Vatikan angeblich in Finanznöten O Du klamme Heiligkeit

Sinkende Einnahmen, wachsende Ausgaben, veruntreute oder verschwendete Millionen: Steht der Vatikan kurz vor der Pleite? Das legt ein neues Buch nahe. Papstanhänger wittern dagegen eine Verschwörung.
Foto: Spencer Platt/Getty Images

Geld verdirbt den Charakter, sagt ein Sprichwort. Das gilt womöglich auch im Vatikan, der Zentrale der römisch-katholischen Welt. Die Verbindung nach ganz oben hilft bei pekuniären Dingen offenbar nicht viel. Vielleicht kann man dort aber auch nicht besser mit Geld umgehen als unten in Rom.

Da sieht es jedenfalls gar nicht gut aus, wenn das stimmt, was der Enthüllungsjournalist und Vatikanexperte Gianluigi Nuzzi diese Woche in seinem Buch "Giudizio universale" (Das jüngste Gericht) präsentierte. 3000 bisher nicht veröffentlichte Dokumente über die Wirtschaftslage im Reich von Papst Franziskus hat er ausgewertet. Ergebnis: Der Vatikan gibt mehr aus, als er einnimmt.

2018 hat der Kirchenstaat erstmals in seiner Geschichte ein Minus bilanziert, wenn auch nur ein kleines. In diesem Jahr werde es um 200 Prozent gewachsen sein, so Nuzzi, auf dann 26,6 Millionen Euro. In vier Jahren könnte der Vatikan bankrott sein.

Anzeige

Giudizio universale: La battaglia finale di papa Francesco per salvare la Chiesa dal fallimento (Italian Edition)

Für 9,99 € kaufen

Preisabfragezeitpunkt

01.06.2023 14.05 Uhr

Keine Gewähr

Produktbesprechungen erfolgen rein redaktionell und unabhängig. Über die sogenannten Affiliate-Links oben erhalten wir beim Kauf in der Regel eine Provision vom Händler. Mehr Informationen dazu hier

Nuzzi, der mit der Veröffentlichung zahlreicher vertraulicher Dokumente 2011 den so genannten "Vatileaks-Skandal" auslöste und schon vier investigative Bücher über den Vatikan geschrieben hat, berichtet nun im fünften Werk über dessen desaströse Finanzlage und deren Ursachen. So werde das riesige Immobilienvermögen - mehr als 4000 Objekte mit einem Wert von 2,7 Milliarden Euro -, schlecht genutzt. 800 Immobilien stünden leer, vom Rest würden große Teile gratis oder weit unter Marktwert vermietet.

Betrug, Korruption, Unterschlagung und Geldwäsche

Das Spendenaufkommen schrumpfe dagegen drastisch. Etwa der sogenannte "Peterspfennig", den die katholischen Gläubigen alljährlich direkt dem Papst zukommen lassen, für wohltätige Taten vor allem, aber auch für die Finanzierung der Kurie in Rom. Spendeten die Schäfchen ihren Hirten in Rom 2006 noch 101 Millionen Euro, sei es inzwischen nur noch die Hälfte. Und davon würden, laut Nuzzi, nur 10 bis 15 Prozent tatsächlich für Hilfsprojekte ausgegeben.

Wie der Rest zum Teil verbraten wird, zeigt ein Ermittlungsfall, den die Kirche jetzt selbst öffentlich machte. Auf Anzeige der Vatikanbank und des Antikorruptionsbeauftragten werden fünf Mitarbeitern der Kurie Betrug, Korruption, Unterschlagung, Geldwäsche und Amtsmissbrauch vorgeworfen. Das berichtete jüngst das italienische Nachrichtenmagazin "L'Espresso" und präsentierte auszugsweise Dokumente der vatikanischen Staatsanwaltschaft. Demnach seien von den Beschuldigten in den vergangenen Jahren etwa 650 Millionen Euro - unter anderem aus den" Peterspfennig"-Spenden - zweckentfremdet worden. Für Immobilienspekulationen in London zum Beispiel oder die Finanzierung einer Ölplattform vor der Küste Angolas.

