Angst vor Gasembargo Papierindustrie fürchtet »flächendeckenden Produktionsstopp«

Erst erlebte die Papierindustrie in der Pandemie neue Produktionsrekorde, jetzt bangt sie um ihren Fortbestand: Ein Gasembargo könne die Branche nicht verkraften, warnen Papierhersteller.
Bald Mangelware? Eine Rolle Wellpappe auf dem Gelände des Papierherstellers Schoellershammer (Archivfoto)

Bald Mangelware? Eine Rolle Wellpappe auf dem Gelände des Papierherstellers Schoellershammer (Archivfoto)

Foto: Oliver Berg / dpa

Die Begleiterscheinungen des Ukrainekriegs drohen auch die deutsche Papierindustrie lahmzulegen. Insbesondere einen Lieferstopp für russisches Erdgas könnten die Unternehmen der Branche derzeit nicht verkraften, sagte Alexander von Reibnitz, Hauptgeschäftsführer des Branchenverbands Die Papierindustrie: »Ein Gasembargo würde für die Papierindustrie praktisch einen flächendeckenden Produktionsstopp bedeuten.«

Wie in anderen Branchen käme es demnach auch hier zu Dominoeffekten: In der Folge wären etwa Lebensmittel- und Medikamentenverpackungen betroffen, auch Hygienepapiere für Medizin, Pflege und Zuhause, Spezialpapiere wie Filter und Messstreifen sowie Druckpapier für Zeitungen, Zeitschriften, Kataloge oder Prospekte.

Schon jetzt ringen die Firmen der Papierindustrie mit den hohen Rohstoffkosten. »Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges in der Ukraine verschärfen jetzt den seit Monaten herrschenden, immer extremeren Preisdruck auf unsere Branche noch einmal drastisch«, sagte der Vorsitzende des Verbands der Wellpappenindustrie, Steffen Würth.

Erdgas sei mit einem Anteil von 55 Prozent der wichtigste Brennstoff der Branche, sagte Reibnitz. Nur 15 Prozent der jährlich benötigen 26 Terrawattstunden Erdgas könnten bis zum nächsten Winter durch andere Energieträger ersetzt werden.

Weil durch den Onlinehandel immer mehr Kartons verschickt werden und der Handel mehr Plastikverpackungen durch Papier ersetzt, war der Papierbedarf in Deutschland zuletzt gestiegen. Fabriken erhöhten ihre Kapazitäten, 2021 wurden mehr als 23 Millionen Tonnen produziert.

Auch Altpapier-Recycling ist auf Erdgas angewiesen

Der Altpapierimport erreichte einen Rekordwert; kein Land führt mehr Altpapier ein als Deutschland. In Europa wird nach Branchenangaben jede dritte Tonne Altpapier in Deutschland recycelt. Ohne Erdgas könnten 50.000 Tonnen Altpapier pro Tag nicht verarbeitet werden.

Deutschland hat nach Angaben des Wirtschaftsministeriums nach China, den USA und Japan die viertgrößte Papierindustrie weltweit. Knapp die Hälfte der Produktion an Papier, Pappe und Karton geht in den Export.

Einen wachsenden Bedarf an Papier führt auch der Verband der Wellpappenindustrie an. »Die Nachfrage nach Wellpappenverpackungen war 2021 außergewöhnlich hoch«, sagte Verbandsvorsitzender Würth bei der Jahresbilanz für das vergangene Jahr. Massiv steigende Papier- und Energiekosten hätten die Gesamtbilanz jedoch geschmälert.

Die Preise für Wellpappenrohpapier seien von September 2020 bis Dezember 2021 um 66 Prozent, die Gaspreise dem Statistischen Bundesamt zufolge von August 2020 bis vergangenen Dezember um 330 Prozent gestiegen. Diese massiv gestiegenen Rohstoff- und Gaspreise hätten laut Würth nicht kompensiert werden können.

Die Erlöse der Mitgliedsfirmen stiegen Würth zufolge im vergangenen Jahr um 4,5 Cent auf durchschnittlich 57,7 Cent pro Quadratmeter. Der Absatz habe um 6,9 Prozent zugenommen. Insgesamt seien 8,6 Milliarden Quadratmeter Wellpappe abgesetzt worden, 557 Millionen mehr als im Vorjahr. Die Steigerung sei unter anderem auf eine gestiegene Nachfrage von Gebrauchsgütern wie Haushaltsgeräten und einen anhaltenden Boom des Onlinehandels in der Pandemie zurückzuführen.

ktz/dpa
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