Problemlöserin Konstanze Frischen Kapitalistin für eine bessere Welt
Berlin - Das 20. Stockwerk des Hochhauses "Japan Center" in der Innenstadt von Frankfurt am Main beherbergt eine Firma mit umstrittenem Ruf. Dort residiert die internationale Unternehmensberatung McKinsey & Company. Der Journalist Thomas Leif geht in seinem Buch "Beraten & Verkauft. McKinsey & Co. der große Bluff der Unternehmensberater" hart mit ihr ins Gericht. Zahllose Medienberichte thematisieren die Verantwortung McKinseys für den Abbau von Jobs sei es im Falle des Goethe-Institutes, des Triebwerkherstellers MTU, der Sänitärfirma Grohe oder des Fernsehsenders ProSiebenSat.1.
Konstanze Frischen betrachtet die Unternehmensberatung völlig anders. "Ich bin McKinsey sehr dankbar", sagt die 33-Jährige. Die Firma stellt ihr und ihren vier Mitarbeiterinnen im Japan Center ein Büro kostenlos zur Verfügung. McKinsey-Berater unterstützen Frischen mit Know-how ebenfalls ohne Honorare zu verlangen. Zwischen McKinsey und Konstanze Frischen hat sich eine neuartige Symbiose entwickelt.
Auf den ersten Blick tut Frischen das Gegenteil dessen, mit dem McKinsey sein Geld verdient. Sie hat eine gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung gegründet, die von Unternehmen und reichen Bürgern Hunderttausende Euro einwirbt und dieses Geld in die Lösung sozialer Probleme investiert. Gefördert werden bislang 13 Personen, die mit ihren Initiativen oder Firmen gesellschaftliche Missstände auf wirksame Art angehen.
Einer der "Fellows", wie die Geförderten heißen, unterstützt berufstätige Väter in ihrem Bestreben, Elternzeit zu nehmen und befristet aus ihrem Job auszusteigen. Ein anderer hilft benachteiligten Jugendlichen und Erwachsenen in Ostdeutschland, eigene Betriebe zu gründen.
Frischen vergibt Startkapital an "Social Entrepreneurs". Das sind Personen, die mit unternehmerischem Spürsinn unerfüllte soziale Bedürfnisse befriedigen. Den Projekten und Firmen will man mit Geld und Beratung über die ersten schwierigen Jahre hinweghelfen, damit sie sich etablieren.
Frischen hat dieses Modell nicht erfunden, es aber in Deutschland heimisch gemacht. Nach zweijähriger Vorbereitungszeit startete 2005 der hiesige Zweig der internationalen Organisation Ashoka, deren Zentrale nahe der US-Hauptstadt Washington residiert.
Ashoka ist benannt nach einem altindischen Herrscher des dritten Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung, der für seine Wohltätigkeit bekannt war. 1980 von dem ehemaligen McKinsey-Berater Bill Drayton gegründet, soll Ashoka vergleichbare Funktionen übernehmen wie konventionelle Risikokapitalfonds: Das Ziel besteht darin, risikoreichen Neugründungen das notwendige Startkapital zur Verfügung zu stellen. Statt einer materiellen erhofft man sich jedoch eine vornehmlich immaterielle Rendite. Diese setzt sich zusammen aus zwei Faktoren.
Erstens sollen die geförderten Betriebe nachweisbar dazu beitragen, gesellschaftliche Probleme zu verringern. Und zweitens bewirkt dies einen Sinngewinn für die Spender.
McKinsey und Ashoka gehen hier nicht zwei Partner eine Verbindung ein, die gar nicht zusammenpassen? Eigentlich treffen doch Feuer und Wasser aufeinander. Hier die harte Logik der Unternehmensberater, die überwiegend in den Kategorien von Kosten, Nutzen und Eigenkapitalrendite denken; Menschen gelten dabei oft nur als "Human Resources", menschliches Kapital. Und dort die weiche Strategie der Empathie: Ashoka will Menschen helfen, sich selbst zu helfen. Die Individuen stehen im Mittelpunkt, nicht Überleben und Gewinn einer Firma.
