Pestizid-Skandal Millionen-Entschädigung für impotente Bananenarbeiter
Hamburg - Die riesigen Schilder sind in Costa Rica Pflicht. Sie sind rund um die Bananenplantagen des Landes aufgestellt und weisen auf den Einsatz hochgiftiger Pestizide hin. "Das war nicht immer so", sagt Carlos Arguedas Mora von der Bananenarbeiter-Gewerkschaft Cosiba in der Hauptstadt San José. Lange Jahre hat er selbst auf den Plantagen von Dole, Del Monte und Co. geschuftet, heute plagen den 59-Jährigen chronische Gastritis und Augenschmerzen. Und er ist steril geworden - unfruchtbar.
"Anderen geht es viel schlimmer", sagt Arguedas und schiebt zwei Blätter mit dem Gesundheitsbulletin von Fernando Morales Brenes über den Tisch. Morales Brenes hat in den siebziger Jahren auf der Plantage Carmen de Siquirres der Dole Food Company gearbeitet und dort regelmäßig das hochgiftige Pestizid Nemagon ausgebracht. Das Wurmgift mit dem Wirkstoff Dibromchlorpropan (DBCP) wurde auf den Bananenplantagen Mittelamerikas ab Ende der sechziger Jahre eingesetzt, um Fadenwürmern im Wurzelbereich der Pflanzen den Garaus zu machen. Ohne jede Sicherheitsvorkehrung haben die Arbeiter das Pflanzengift damals per Hand gemischt.
Die Genitalien mussten amputiert werden
Seitdem leidet Fernando Morales Brenes unter den Spätfolgen der DBCP-Vergiftung. Schon lange steht der Wirkstoff unter dem Verdacht, Krebs zu erregen. Fernando Morales musste sich gleich mehrfach operieren lassen: an den Augen, an der Prostata und an den Genitalien die haben ihm die Ärzte schließlich wegen der Krebsgeschwüre amputiert.
Brenes ist kein Einzelfall. Allein in Costa Rica leiden nach Gewerkschaftsangaben 15.000 bis 20.000 Arbeiter an gesundheitlichen Problemen, die auf das hochgiftige Pestizid zurückgeführt werden. Weitere 8000 bis 12.000 Bananenpflücker sind es im benachbarten Nicaragua und bis zu 8000 in Honduras. Weltweit wird die Zahl der "Afectados", der Betroffenen, auf bis zu 60.000 geschätzt.
Seit mehr als 20 Jahren kämpfen sie für Entschädigungen und für die Übernahme der ständig steigenden Behandlungskosten. Zumeist mit bescheidenem Erfolg, wie Gewerkschafter Arguedes berichtet. "Ich gehöre zu den 500 Bananenarbeitern, die von Dole eine Entschädigung von 7500 Dollar erhalten haben." Viele andere in Costa Rica bekamen nur 100 Dollar - und verzichteten mit dem läppischen Betrag oft auf alle weiteren Ansprüche.
Urteil im Interesse der Arbeiter
Doch neuerdings gibt es für die Bananenarbeiter Mittelamerikas wieder Hoffnung. Grund ist das Urteil eines Geschworenengerichts in Los Angeles: Die Dole Food Company wurde gemeinsam mit dem DBCP-Hersteller Dow Chemical verurteilt, sechs nicaraguanischen Bananenarbeitern insgesamt 3,3 Millionen Dollar Entschädigung für ihre nachweisliche Sterilität zu zahlen. Obendrein muss Dole eine Geldstrafe von 2,5 Millionen Dollar entrichten, weil der Konzern, befanden die Geschworenen, in bösartiger Absicht gehandelt hatte.
"Das ist ein gewaltiger Sieg für die Bananenarbeiter", sagt Duane C. Miller, der Anwalt der Kläger. Gemeinsam mit Juan José Domínguez, dessen Kanzlei in Los Angeles Tausende Bananenarbeiter aus Mittel- und Südamerika vertritt, führte er den Musterprozess gegen die US-Unternehmen. Neben Dole und Dow Chemical war noch ein weiterer DBCP-Hersteller, Amvac Chemical, angeklagt - die Anwälte dieses Unternehmens zogen sich aber mit einem außergerichtlichen Vergleich aus der Affäre: Amvac zahlt 300.000 Dollar an die Kläger, weil das Unternehmen von der sterilisierenden Wirkung von DBCP wusste, dies aber genauso wie Dow Chemical für sich behielt.
