Patentrecht in der Krise Lieber in den Panzerschrank
Hamburg - Marc Wiesner hat eine ziemlich klare Meinung, was den Patentschutz in China anbelangt: "Die aktuellen und geplanten Regelungen in China zielen klar darauf ab, ausländisches Know-how abzuschöpfen", sagt der Jurist vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagebau (VDMA). Dabei ist das Patentrecht in China, das seit gut 30 Jahren auch mit Hilfe der EU entwickelt wird, inzwischen durchaus streng.
In der Praxis sei es aber schwierig, den Schutz für eine Erfindung tatsächlich einzufordern - Rechtsverfahren seien langwierig, die Strafen oft niedrig, chinesische Firmen würden von der Gerichten oft besser behandelt. Deshalb bewirkten Patentschriften in China oft das Gegenteil ihres eigentlichen Zwecks, sagt Wiesner: Sie dienten chinesischen Konkurrenten als Bauanleitungen zum Abkupfern. Weil die geschützte Technologie darin auch bis aufs Detail beschrieben wird.
In der Folge wählen immer mehr deutsche Maschinenbauer statt des Patentstempels den Panzerschrank, horten ihre Erkenntnisse in Blackboxen oder hinter zigfach verschlüsselten Firewalls. "Wir melden nur noch ganz wenige Patente an", sagte etwa der Chef des weltgrößten Stahlwerksbauers SMS Group, Heinrich Weiss, der "Financial Times Deutschland".
So handeln viele Firmen der Branche. In einer Umfrage des VDMA von 2005 gaben 37 Prozent der 226 befragten Maschinenbauunternehmen an, durch die Offenlegung von Wissen in Patentschriften sei keine Geheimhaltung möglich. Wiesner sagt, die Situation habe sich seit der Umfrage - der letzten dieser Art - kaum verbessert.
Jürgen Schade, Präsident des Deutschen Patent- und Markenamts (DPMA), bezeichnet diese Entwicklung als "gefährlich". "Eine solche Geheimhaltetaktik entwertet den Patentschutz", sagt er SPIEGEL ONLINE. Das Geheimhalten von Informationen sei "ein Rückzug in die Steinzeit" - Patente dienten schließlich auch dazu, dass ein und dieselbe Erfindung nicht zigmal gemacht werden müsse.
Es sei außerdem naiv, zu glauben, dass Schweigen ein besserer Schutz sei. "Wer ein Produkt fälschen will, muss sich doch nur das Original kaufen, es Schraube für Schraube auseinander nehmen und dann nachbauen", sagt Schade. Das Know-how dafür besäßen chinesische Firmen inzwischen. "Und ist erst die Kopie auf dem Markt, hat das betroffene Unternehmen rechtlich nichts in der Hand."
Im schlimmsten Fall landen ausländische Investoren sogar selbst in der Patent-Falle. Laut Schade durchforsten viele chinesische Unternehmen akribisch die Patentlisten, lassen alles schützen, was noch frei zugänglich ist - und verklagen bisweilen die ursprünglichen Erfinder. Letztes Beispiel: der französische Elektronik-Hersteller Schneider, den ein chinesisches Gericht dafür verurteilte, dass er in China Mini-Sicherungen verkaufte. Zwar stellte Schneider diese seit Anfang der neunziger Jahre her; in China aber hält die inländische Firma Chint seit 1999 das Patent auf die Technologie.
Staatsgängelei auf dem Patentamt
Doch sind es nicht nur Sicherheitsbedenken, die Unternehmen dazu veranlassen, auf Patente in China zu verzichten: Laut VDMA-Umfrage ist 54 Prozent der Firmen die Anmeldung eines Patents auch zu teuer. 45 Prozent sind der Meinung, Patentverletzungen seien zu schwer nachzuweisen.
Allerdings sehen nicht alle Chinakenner die Lage so negativ. Nach Meinung des Patentamts DPMA ist China auf einem besseren Weg als gemeinhin angenommen. "Strukturell und administrativ hat sich der Ideenschutz in den letzten 30 Jahren gut entwickelt", sagt Schade. Man dürfe nicht vergessen, dass Länder wie Deutschland bereits seit 130 Jahren Patentschutz betreiben - und schon wegen des Zeitvorsprungs viel weiter seien.
Zudem produziere China zusehends selbst Hightech-Produkte - das Eigeninteresse, diese zu schützen, werde dadurch immer stärker. "Und das", sagt Schade, "wird den Markt mit Verlaub wesentlich schneller disziplinieren als alle gut gemeinten Empfehlungen westlicher Patentbehörden."