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WESTLB Peinliche Liste

Deutschlands größte Landesbank kommt nicht zur Ruhe: Finanzaufseher ermitteln, Anteilseigner sind empört, das nordrhein-westfälische Parlament bestellt den Vorstandschef zum Rapport. Jetzt rächen sich Großprojekte, die der Bank Millionen-Verluste bescherten.
aus DER SPIEGEL 25/2003

Über tausend Banker drängten sich am vergangenen Dienstag in der Guildhall, seit 600 Jahren Sitz der Regierung der City of London. Sie waren in den Prunksaal gekommen, um eine Preisverleihung zu bejubeln, die als eine Art Oscar der Finanzbranche gilt. Nur einmal ging durch die Reihen ein Raunen. Es war der Moment, als klar wurde, dass Robin Saunders fehlte.

Die fesche Finanzfrau von der WestLB sollte den Hauptpreis von Thomson Financial an die besten europäischen Wertpapierhändler verleihen. »Leider ist sie gerade auf der Yacht von Philip Green und kann nicht da sein«, entschuldigte Grant Gazdig von der WestLB die Kollegin.

Doch Saunders war nicht auf dem Schiff des britischen Milliardärs, sondern kämpfte in Düsseldorf um ihren Job. Es sieht nicht gut für sie aus. WestLB-Vorstand Johannes Ringel stornierte am Dienstag ihr jüngstes Projekt, den Kauf eines britischen Wasserwerks für eine Milliarde Pfund (1,4 Milliarden Euro). Nur die Angst vor einem Arbeitsgerichtsprozess hält Vorstandschef Jürgen Sengera noch davon ab, seine berühmteste Mitarbeiterin vor die Tür zu setzen.

Längst bangt nicht nur Saunders, sondern auch ihr ehemaliger Förderer Sengera um den Job. Seit die WestLB im April wegen eines fehlgeschlagenen Deals ihrer Londoner Starbankerin den Verlust für 2002 um rund 400 Millionen Euro auf 1,7 Milliarden hochschreiben musste, ist in Düsseldorf Feuer unter dem Dach.

Die WestLB, einst Vorbild aller Landesbanken, bangt um ihr Geschäftsmodell. Plötzlich fragen sich ihre öffentlich-rechtlichen Anteilseigner (siehe Grafik), was die Regionalbank in den vergangenen Jahren so trieb.

Wieso musste sich die WestLB an Skandalunternehmen wie Enron oder Worldcom in den USA beteiligen? Weshalb musste sie eine Erdöl-Pipeline in Ecuador finanzieren? Warum wird mit Geld aus Düsseldorf gerade der Neubau des Londoner Wembley-Stadions bezahlt?

In einer vertraulichen Sitzung des NRW-Haushaltsausschusses musste sich Sengera am vergangenen Donnerstag zwei Stunden lang den bohrenden Fragen der Parlamentarier stellen. Wie konnte ein so enor-

mes Minus überhaupt entstehen? Muss das Land für die Verluste der WestLB haften? Hat die Bank ihre luftigen Auslandsgeschäfte überhaupt noch im Griff?

Auch das Bundesaufsichtsamt BAFin und dessen Chef Jochen Sanio wittern Risiken. Vor knapp zwei Wochen erfuhr das Finanzministerium in Berlin aus der Bonner Behörde bedrohlich klingende Details in Sachen WestLB. Einige Geschäfte rund um die Investmentbankerin Saunders in London, so das BAFin, seien aus Sicht der Finanzexperten merkwürdig und bedürften einer eingehenden Prüfung.

Schon tags darauf wurde spekuliert, SPD-Ministerpräsident Peer Steinbrück sei bereits auf der Suche nach einem Nachfolger für WestLB-Chef Sengera. Ob Steinbrück tatsächlich sucht oder entsprechende Meldungen nur lanciert wurden, um den Ministerpräsidenten politisch abzusichern, falls bei der WestLB tatsächlich unseriöse Praktiken festgestellt werden, bleibt offen - dass Sengera seither um seinen Verbleib in der größten Landesbank zittern muss, ist dagegen Fakt.

Da half es auch nichts, dass Steinbrück dem Banker auf seine telefonische Nachfrage nur einen Tag später versicherte, dass an all den Gerüchten nichts dran sei. Sengera, der früher mal als Torwart der Handball-Nationalmannschaft spielte, fliegen von allen Seiten die Bälle um die Ohren.

