
Urteil im Oligarchen-Prozess: Abramowitsch siegt über Beresowski
Gerichtsfehden in London Kampfarena der Super-Oligarchen
Es war, in den Worten der russischen Zeitung "Nowaja Gaseta", der "Prozess des Jahrhunderts". Der russische Oligarch Boris Beresowski, einst als Pate des Kreml gefürchtet, dann als Putin-Kritiker ins Exil gegangen, hatte Multimilliardär Roman Abramowitsch in London auf 5,6 Milliarden Dollar Schadensersatz verklagt. Sein früherer Schützling soll ihn beim Verkauf der Ölfirma Sibneft betrogen haben.
Am Freitag nun sprach der Londoner High Court mit mehrmonatiger Verzögerung sein Urteil. Richterin Elizabeth Gloster wies Beresowskis Anspruch rundheraus ab. Es stehe Wort gegen Wort, schrieb sie in ihrer Urteilsbegründung. Beresowski habe seine Vorwürfe nicht beweisen können.
Der Kläger hatte sich am Freitag vor der Urteilsverkündung noch optimistisch gezeigt. Er glaube an das britische Rechtssystem, sagte Beresowski. Im Unterschied zu Abramowitsch war er persönlich vor Gericht erschienen. Doch das half auch nichts.
Die Richterin schlug sich vollständig auf die Seite von Abramowitsch und kam zu einem vernichtenden Urteil über Beresowski. Im Zentrum des Falls stünden mehrere mündliche Absprachen zwischen den beiden Männern in den neunziger Jahren, schrieb Gloster in ihrer Urteilsbegründung. Das Gericht habe sich daher nur auf die Aussagen der Beteiligten stützen können.
Gericht: Beresowski sieht Wahrheit als "flexibles Konzept"
Während sie Abramowitsch als "ehrlichen und insgesamt zuverlässigen Zeugen" beschrieb, nannte sie Beresowskis Aussagen "vage, widersprüchlich, übertrieben und unglaubwürdig". Beresowski sehe die Wahrheit als ein "flexibles Konzept" an, teilweise sei er "bewusst unehrlich" gewesen, schrieb die Richterin.
Beresowski gab sich hinterher erstaunt. Er könne das Urteil nicht verstehen, sagte er. Alles, was Abramowitsch vor Gericht gesagt habe, sei gelogen. Die Richterin versuche, die russische Geschichte umzuschreiben. Er behielt sich vor, Berufung beim Court of Appeal einzulegen. Abramowitsch hingegen teilte mit, er sei "erfreut und dankbar".
Was genau zwischen den beiden einstigen Partnern vorgefallen ist, wird sich wohl nie mit Sicherheit sagen lassen. Beresowski behauptet, er habe 1995 gemeinsam mit Abramowitsch das staatliche Ölunternehmen Sibneft gekauft und privatisiert. Man habe mündlich vereinbart, alle Gewinne zu teilen. Nach seiner Flucht aus Russland im Jahr 2000 habe Abramowitsch Beresowski gezwungen, ihm seine Anteile zum Schleuderpreis zu verkaufen. Beresowski war damals beim neuen Präsidenten Wladimir Putin in Ungnade gefallen und hatte in Großbritannien politisches Asyl bekommen.
Abramowitsch hingegen sagte, Beresowski sei nie Anteilseigner bei Sibneft gewesen. Als Tennispartner und Vertrauter des damaligen Präsidenten Boris Jelzin habe Beresowski lediglich für politische Rückendeckung gesorgt und sei dafür fürstlich bezahlt worden. Insgesamt 2,5 Milliarden Dollar hat Abramowitsch zwischen 1996 und 2001 an seinen Mentor gezahlt. Die letzte Zahlung von 1,3 Milliarden Dollar floss im Januar 2001. Aus Abramowitschs Sicht war dies eine Ablösesumme, um die Beziehung ein für allemal zu beenden. Beresowski jedoch behauptet, das Geld sei bloß eine Teilzahlung für seine Sibneft-Anteile gewesen. Und Abramowitsch schulde ihm immer noch Milliarden. Schließlich habe Abramowitsch Sibneft 2005 für 13 Milliarden Dollar an den staatlichen Energiekonzern Gasprom verkauft.
London ist neuer Schauplatz der Oligarchen-Kämpfe
Im Gerichtssaal zeigte sich die tiefe Abneigung der beiden Kontrahenten. Während der viermonatigen Beweisaufnahme bezichtigten sie sich gegenseitig der Lüge und der Verbindungen zur organisierten Kriminalität. Einmal verwahrte sich Beresowski gegen die Behauptung, er sei zu einem wichtigen Treffen im noblen Dorchester-Hotel im Bademantel erschienen.
Die britischen Medien verfolgten den Schlagabtausch amüsiert, hatte er doch einen hohen Unterhaltungswert. Die Schauplätze der in Frage stehenden Deals waren Yachten, Privatflugzeuge und Luxushotels. Angesichts der detaillierten Einblicke in das Leben der Superreichen sprach der "Independent" abschätzig von "Oligarchen-Porno".
Es dürfte nicht die letzte Inszenierung dieses Genres gewesen sein, an der sich die Briten erfreuen können. London, seit Jahren das Lieblingspflaster der russischen Superreichen, scheint sich nun auch zum bevorzugten Standort für Gerichtsfehden im Oligarchen-Milieu zu entwickeln. Im Unterschied zur russischen Justiz gelten englische Gerichte als unabhängig und fair - das finden besonders Exilrussen attraktiv, die daheim keinen Einfluss mehr haben.
Im Juli begann in London ein zweiter aufsehenerregender Prozess, der viele Parallelen zum Duell zwischen Abramowitsch und Beresowski aufweist. Der frühere Aluminium-König Russlands, Michael Tschernoi, 60, prozessiert gegen den amtierenden Aluminium-König Oleg Deripaska, 44. Tschernoi, inzwischen israelischer Staatsbürger, erhebt ähnliche Vorwürfe wie Beresowski: Deripaska habe ihn um Anteile eines gemeinsamen Unternehmens betrogen. In diesem Fall geht es um den weltgrößten Aluminiumhersteller Rusal.
In beiden Fällen beschweren sich Vertreter der alten Oligarchen-Garde darüber, wie sie von Jüngeren aus dem Geschäft gedrängt wurden. Und in beiden Fällen scheinen die Erfolgsaussichten der Kläger gering. Es steht Wort gegen Wort, und die politische und wirtschaftliche Lage im Russland der neunziger Jahre war zu unübersichtlich, als dass ein englisches Gericht hier die Wahrheit zutage fördern könnte.
Deripaska dürfte das heutige Urteil jedenfalls mit Erleichterung wahrgenommen haben.