Das hochtoxische Pestizid kam 1964 mit sehr moderaten Warnhinweisen auf den Markt ("Nicht mit Augen und Haut in Kontakt bringen") und wurde in den USA beim Anbau von Sojabohnen, Baumwolle und Ananas eingesetzt. Wenig später, ab 1969, wurde das Pestizid, das unter den Handelsnamen Nemagon und Fumazone vertrieben wurde, in stetig wachsendem Umfang auf den Bananenplantagen der US-Konzerne eingesetzt.
"Nicht nur die Großen wie Dole, Del Monte und Chiquita arbeiten mit dem Pestizid, sondern auch kleinere Produzenten", erklärt Diana Ochoa. Die Juristin hat in den letzten Jahren für Domínguez' Kanzlei in Nicaraguas wichtigster Bananenanbauregion rund um die Provinzstadt Chinandega detailliert recherchiert. Arbeitsabläufe wurden genauso wie die Anstellungsverhältnisse rekonstruiert, Biografien überprüft und ärztliche Untersuchungen dokumentiert. Mit immensem Aufwand hat Ochoa stichhaltige Beweise für Prozesse in Nicaragua und den USA gesammelt.
Für den nächsten Prozess laufen schon die Vorbereitungen. Der soll, sagt Ochoa, "spätestens im Frühjahr" beginnen - ebenfalls am Superior Court in Los Angeles und mit der gleichen Richterin. "Dann können wir uns auf das erste Urteil berufen", frohlockt die Juristin. Insgesamt stehen vier weitere DBCP-Prozesse am Superior Court von Los Angeles an, wobei Sammelklagen von mehr als 5000 Klägern verhandelt werden. Und das ist nur der Beginn einer beispiellosen Klagewelle.
Tausende Opfer warten noch auf ihren Prozess
Allein die Kanzlei von Juan José Domínguez vertritt 12.300 Nemagon-Opfer, und es gibt eine ganze Reihe weiterer Kanzleien, die seit Jahren Klagen vor US-Gerichten vorbereiten. So zum Beispiel das Anwaltsbüro Ojeda, Gutíerrez und Espinoza, die 4200 DBCP-Opfer vertreten und die im nächsten Jahr einen Musterfall vor ein US-Gericht bringen werden. Dabei geht es um Entschädigungen in Höhe von 489 Millionen Dollar für 350 Betroffene.
Vor allem für Dole und Dow Chemical könnte die Klagewelle zu einem Desaster werden. Anders als der Chiquita-Konzern, der den Einsatz von DBCP nach eigenen Angaben schon 1977 eingestellt hat, verwendete Dole das Pestizid trotz detaillierter Informationen über seine Gefährlichkeit weiter. Das betonte auch Duane C. Miller, der Anwalt der Betroffenen, in seinem Plädoyer vor den Geschworenen. Dole habe das Pestizid bis zum letzten Tropfen eingesetzt und die gesundheitlichen Folgen für die Arbeiter bewusst in Kauf genommen. Die Geschworenen sahen das genauso. Für die Anwälte von Dole dürfte es schwierig werden, in der angekündigten Revision das Argument zu entkräften.
Trotz Verbots weitergemacht
Dole hatte nämlich seinen Lieferanten Dow Chemical laut Foro Emaús, einem von der Kirche unterstützten Umweltnetzwerk, bereits 1975 genötigt, die Produktion aufrechtzuerhalten - obwohl der Chemiekonzern die DBCP-Produktion wegen der Risiken einstellen wollte. Angeblich versprach Dole, alle Folgekosten zu übernehmen, was laut Foro Emaús auch vertraglich fixiert wurde. Selbst als DBCP 1977 in Kalifornien und zwei Jahre später in den gesamten USA verboten wurde, reagierte Dole im Gegensatz zur Konkurrenz nicht. Während Del Monte und Chiquita die Verwendung von DBCP 1977 einstellten, wurde es auf den Dole-Plantagen weiter verwendet. Auch das DBCP-Verbot in Costa Rica 1979 sorgte nicht für ein Umdenken: Dole entschied sich damals, sämtliche Nemagonfässer aus den Lagern in Costa Rica nach Honduras zu verschiffen, wo das Pestizid weiter zum Einsatz kam.
Für die Vergiftung von Abertausenden von Arbeitern fühlt sich der Fruchtmulti trotzdem nicht verantwortlich, wie Konzernanwalt Michael Carter in einer Presseerklärung deutlich macht: "Die Urteile gegen Dole sind absolut falsch. Die Männer wurden weder durch DBCP noch durch Dole verletzt." Er behauptet, dass die Dosen, denen die Arbeiter ausgesetzt waren, zu niedrig gewesen seien, um Schäden hervorzurufen. Warum trotzdem so viele ehemalige Dole-Arbeiter wie Fernando Morales Brenes steril wurden, müssen jetzt weitere US-Gerichte klären.