»Da lauern unglaubliche Risiken«, sagt etwa der Kölner Kämmerer Peter-Michael Soénius. Über die Landschaftsverbände sind die ohnehin klammen Kommunen an der WestLB beteiligt. Auch die Sparkassen, die seit der Umorganisation der WestLB um ihren Einfluss bangen, werden nicht müde, Risiken wie beispielsweise das millionenschwere WestLB-Engagement in der Formel 1 in den giftigsten Farben zu malen. Als nationale Bank im internationalen Geschäft gegen Finanz-Giganten antreten zu wollen sei schlicht vermessen.

Sengera lässt solche Vorwürfe nicht gelten. »Die enormen Wertberichtigungen«, verteidigte er sich vergangene Woche im NRW-Haushaltsausschuss, seien in einem Ausnahmejahr angefallen, »von dem die gesamte Branche und nicht nur die WestLB betroffen wurde«. Zwar müsse die für den maroden NRW-Haushalt wichtige Dividendenzahlung dieses Jahr noch ausfallen. Aber die Bank sei schon wieder auf Kurs, versicherte er den Parlamentariern.

Ob solche Ankündigungen ausreichen, die aufgeheizte Stimmung nachhaltig zu beruhigen? »Sollte der Prüfungsbericht der BAFin sehr negativ für die Bank ausfallen«, prophezeit ein hochrangiges Mitglied des Düsseldorfer Haushaltsausschusses, »könnte Sengera wieder in die Schusslinie geraten.«

Immerhin: Gleich drei Mal wurde das Aufsichtsamt allein in diesem Frühjahr in Sachen WestLB vorstellig.

Zunächst musste die Düsseldorfer Landesbank ihre 15 größten Wertberichtigungsfälle dem Amt melden. Eine peinliche Liste: Ob bei Enron, Worldcom oder bei dem betrügerischen Metallhändler RBG Resources - wo immer es einen größeren Wirtschaftsskandal gab, war die WestLB mit dreistelligen Millionenbeträgen dabei.

Als die Bilanz eigentlich schon verabschiedet war, meldete die Bank im April dem Bonner Amt einen zusätzlichen Abschreibungsbedarf von 430 Millionen Euro. Am 11. April hatte Saunders in Düsseldorf eine erhebliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation bei einem ihrer Engagements, dem Leasingunternehmen Boxclever, gestanden. Elf Tage vorher, bei der routinemäßigen Meldung zum Quartalsende, hatte die Leiterin des Geschäftsbereichs »noch null Komma null Risikovorsorge angemeldet«, sagt ein Insider.

Seitdem prüft die BAFin, ob die internen Kontrollen der Bank in London funktioniert haben. Saunders, die laut WestLB-Insidern allein im Jahr 2001 mit ihrem Team 182 Millionen Euro für die Bank verdiente, konnte sich einiges herausnehmen.

Besonders pikant lief es beim Kauf des schottischen Whiskyproduzenten Kyndal ab. Saunders und fünf Mitarbeitern wurde gestattet, Anteile zum Vorzugspreis von einem Pence zu kaufen. So kam es, dass die sechs Banker für einen Einsatz von wenigen hundert Pfund zehn Prozent an den fünf Whiskydestillerien erhielten.

Auch die WestLB konnte sich zum Vorzugspreis mit insgesamt 30 Prozent beteiligen. Allerdings hat sie dafür auch noch ein Gesamtrisiko von insgesamt 202 Millionen Pfund in den Büchern, geht aus internen Prüfungen hervor.

Insgesamt viermal konnte sich Saunders auch privat an den von ihr betreuten Unternehmen beteiligen. Milliardär Green bedankte sich mit einem kleinen Aktienpaket, nachdem Saunders ihm die Übernahme der Einzelhandelskette Bhs finanziert hatte. Im vergangenen Jahr kassierte die Bankerin dafür eine Sonderdividende von 1,75 Millionen Pfund.

Die BAFin sieht darin einen potenziellen Interessenkonflikt und wurde bei der WestLB ein drittes Mal vorstellig. »Wir müssen prüfen, ob das noch mit den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Geschäftsführung zu vereinbaren ist. Ich habe da meine Zweifel«, konstatierte ein Experte der Anstalt.

Das sei zumindest verwunderlich, beschwerte sich WestLB-Chef Sengera im Landtag bei den Parlamentariern. Die Behörde habe von der WestLB bisher noch gar keine Unterlagen erhalten. Die würden erst am 18. Juni zusammen mit einem ausführlichen Bericht vorgelegt. Es sei sichergestellt, dass Saunders ihre günstig erworbenen Anteile erst verkaufen könne, wenn die Bank ihre Kredite zurückerhalten hat. »Da gibt es keine Interessenkonflikte«, versicherte er.

