Ölpreise: Schock im Dezember?
Den Kapitänen der Öl-Armada und den Kommandanten der Pipeline-Stationen stehen arbeitsame Wochen bevor.
Auf der Reede von Ras ei Tannurah, dem Ölhafen des Königreiches Saudi-Arabien, stauen sich, wie einst im Herbst 1973, Millionen Tonnen Tankschiffraum, als gäbe es eine Musterschau der Hochseeflotten.
Weiter oben im Golf, auf der iranischen Seite, umkreisen Tankerriesen von 300 000 Tonnen und mehr die kleine Insel Charg, wo Schah Resa Pahlewi 1972 den modernsten Ölhafen des Landes eingeweiht hat -- ausgelegt für Schiffe bis 500 000 Tonnen Tragfähigkeit.
In den Zentralen der großen Mineralölgesellschaften steuern Computer einen neuen Großeinsatz der Welt-Tankerflotte, die mit 340 Millionen Tonnen Tragfähigkeit viermal so groß ist wie vor zehn Jahren: Für die knappe Spanne einiger Spätherbstwochen ist die Tankerkrise außer Kraft gesetzt.
Der Westen nämlich hamstert Öl: Was immer bis Silvester 1976 aus den Rohölleitungen in Arabien und Persien, in Afrika, Indonesien und Venezuela abgepumpt wird, ist vermutlich billiger, als es je wieder sein wird.
Um fünfzehn Prozent will Schah Resa Pahlewi den Preis des Rohöls, gemessen an seiner Basissorte Arabian light 34 °, auf der Mitte Dezember tagenden Opec-Konferenz erhöht wissen. Libyens Gaddafi, Nigeria und Algerien möchten gerne noch etwas mehr, Venezuelas Ölminister Valentin Hernándes Acosta peilt 25, der Irak sogar 40 Prozent an.
Fuad W. Itayim, Chefredakteur des renommierten »Middle East Economic Survey«, traut den Opec-Herrschern zu, daß sie ihre Preise gar vom politischen Wohlverhalten der westlichen Länder abhängig machen.
Im Dezember nämlich tagt in Paris noch einmal die sogenannte Konferenz über internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit ("Nord-Süd-Dialog"), bei der es um die Finanzierung eines Weltrohstoff-Fonds durch die Industrieländer geht.
Den Entwicklungsländern zuliebe kündigten die Ölmächtigen ein freilich vage formuliertes Ultimatum an: Wenn der Westen auf die Forderungen der Dritten Welt eingehe, bestehe die Chance, daß der Ölpreis nur um zehn bis fünfzehn Prozent angehoben werde. Sollten die Industrieländer dagegen nicht zu Konzessionen bereit sein, werde die Preisschraube härter angezogen. Entscheidende Ölstaaten, wie Iran, Venezuela und Algerien, haben bereits Programme mit alternativen Preisaufschlägen von 10 bis 20 Prozent durchgespielt. Und selbst Saudi-Arabien, dessen Ölminister Achmed Zaki el-Jamani bislang der Zurückhaltendste unter den Preistreibern war, wird sich den Forderungen der Kartellbrüder diesmal kaum entziehen können. Preiserhöhungen von mehr als
* In Algier am 4. Märt 1975. Ölminister Jamani (r.), Prinz, Fahd vom von Saudi-Arabien.
zehn Prozent, verkündete der Saudi Ende vergangener Woche, werde er allerdings nicht zustimmen.
Opec-Generalsekretär Meshach O. Feyide, ein Nigerianer, mahnte die Eiferer denn auch zur Mäßigung: Schließlich gelte es, mit den westlichen Industriestaaten auf lange Sicht im Geschäft zu bleiben, was voraussetze, daß die Wirtschaft der kapitalistischen Länder nicht durch überzogene Ölpreis-Erhöhungen angeschlagen werde.
Mit einer Stimmungskampagne ohnegleichen gelang es den Opec-Herrschern binnen weniger Wochen, der Öffentlichkeit des Westens eine Preissteigerung von mindestens zehn Prozent als unvermeidlich darzustellen. Ärger, so kalkulieren die Opec-Herren nach dieser gelungenen Aktion, wird es erst oberhalb solcher Grenzen geben.
Auf Erhöhungen zwischen zehn und zwanzig Prozent basieren denn auch schon ganz selbstverständlich sämtliche Kalkulationen, die des Westens Mineralölmultis und Regierungen anstellen. Bundeskanzler Schmidt gestattete sich gar den Hinweis, die USA und die Bundesrepublik würden auch mit fünfzehn Prozent Aufschlag noch fertig.
Vergebens und reichlich spät rechneten westliche Institutionen dem Schah und den Scheichs die Haltlosigkeit ihrer Preis-Argumente vor. Eisern nämlich hatte Resa Pahlewi, hatten auch die Potentaten der anderen Öl-Länder am Golf behauptet, die Inflation der westlichen Industrieländer habe deren nach Nahost gelieferten Industrieprodukte um bis zu 40 Prozent verteuert. Deshalb sei es nur recht und billig, den Ölpreis um fünfzehn Prozent heraufzusetzen.
Bei ihren statistischen Kunststücken hatten die Öl-Kartellisten aber vor schwiegen, daß mit der Inflation iii einigen Industrieländern auch deren Währungen abrutschten -- jedenfalls gegenüber dem US-Dollar, mit dem die Opec-Geschäftsleute sich ihr Öl bezahlen lassen.
