, dass sich die erneuerbaren Energien durch technologische Fortschritte bis 2040 deutlich besser entwickeln. Klar ist aber auch: Sie müssten sich extrem viel besser entwickeln, als die IEA prognostiziert, damit die Folgen des Klimawandels eingedämmt werden können (siehe Grafik).