Für das Land, für Sengera, aber auch für Ministerpräsident Steinbrück sind die neuerlichen Skandale rund um die WestLB ein herber Rückschlag. Denn eigentlich sollte reiner Tisch gemacht werden, als Steinbrück vor eineinhalb Jahren den langjährigen Chef der WestLB, Friedel Neuber, in den Ruhestand schickte.

Mit Sengera, jubelte Steinbrück damals, setze man ein eindeutiges Zeichen. Die Ära Neuber sei vorbei - und mit ihr die Zeit der Skandale rund um das Geldhaus.

20 Jahre hatte Neuber so gut wie uneingeschränkt geherrscht. Er jonglierte mit milliardenschweren Finanz- und Industriebeteiligungen, etwa am Tourismuskonzern TUI oder am Anlagenbauer Babcock. Er kontrollierte Aufsichtsräte der wichtigsten NRW-Konzerne und schuf ein engmaschiges Geflecht von Abhängigkeiten zwischen Bank, Politik und Industrie. Karrieren konnte der »rote Pate«, wie sie ihn am Rhein erfürchtig nannten, nach Belieben befördern oder beenden.

Das System Neuber funktionierte so perfekt, dass der Banker erste kleinere Skandale - wie zum Beispiel eine Razzia wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung im Jahr 1996 - ohne Blessuren überstand. Erst als im Zuge der Flugaffäre 1999 immer mehr pikante Details ans Tageslicht kamen, von der Einrichtung eines Sparclubs für hochrangige Politiker bis hin zu Freiflügen mit VIP-Service, nahm die NRW-Regierung Abstand von ihrem einstigen Vorzeigebanker.

Und weil die EU-Wettbewerbskommission zur gleichen Zeit immer lauter darauf drängte, die wettbewerbsverzerrenden Refinanzierungsmöglichkeiten der Landesbank zu beseitigen, entschloss sich die Düsseldorfer Regierung zu einer radikalen Reform. Das Geldhaus wurde geteilt: einerseits in eine Landesbank, die auch weiterhin wichtige Förderaufgaben in NRW übernehmen soll. Daneben wurde als 100-prozentige Tochter die WestLB AG mit Sengera an der Spitze geschaffen, die als reine Privatbank wie jedes andere Kreditinstitut Geschäfte machen und nicht mehr von den günstigen Refinanzierungsmöglichkeiten des Landes profitieren sollte.

Doch angesichts des dramatischen Verlusts der WestLB schwant den Politikern, dass NRW nach wie vor für alle Unfälle ihrer Staatsbank geradestehen muss. Erst 2005 fällt auf Druck von Brüssel die Staatshaftung, ein Börsengang kommt frühestens zwei Jahre später in Frage.

Sengera wird sich zudem vehement dagegen wehren, dass seine Bank zu einer Art Sparkassenzentralbank zurechtgestutzt wird. Sein wichtigstes Argument: In den vergangenen fünf Jahren, einschließlich des Krisenjahres 2002, hat der Bereich der strukturierten Finanzierungen vor Steuern 987 Millionen Euro Ergebnisbeitrag abgeworfen. Damit sorgte die Abteilung, zu der neben den Saunders-Deals auch die Projektfinanzierung gehört, für zwei Drittel des Bankgewinns.

Das Geschäft mit den Sparkassen warf dagegen nur rund 40 Millionen Euro pro Jahr ab. Als Sparkassen-Zentralbank, so interne Berechnungen, brauche man nur 1500 statt 7500 Mitarbeiter. Mit diesem Schreckensszenario könnte Sengera seine Anteilseigner überzeugen.

Gutachten der Investmentbanken Goldman Sachs und Citibank sollen nun beweisen, dass selbst in den Saunders-Projekten hohe Wertsteigerungspotenziale liegen. Um seine Kritiker milde zu stimmen, ist Sengera mittlerweile auch bereit, diesen Geschäftsbereich zu verkaufen.

Trotzdem könnte es eng werden für ihn oder einen seiner Vorstandskollegen. Am 2. Juli tagt der Aufsichtsrat der WestLB. Bei der ersten Sitzung im Mai hatten die Kontrolleure die Entlastung des Vorstands wegen der ungeklärten Kreditrisiken überraschend verweigert.

Anfang Juli steht möglicherweise keine Entlastung an, sondern eine Entlassung.

FRANK DOHMEN, CHRISTOPH PAULY

* Rechts: Am Rande einer Anhörung vor demNRW-Haushaltsausschuss am vergangenen Donnerstag.

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