Menschen mit Mumm gesucht
Freilich kann man auch die Lesart pflegen, dass die beiden vermeintlichen Extreme keinen Widerspruch darstellen. Ashoka-Gründer Bill Drayton sagt: "Die Welt zu verbessern, ist eine Aufgabe für Unternehmer, nicht für Träumer." Konstanze Frischen denkt in eine ähnliche Richtung. Sie fragt: "Woher kommt Veränderung?" Und antwortet: "Menschen bewirken sie, die zum ersten Mal eine neue Lösung entwickeln und das Zeug haben, sie umzusetzen." Als 22-jährige Studentin der Ethnologie arbeitete sie 1996 mit einer Entwicklungsorganisation in den Slums der indischen Metropole Mumbai (früher Bombay).
Dort schlossen sich manche Bewohner zusammen, um gemeinsam Bankkredite zu erhalten und damit Abwasserkanäle bauen zu können. Als Beweis der Kreditwürdigkeit musste jeder Privathaushalt eine Rupie pro Tag sparen ein geringer, für arme Leute aber nur schwer zu leistender Beitrag. Auch aus einem anderen Grund, so lernte Frischen, gestaltete sich das Sparprogramm zunächst schwierig. Sparen war den Menschen fremd, weil ihr System der sozialen Sicherung traditionell anders funktionierte.
Als Vorsorge für die Zukunft investierten sie jede freie Rupie in Feste, zu denen sie möglichst viele Nachbarn einluden in der Hoffnung, ihr Ansehen zu steigern und sich auf diese Art künftige, eventuell notwendige Hilfeleistung vorab zu sichern. Einen Mentalitätswechsel in einer derart komplexen Situation zu erreichen, so meint Frischen, sei vor allem Sozial-Entrepreneuren möglich Menschen, die die Bedürfnisse und Bedingungen vor Ort so genau kennen, dass sie neue Modelle der Problemlösung entwerfen können.
"Auf Lösungen von oben zu warten ist schlecht", sagt Konstanze Frischen. Ihr Glaube an die unternehmerisch denkenden und sozial kompetenten Privatleute geht einher mit einem Misstrauen gegenüber den öffentlichen Institutionen. Wegen bürokratischer Verfahren und Verkrustungen "können Beamte oft nicht innovativ sein". Und sie ergänzt: "Natürlich geht es nicht darum, den Staat zu ersetzen, sondern darum, Innovationen zu ermöglichen."
Ein Begriff, den Frischen gern verwendet, lautet "Impact" "Wirkung". Die verfügbaren Mittel sollen so eingesetzt werden, dass der schnellst- und größtmögliche Effekt erzielt wird. Während des Gesprächs lässt sie manchmal ihren Unterarm wie bei einem Karateschlag auf die Tischplatte niedersausen. Zack, zack, zack erstens, zweitens, drittens planbar, machbar und überprüfbar muss es zugehen.
Frischen will "die Zivilgesellschaft stärken, damit die Menschen selbst die Kraft finden, ihre Lebensbedingungen zu verbessern". Dabei liege ihr "die romantische Strickpullimentalität von Bürgerrechtsgruppen" völlig fern, sagt Frischens Lebensgefährte Winand von Petersdorff.
Was die positive Rolle von wohlmeinenden und zupackenden Unternehmern angeht, liegen die Gedankenwelten von McKinsey und Ashoka nicht weit auseinander. "Wir erwarten, dass durch unsere Zusammenarbeit mit Ashoka eine neue Generation junger Unternehmer entsteht: vorausschauende 'Social Entrepreneurs', die mit neuen Ideen, Kreativität, Durchsetzungsvermögen und Pragmatismus gesellschaftlichen Wandel vorantreiben", so Florian Budde, der Leiter des Frankfurter McKinsey-Büros.
Sehende in der Welt der Blinden
"Ashoka hat mir geholfen, mein Selbstverständnis zu finden", sagt Andreas Heinecke. Er war der erste Fellow der Organisation in Deutschland. Vorher, so Heinecke, habe er sich selbst nicht als "Social Entrepreneur" betrachtet. Das neue "Branding" mache es ihm nun leichter, in der Öffentlichkeit aufzutreten, er werde ernster genommen.
Heinecke hat seinen Sitz in einem renovierten Lagerhaus der Speicherstadt in Hamburg. Im Zentrum seiner Aktivitäten steht die Ausstellung Dialog im Dunkeln, ein Erlebnisparcours, der Sehende in die Welt der blinden Menschen führt.
Ein Besuch in der Ausstellung bringt die gewohnten Wahrnehmungen durcheinander. Die Sehenden sind plötzlich blind, die unter normalen Verhältnissen benachteiligten Blinden haben diese andere Welt hingegen im Griff. Fähigkeit und Hilflosigkeit sind vertauscht. Indem Sehende diese Erfahrung machen, verändert sich ihr Blick für die Lage der blinden Menschen. Dialog im Dunkeln ist eine pädagogische Veranstaltung, die der Mehrheit Respekt für die Minderheit beibringen will.
Personen wie Andreas Heinecke unterstützt Konstanze Frischen, indem Ashoka ihnen für maximal drei Jahre den kompletten Lebensunterhalt finanziert. In diesem Zeitraum erhalten die Sozialunternehmer bis zu 150.000 Euro, damit sie sich frei von materiellen Sorgen ausschließlich ihrer Idee widmen können. Weil Heinecke auf seinem Weg schon weit vorangeschritten war, nahm er die finanzielle Förderung nicht in Anspruch. "Trotzdem war Ashoka ein Treibsatz ", sagt Heinecke. Weil er als Fellow ausgewählt wurde, erhielt er Zugang zum internationalen Netzwerk der Organisation. Man lud ihn zum World Economic Forum (WEF), dem alljährlichen Gipfel der globalen Wirtschafts- und Politikelite, nach Davos in die Schweiz ein, wo er seine Ausstellung präsentierte. So hat Heinecke "hochkarätige Investoren" kennen gelernt, deren Mittel ihm neue Möglichkeiten eröffnen.
Nicht zu vergessen die Unternehmensberatung, die Ashoka unterstützt: "McKinsey ist extrem hilfreich", berichtet Heinecke. Jedem Ashoka-Fellow steht kostenlose Beratung auf höchstem Niveau zur Verfügung. "Die Unternehmensberater wissen, welche Fragen sie stellen müssen. Dadurch können wir unsere Betriebsabläufe optimieren.
Als Konstanze Frischen während ihrer damaligen Tätigkeit als Journalistin auf Ashoka aufmerksam wurde und 2003 begann, die Idee nach Deutschland zu holen, stand sie alleine da. "Die ersten Jahre waren hart", sagt sie. Viele Klinken wollten geputzt und viel Skepsis beiseite geräumt werden. "Weder das Konzept von Ashoka noch der Begriff 'Social Entrepreneur' waren hierzulande bekannt." Und manchmal stieß die damals 28-Jährige auf Vorurteile von der Sorte: "Was kommt denn da für eine nette Kleine?" Mittlerweile hat sich Lage geändert. "'Social Entrepreneur' ist jetzt fast ein Modewort", sagt Frischen. Das Münchener Unternehmen BonVenture verfolgt einen vergleichbaren Ansatz wie Ashoka.
Mit ihrer Idee, Ashoka in Deutschland zu etablieren, ist Konstanze Frischen eine Trendsetterin. Nur wenige Jahre hat sie gebraucht, um Zugang zur Wirtschaftselite dieses Landes zu bekommen. Unter den Geldgebern sind Susanne Klatten aus der Quandt-Familie (BMW), Chris Brenninkmeyer (C&A) und die Handelshauserbin Helga Breuninger. Zu den prominenten Fürsprechern Ashokas gehören Peter Eigen, der Gründer der Antikorruptionsorganisation Transparency International (TI) und Muhammad Yunus, der Träger des Friedensnobelpreises 2006.
Gerade Yunus ist ein gutes Beispiel dafür, dass sich die Logik des Geldes und die Logik des sozialen Ausgleichs nicht widersprechen müssen wenn man es richtig macht. Yunus, Wirtschaftsprofessor aus Bangladesch, hat die Grameen Bank gegründet, die Kleinkredite an arme Leute vergibt. Den etablierten Banken waren diese Geschäfte zu kompliziert und zu teuer. Yunus dagegen hat bewiesen, dass man Kleinkredite zu einem tragfähigen ökonomischen System ausbauen kann, das gleichzeitig Entwicklung ermöglicht und Armut reduziert.
Über Muhammad Yunus spricht Konstanze Frischen gern, wenn sie beschreibt, was ihrer Meinung nach einen Sozialunternehmer ausmacht: "Diese Leute müssen Erfinder sein, sie erfinden neue Lösungen und kriegen heraus, wie man sie im großen Stil verwirklicht."