Zur Ausgabe
Artikel 41 / 102

ATOMMÜLL Quellen über

In niedersächsischen Gruben soll der Atommüll für alle Ewigkeit versenkt werden. Doch Ministerpräsident Albrecht gibt sich sperrig.
aus DER SPIEGEL 23/1989

Klaus Töpfer reiste am Mittwoch der vorigen Woche nach Braunschweig. Vor Ort, so hatte sich der Bonner Umweltminister vorgenommen, wollte er seinen Parteifreund Ernst Albrecht auf Linie bringen.

Töpfer mußte ohne Ergebnis wieder zurück nach Bonn fahren. Der niedersächsische Ministerpräsident beharrt darauf: Das von ihm gestoppte Genehmigungsverfahren für die Grube Konrad bleibt vorerst ausgesetzt, die Arbeiten am dringend gebrauchten Endlager für schwach aktiven Atommüll kommen nicht voran.

Vor drei Wochen hatte der CDU-Landesfürst die eigentlich fällige Auslegung der Konrad-Pläne verweigert, sehr zur Überraschung der Bundesregierung. Nach dem sich anbahnenden Verzicht auf Wackersdorf, so Albrechts Begründung, müsse das nationale Endlager-Konzept erneut geprüft werden.

Vergebens beschwor damals schon Forschungsminister Heinz Riesenhuber den Kollegen in der Provinz, psychologisch seien das Endlager für schwach aktiven Müll in dem ehemaligen Erzbergwerk und das geplante Endlager für hochgiftigen Nuklear-Abfall im Gorlebener Salz eng verbunden. Wenn nach Wackersdorf die Endlager durch eine CDU-Landesregierung in Frage gestellt würden, sei der Betrieb der Atomkraftwerke gefährdet.

Für Albrecht zählt das nicht. Er wolle das Verfahren Konrad nicht torpedieren, sagte er Töpfer. Aber jetzt kämen die Sommerferien, da könne er die Pläne nicht, wie im Genehmigungsverfahren vorgeschrieben, öffentlich auslegen. Er setze sich sonst dem Vorwurf aus, die Abwesenheit der Bürger zu nutzen, um die Zahl der Einsprüche zu senken.

Albrechts Taktieren kommt für die Bonner höchst ungelegen. Am Dienstag dieser Woche gibt das Kabinett den Weg frei für die Wiederaufarbeitung im französischen La Hague. In Wackersdorf wurden vergangene Woche die Bauarbeiten eingestellt.

Nur zu gern hätte Töpfer in dieser Situation Fortschritte beim Bau der nationalen Endlager Konrad und im Gorlebener Salz geschildert. Doch nun muß er eingestehen, daß eine mindestens halbjährige Verzögerung im Atombergwerk unvermeidlich und daß die Zukunft dieser beiden Projekte offen ist.

Zu ärgerlich: Noch hat die Atomgemeinde den Fall von Wackersdorf nicht richtig verkraftet, da reißt der Parteifreund Albrecht an anderer Stelle die nukleare Entsorgungsfassade nieder.

Die Müll-Not der Atomstrom-Produzenten wird immer größer. Überall quellen die Zwischenlager für schwach aktiven Müll über, die Grube Konrad wird als Endlager für dieses Zeug am dringendsten gebraucht.

Albrecht hat gute Gründe für seine Verzögerung. Den Niedersachsen verbittert, wie rasch die Industrie Wackersdorf aufgab und wie willig die Bundesregierung mitzog.

Der Ministerpräsident sieht sich allein gelassen mit dem Atomballast. Im bayrischen Wackersdorf wird künftig wieder Frieden herrschen; in Gorleben und vor der Grube Konrad in Salzgitter, so fürchtet Albrecht, aber wird es rundgehen. Und der mit nur einem Mandat Vorsprung regierende Albrecht muß im Juni nächsten Jahres Wahlen bestehen.

Der Landesherr versuchte als erstes, die Lage durch ein informelles Abkommen mit der SPD zu entschärfen. Auch bei einem Ausstieg brauche man Endlager, redete er bei einem diskreten Treffen auf SPD-Fraktionschef Gerhard Schröder und den SPD-Landesvorsitzenden Johann Bruns ein. Deshalb sollten die beiden großen Volksparteien das Thema im Wahlkampf besser ausklammern.

Die Sozis winkten kalt ab. Gorlebens »Nichteignung« als Endlager, so Schröder, sei »nachgewiesen«; bei Konrad habe man auch noch schwere Zweifel. Zusammenarbeit mit der SPD bei der Frage der Endlagerung sei ohne Ausstiegskonzept ohnehin nicht zu haben.

Nachdem Albrecht beim politischen Gegner daheim abgeblitzt war, suchte er seine Interessen gegenüber Bonn zu wahren. Wenn er schon die Atomlast schultern soll, so Albrecht vorige Woche zu Töpfer, dann müsse er auf Ausgleichszahlungen bestehen.

Die Regierung erkennt dies Begehren dem Grunde nach bereits an. Gehandelt wird nur noch über die Höhe.

Albrecht möchte noch mehr. Vom Mikroelektronikprojekt Jessi soll der Löwenanteil nach Niedersachsen. Die Versuchsstrecke für die Transrapid-Magnetschwebebahn soll von Hannover nach Hamburg führen. Und auch die Stärkung der Investitionskraft im Norden steht wieder auf der Liste.

Nur wenn die Bundesregierung ihn mit solchen Geschenken für den Atomfrust entschädige, deutete Albrecht gegenüber Töpfer an, sei er bereit, in Niedersachsen weiterzumachen.

Wie dringlich geeignete Gruben für den Atomabfall benötigt werden, kann der Umweltminister derzeit am Fall der Wiederaufarbeitungsanlage im Kernforschungszentrum Karlsruhe studieren. Die Demonstrationsfabrik liegt seit einem Jahr still, die Genehmigungsbehörde spielt nicht mehr mit. Das Betriebsende ist unausweichlich.

In Karlsruhe lagern, zum einen, mehrere hundert Kubikmeter flüssiger, hochradioaktiver Atommüll. Der muß nach La Hague, um verdickt, verglast und endlagerfähig gemacht zu werden. Doch zugelassene Transportbehälter für die gefährliche Atomsuppe gibt es nicht. Für die Kosten, mehrere hundert Millionen Mark, muß wahrscheinlich der Etat des Bonner Forschungsministers herhalten.

Anfang der neunziger Jahre muß dann die Anlage abgerissen werden. Niemand weiß bis jetzt, wohin mit den Teilen der verseuchten Chemiefabrik.

Sicher ist nur, wer die rund eine Milliarde Mark teuren Abrißkosten zu bezahlen hat. Die Verträge zwischen den Atomunternehmen und dem Staat sind eindeutig, das bleibt am Etat des Forschungsministers hängen. #

Schacht in der Erzgrube Konrad, Albrecht: Muß das nationale Endlager-Konzept erneut geprüft werden?

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 41 / 102
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten