Konzerne »PROFIT, PROFIT, PROFIT«
Jürgen Schrempp erkannte schnell, was er von der Zentrale des Daimler-Benz-Konzerns in Stuttgart zu halten hat: Das sei doch ein »bullshit castle«, sagte der Mercedes-Manager in seiner direkten Art. An der Spitze von Deutschlands größtem Konzern werde vor allem Mist produziert.
In sechs Wochen schon kann Schrempp, 50, seinen Teil dazu beitragen. Am 24. Mai wird er der Chef von »bullshit castle« oder, vornehmer ausgedrückt, Vorstandsvorsitzender von Daimler-Benz.
Die bösen Worte über die Konzernzentrale sind schon ein paar Jahre alt. Schrempp arbeitete damals als aufstrebender Mercedes-Manager in den USA und beschwerte sich, wie viele Kollegen, über die endlosen Papiere, die in der Stuttgarter Zentrale erstellt werden.
Inzwischen beschreibt der Chef der Daimler-Benz Aerospace (Dasa) die Konzernspitze wesentlich differenzierter. Sehr viele »exzellente Manager« hat Schrempp dort kennengelernt. Die Zentrale, sagt er heute, sei besser als ihr Ruf.
Das mag schon sein, dennoch geht es im Daimler-Hauptquartier seit Monaten drunter und drüber. Alle warten auf den Neuen - der Alte wird immer mehr demontiert. Wenn Konzernchef Edzard Reuter den Kollegen seine Strategie erklärt, kommentiert Finanzvorstand Gerhard Liener dies wahlweise mit den Worten »alles Unsinn« oder »alles Blödsinn«.
Viele Daimler-Manager rätseln: Wie geht es weiter mit Deutschlands größtem Konzern, wenn Schrempp als Nachfolger Reuters an die Spitze rückt und der frustrierte Finanzmann Liener durch den Debis-Vorstand Manfred Gentz abgelöst wird?
Ausgewählten Führungskräften hat Schrempp bereits signalisiert, daß dem Daimler-Benz-Konzern so etwas wie eine kleine Revolution bevorsteht. Der neue Vorsitzende will das Konglomerat aus Dienstleistungsfirmen (Debis), Industriebeteiligungen (AEG), Luftfahrtfirmen (Dasa) und dem Fahrzeugproduzenten Mercedes-Benz nicht nur in einem anderen Stil, sondern auch nach anderen Kriterien führen.
Reuter, der Stratege, investierte in seiner Amtszeit (1987 bis 1995) Milliarde auf Milliarde, um eine große Vision zu verwirklichen: Er wollte das Automobilunternehmen Mercedes-Benz in den »integrierten Technologiekonzern« Daimler-Benz verwandeln.
Diesem ehrgeizigen Ziel opferte Reuter nicht nur das Geld, das Mercedes in seinen Erfolgsjahren mit dem Automobilgeschäft eingefahren hatte. Er nahm auch in Kauf, daß der einst hochprofitable Konzern mit den neu erworbenen Töchtern beträchtliche Verluste machte (siehe Grafik).
Damit soll es nun vorbei sein. Schrempp bekam für seine Arbeit eine klare Botschaft vom Aufsichtsratsvorsitzenden Hilmar Kopper, dem Chef der Deutschen Bank, mit auf den Weg. Daimler-Benz, so fordert Kopper, müsse wieder zu einem der profitabelsten Konzerne des Landes werden. Wird der designierte Daimler-Chef nach seinen Visionen gefragt, hat er deshalb auch eine schlichte Antwort parat: »Profit, Profit, Profit«.
Sehr viel flexibler und schneller als Reuter will Schrempp bei den Konzerntöchtern durchgreifen, wenn diese dauerhaft nur Verluste erwirtschaften. »Dann muß ich mich davon verabschieden«, sagt Schrempp, »ohne jede Emotion.«
Das Milliardengrab AEG wird der neue Daimler-Chef bald schließen. Nach dem Verkauf der Unternehmensbereiche Hausgeräte, Elektrowerkzeuge und Lichttechnik soll die AEG auch noch die Sparten Energie- und Automatisierungstechnik losschlagen. Der bescheidene Rest, Mikroelektronik und Dieselantriebe, wird unter dem Titel Daimler-Benz-Industrie als vierte Konzerntochter zusammengefaßt.
Wenn Daimler die verbliebenen freien AEG-Aktionäre abgefunden hat, folgt der letzte Schritt: Der Name AEG, der für viele ein Stückchen deutscher Industriegeschichte repräsentiert, soll verschwinden.
Mit seinem Vorgänger Reuter wird Schrempp deshalb noch einigen Zoff bekommen. Reuter, der in den Aufsichtsrat des Konzerns wechselt, beteuert noch immer: »Die AEG wird auch in fünf Jahren noch als autarker Unternehmensbereich der Daimler-Benz AG weiterbestehen.«
Diesem Konflikt wird Schrempp aber ebensowenig ausweichen wie dem anstehenden Ärger mit den Mitarbeitern der Konzernzentrale und den Chefs der Tochtergesellschaften.
Dem neuen Profitstreben entsprechend, wird Schrempp in der Konzernzentrale wohl einige hundert Stellen streichen. Und die verbliebene Mannschaft muß ihren Arbeitsstil radikal umstellen, wenn sie den Ansprüchen des neuen Chefs genügen will.
Bislang schrieben die Manager in der Zentrale allzuoft Memos an die Unternehmenstöchter. Die Empfänger antworteten mit einem Memo. Passiert ist häufig nichts.
Künftig sollen die Mitarbeiter der Hauptverwaltung ständig unterwegs sein und mit den Managern der Dasa, von Mercedes und Debis um bessere Konzepte streiten. Den internen Konkurrenzkampf ("blaues Team gegen rotes Team") will Schrempp fördern. Er selbst wird sich alles anhören und am Ende entscheiden.
Die große Freiheit, mit der die Chefs der Daimler-Töchter ihre Firmen bislang führten, ist mit Schrempps Amtsantritt beendet. Während Reuter sich eher als Moderator verstand, der die einzelnen Unternehmen zusammenführt, will sein Nachfolger direkt ins Geschäft eingreifen.
Nur bei der Dasa wird sich der neue Konzernherr noch ein wenig zurückhalten. Wenn Schrempp dort allzu tief gräbt, stößt er nur auf jene Leichen, die er selbst vergraben hat. Zwar hat der Dasa-Chef in seiner Amtszeit 16 000 Stellen gestrichen und sechs Werke geschlossen oder abgestoßen, aber von dem selbstgesteckten Ziel, die Daimler-Tochter als eigenständigen Flugzeugbauer auf dem Weltmarkt zu etablieren, ist er noch immer meilenweit entfernt.
Das Dornier-Flugzeug Do 328 bringt nur Verluste, und mit Fokker hat Schrempp dem Daimler-Konzern einen Sanierungsfall angeschafft, der noch Milliarden verschlingen könnte (siehe Seite 104).
Da kann Helmut Werner, Chef der Automobil-Tochter Mercedes-Benz, wesentlich mehr vorweisen. Und doch will Schrempp, der sich in seiner bisherigen Karriere als ausgesprochener Machtmensch erwies, künftig auch bei Mercedes eine Menge mitreden.
Bislang konnte der Vorstand von Mercedes seine Geschäfte weitgehend selbständig führen und das mit beachtlichem Erfolg. In der Automobilfirma wurden fast 40 000 Stellen gestrichen, die Produktion wurde durchrationalisiert. Die neue Mittelklasse, die in diesem Sommer auf den Markt kommt, wird mit wesentlich niedrigeren Kosten als der Vorgänger produziert - das gab es bei Mercedes-Benz noch nie.
Den Münchner Rivalen BMW hat Mercedes, zumindest was den Gewinn betrifft, wieder deutlich hinter sich gelassen: Im vergangenen Jahr erwirtschafteten die Stuttgarter einen Überschuß von gut 1,8 Milliarden Mark, mehr als doppelt soviel wie BMW.
Dank des guten Automobilgeschäfts kann der Daimler-Benz-Konzern einen Gewinn von knapp 900 Millionen Mark ausweisen. Die übrigen Töchter bereiten wenig Freude. Die Debis steuert zwar einen kleinen Gewinn von knapp 100 Millionen Mark bei. Doch die Dasa und die AEG belasten die Bilanz mit einem Verlust von jeweils rund 400 Millionen Mark.
Dennoch will Schrempp, der seine Karriere im Lastwagengeschäft von Mercedes-Benz begann, vor allem den erfolgreichen Automobilbauern scharf auf die Finger schauen. Bedeutende Risiken sieht er in den neuen Modellreihen, mit denen Mercedes völlig neue Kunden gewinnen will, der A-Klasse und dem Swatch-Auto.
Höchst unsicher ist, ob es dem Mercedes-Vertrieb gelingt, neben den Nobelkarossen künftig auch noch 150 000 bis 200 000 Modelle des Stadtautos zu verkaufen. Denn nur wenn Mercedes solche Stückzahlen erreicht, kann den Stuttgartern der Einstieg in die Golf-Klasse gelingen.
Der Konflikt zwischen Schrempp und Mercedes-Chef Werner ist programmiert. Kurz nach der Ernennung Schrempps zum künftigen Daimler-Chef hatte Werner gefordert: »Ein so großer Konzern ist sinnvoll nur zu führen, wenn die einzelnen Firmen ein sehr hohes Maß an Selbständigkeit und Verantwortung haben« (SPIEGEL 25/1994).
Daraus wird nun nichts. Mehr noch als Werner müssen allerdings andere Mercedes-Vorstände den neuen Konzernchef fürchten. Mit Ausnahme von Pkw-Manager Jürgen Hubbert und dem neuen Vertriebschef Dieter Zetsche ist in der Führungsmannschaft von Mercedes viel Mittelmaß vertreten. Da Schrempp wenig Geduld mit schlechten Managern hat, muß mancher Vorstand um seinen Job bangen.
Schrempp weiß, daß sein Kurs im Daimler-Benz-Konzern zu vielen Spannungen führen wird. Die Vorstandssitzungen werden länger, die Diskussionen härter. Aber nur in solcher Umgebung fühlt Schrempp sich wohl.
Voller Begeisterung berichtet er von den Debatten im Dasa-Vorstand. Dort wurde schon mal so heftig über ein neues Triebwerk gestritten, daß ein Vorstand entrüstet aufsprang und der Stuhl hinter ihm krachend umfiel. Schrempp: »So muß es sein.« Y
Mercedes-Vorstände müssen den neuen Konzernchef fürchten
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Daimler Benz: Der Konzern und seine Unternehmensbereiche
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