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SOWJET-PATENTE Platz auf dem Weltmarkt

Einst galt den Kommunisten das Patentrecht als böse Ausgeburt des Kapitalismus. Heute betreiben sowjetische Firmen mit dem Verkauf von Lizenzen einen schwunghaften Handel.
aus DER SPIEGEL 21/1971

Dreimal reiste der US-Industrielle Leon C. Hirsch aus New York nach Moskau, um von den Sowjets die Lizenz für den Nachbau eines chirurgischen Geräts zu kaufen. Aber erst am 30. Tag seiner dritten Reise, erinnert sich Hirsch, »unterzeichneten wir den Vertrag -- im Taxi zum Flughafen«.

Das war 1963. Heute brauchen amerikanische Kapitalisten nicht mehr um sowjetisches Know-how zu werben. Denn inzwischen haben die Sowjets erkannt, daß der Verkauf von Erfindungen ein profitables Geschäft sein kann.

Bereits 1966 verkündete Moskaus Ministerpräsident Alexej Kossygin: »Wir können und müssen den Platz erringen, der uns auf dem Weltmarkt der Lizenzen zusteht.«

Um die angestrebte Position zu erreichen, eröffneten die Sowjets ein Kontaktbüro (Amtorg Trading Corporation) der zentralen Moskauer Lizenzbehörde Lizensintorg in New York. Von dem amerikanischen Vorposten aus versenden die roten Lizenzhändler seitdem alimonatlich ein Mitteilungsblatt an US-Firmen, in dem sie die neuesten sowjetischen Erfindungen anpreisen. Potente Kunden beehrt Amtorg-Leiter Jurij Kremnew mit einem Besuch.

Vor allem in der Metallerzeugung und -verarbeitung, seit je Schwerpunkte der sowjetischen Industrie, haben sowjetische Erfinder neue Verfahren zu bieten. Amerikanische Stahlkonzerne interessieren sich besonders für sowjetische Schweißtechniken, die von den dreitausend Spezialisten des Paton-Instituts in Kiew entwickelt wurden.

Aber auch Rechte an Sowjet-Maschinen werden von US-Industriellen gekauft. So erwarb die Terraspace Inc. die Lizenz für eine Hochdruckdüse, die das Kernstück einer Wasserkanone bildet, mit der die Firmen-Ingenieure Stahl zerschneiden und Tunnels durch Felsen treiben wollen.

Einen Verkaufsschlager versprechen sich die Manager der texanischen Firma Tri-Tonics Laboratory Inc. von ihrer Sowjet-Lizenz. Die Texaner erwarben die Rechte an einer Schlafmaschine, die »das Gehirn auf wundersame Weise auf Schlaf programmiert«. Die sowjetische Einschlafhilfe wurde auf Anhieb von mehr als hundert Ärzten zum Preis von 550 Dollar gekauft.

Um mögliche Geschäfte mit den Kapitalisten nicht an fehlenden Rechtsakten scheitern zu lassen, trat die Sowjet-Union schon 1965 dem Pariser Abkommen zum Schutz des gewerblichen Eigentums bei. Damit hatten sich die Sowjets zur rechtlichen Gleichbehandlung von ausländischen und inländischen Erfindern verpflichtet. Umgekehrt war es den roten Staatsfunktionären möglich, selbst in den Mitgliedsländern, vor allem in den USA, Patente zu erwerben.

1969 wurden beim US-Patentamt auf Antrag der Sowjets 159 sowjetische Erfindungen registriert -- 1962 waren die Sowjets nur um drei Patente eingekommen. Inzwischen hat das Moskauer Komitee für Erfindungen und Entdeckungen über 450 eigene Patente in Washington beantragt.

Im vergangenen Monat bereiste ein Team sowjetischer Experten die Vereinigten Staaten. Die Sowjet-Spezialisten ließen sich im US-Patentamt und in den Patent-Abteilungen von sieben großen US-Gesellschaften über die praktische Handhabung des amerikanischen Urheberschutzes informieren.

Freilich funktionieren sowjetischamerikanische Lizenzgeschäfte nicht immer reibungslos. »Was den Lizenzhandel mit den Sowjets«, so urteilte das US-Magazin »Business Week«, »bisher am meisten behinderte, das ist der bürokratische Irrsinn der Russen.« In der Tat scheiterten viele Geschäfte schon deshalb, weil die an zügiges Verhandeln gewöhnten US-Geschäftsleute sich nicht an den zeitraubenden sowjetischen Stil des Feilschens um Preis und Bedingungen gewöhnen konnten.

Oft sprangen US-Kunden ab, weil die Technologien veraltet waren, bevor die Sowjets alle Klauseln in den Verkaufsverträgen untergebracht hatten. Um solche Pannen zu vermeiden, verhandeln die Lizenz-Apparatschiks seit jüngstem etwas zügiger als vorher. Meinte US-Geschäftsmann Leon C. Hirsch: »Früher war es qualvoll wie Zahnziehen. Heute ist es immer noch wie Zahnziehen -- aber mit Betäubungsmittel.«

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