Dieses eingerechnet, schrumpft der Preisauftrieb, den die Opec-Länder in Form verteuerter westlicher Ware seit Herbst 1975 hinnehmen mußten, nach Meinung von John Lichtblau, Chef der US-Petroleum Industry Research Foundation, auf 2,7 Prozent.
Die Inflation in Persien und anderen Opec-Ländern mithin ist zumindest teilweise hausgebacken und nicht etwa voll importiert. Sie ist eine Folge ehrgeiziger Entwicklungsprojekte, die durch Öldollars finanziert sind und die Konjunktur im Lande unkontrolliert angeheizt haben.
Der Schah und die bevölkerungsreichen Opec-Länder Algerien, Indonesien und Venezuela brauchen den Preisaufschlag dringend: 1974 legten sie so ehrgeizige Projekte auf, daß ihre Öleinnahmen auf Jahre verplant wurden. Und als 1975 die Weltrezession den Ölbedarf der Industriestaaten drosselte. taten sich in etlichen der ölreichen Länder Milliarden-Kassendefizite auf.
Selbst 1976, als die westlichen Industrieländer sich wirtschaftlich erholten und die 1975 scharf zurückgegangene Ölnachfrage wieder anstieg, machte Venezuela noch ein Milliardendefizit.
Die Saudi-Araber dagegen nehmen ein Mehrfaches von dem ein, was sie in ihr Wüstenland investieren können. Von den für 1976 auf 50 Milliarden Dollar veranschlagten Überschüssen im Ölgeschäft kassieren sie allein über die Hälfte. Nur ein Viertel seiner Öleinnahmen nämlich gibt Saudi-König Chalid für Importe wieder aus. Der größere Teil der Überschüsse bleibt in westlichen Banken, vor allem im US-Finanzzentrum Manhattan.
Fünfzehn Prozent der Opec-Ölüberschüsse legt das Scheichtum Kuweit, über einen Anteil an der Daimler-Benz AG stramm mit dem Westen verbunden, auf seine Rechnung fest, 14 weitere Prozent stapeln die Emirate -- ebenfalls auf westlichen Banken.
Von den für Importe ausgegebenen 54 Öl-Milliarden des vergangenen Jahres kassierten umgekehrt die OECD-Staaten vier Fünftel für Lieferungen und Leistungen. Allein der Iran, zweitgrößter Ölproduzent der Opec, importierte 1974/75 für 16,8 Milliarden Mark -- und mußte dennoch Milliardenkredite aufnehmen.
Je enger sich die großen Ölproduzenten mit den westlichen Industrieländern verfilzten, desto mehr schielen sie auf Konjunktur und Währungsstabilität in den kapitalistischen Gesellschaften. Längst sind politische Hasardeure, die es auf eine Lektion für den Westen abgesehen hatten, von der Nahost-Szene abgetreten. Längst herrscht stillschweigende Übereinkunft darüber, daß der Ölpreis stabil bleiben soll -- gemessen an der Kaufkraft des Geldes.
Schah Resa schlägt vor, mit jedem einzelnen Industrieland auf der Basis eines Indexpreises (siehe SPIEGEL-Gespräch, Seite 140) abzurechnen. Saudi-Ölminister Jamani bevorzugt eine weltweite und langfristige Orientierung des Ölpreises an der Geldwertentwicklung im Westen.
Zwischen Schah und Jamani wird denn auch die Vorentscheidung über den künftigen Ölpreis fallen. Der Saudi hat dabei die Vorhand. > Die Ölreserven des Iran reichen nur noch 20 bis 30 Jahre: Saudi-Arabiens Wüste birgt noch für ein Jahrhundert Rohöl. > Schah Resa hat seine Öleinnahmen voll verplant -- Scheich Jamani kann seine Öleinkünfte uni zwei Drittel reduzieren, ohne in cm Haushaltsdefizit zu rutschen. Er kann andererseits seine Ölproduktion, die jetzt wieder auf der Höhe des Rekordjahres 1974 angelangt ist, um ein weiteres Drittel steigern, ohne einen Cent zu investieren. Er allein kann im Jahr mit einer Ölmenge von fast 400 Millionen Tonnen (Welt-Ölverbrauch 1975: 2,7
Milliarden Tonnen) manipulieren und damit jeden Marktpreis durchsetzen.
»Im Ölpreis-Poker«, weiß Hans-Otto Thierbach, im Auslandsgeschäft versiertes Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, »besitzen die Saudis immer noch die Schlüsselrolle und werden voraussichtlich die Preisvorschläge des Iran unterlaufen.« Auch Walter Levy, ein renommierter Ölexperte des Westens, sagt, die Saudis »bestimmen heute den Weltpreis für Öl und Energie«.
Die Saudis aber -- das hoffen zumindest westliche Ölexperten -- werden den Schah und andere Ölfürsten vor allzu forscher Preistreiberei bewahren. Denn wie kein anderes Land ist das Königreich am Golf den Amerikanern verbunden. Ein Teheraner Regierungsbeamter: »Das ist doch kein unabhängiges Land, die machen am Ende immer das, was ihre Freunde in Übersee wollen.«