Maßgeschneiderte Kleidung und fürstliche Behausungen

Papst Franziskus auf dem Petersplatz (Archivbild)

Papst Franziskus auf dem Petersplatz (Archivbild)

Foto: Evandro Inetti/ZUMA Wire/dpa

Es ist eigentlich nicht vorstellbar, aber viele Veröffentlichungen der jüngeren Zeit belegen, wenn sie auch nur im Kern stimmen, dass im Kirchenstaat verheerende Zustände herrschen. So habe der Vatikan

  • "Hunderttausende Euro für Businessclass-Flüge, maßgeschneiderte Kleidung, wertvolles Mobiliar und 4600 Euro für den Unterschrank eines Waschbeckens" ausgegeben. (Quelle: Emiliano Fittipaldi, italienischer Journalist und Co-Autor von Nuzzi-Büchern);

  • viel Geld für "Luxuswohnungen im Herzen der Ewigen Stadt" bezahlt; "Kurienkardinäle wohnen in geradezu fürstlichen Behausungen mit 400, 500, manchmal 600 Quadratmeter Nutzfläche. Und zwar allein, bestenfalls mit zwei oder drei Missionsschwestern, bevorzugt aus Entwicklungsländern, die ihnen den Haushalt führen, für sie kochen, putzen oder als Hilfspersonal fungieren." Die Kardinäle wohnten umsonst, zahlten weder Miete noch Nebenkosten.

  • Der frühere Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone habe 200.000 Euro von der Stiftung der vatikanischen Kinderklinik "Bambino Gesu" für die Renovierung seiner Wohnung erhalten; gerichtlich bestätigt, der Klinikdirektor wurde deshalb verurteilt.

  • Außerdem habe es "fragwürdige Einnahmen bei Selig- und Heiligsprechungen" gegeben.

Und so geht es ziemlich lange weiter.

Betteln, beten oder den Petersdom verkaufen?

Aber es spielt wohl, neben den Motiven der Habgierigen und der Skandale im Vatikan, auch die Politik eine Rolle. Die konservative Front im katholischen Fürstentum hat sich mit dem Drittwelt-Papst Franziskus bis heute nicht anfreunden können. Mal wäscht der katholische Pontifex Maximus Füße von muslimischen Frauen, mal sitzt er bei Obdachlosen. Und überhaupt redet er nur von den Armen und nicht von den Reichen. Allenfalls, um denen vorzuwerfen, dass sie nicht arm sind.

Deshalb sind sich Franziskus-Freunde wie Kardinal Óscar Rodríguez Maradiaga auch sicher: Hinter den Enthüllungen steckt der noch immer mächtige erzkonservative Block. Der nutze jede Gelegenheit, Franziskus zu schaden, weil er dessen ökologischen und sozialen Kurs verabscheut. Ein Teil der US-Kirche wisse ja "nicht einmal, was das ist, nachhaltige Entwicklung und soziale Gerechtigkeit", die Franziskus einfordert. Die US-Kirchenfürsten seien mehr "an Großspendern und der Politik der Öl- und Kohlekonzerne interessiert", so Maradiaga im Interview mit der römischen Zeitung "La Repubblica".

Deshalb seien die jüngsten Enthüllungen auch genau zur Amazonassynode in Rom - bei der es um die politischen und wirtschaftlichen Probleme der indigenen Bevölkerung im Amazonasbecken, aber auch mögliche Ämter für Frauen und über die Weihe verheirateter Männer ging - lanciert worden.

Diese Enthüllungen sollen Franziskus "destabilisieren", sagte Maradiaga, der wie der Papst aus Südamerika stammende Chef der Kommission, zur Reform der Kurie.

Nur, auch wenn er recht hat, ändert das an der verheerenden Finanzlage des Vatikans ja trotzdem nichts. Und überzeugende Vorschläge, was da zu tun wäre, sind bislang nicht bekannt. Bleibt am Ende womöglich nur: betteln, beten oder den Petersdom verkaufen.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten