Radikale Kontrollen So funktioniert Obamas Finanz-Masterplan

Die Notenbank als "Supercop", Bankkunden als Könige, Hedgefonds an der Kandare: In Washington hat die Debatte um Barack Obamas Radikalreform der Finanzaufsicht begonnen. SPIEGEL ONLINE stellt die Kernpunkte vor, die schon jetzt für Streit sorgen.

Es umfasst 89 Seiten und trägt einen grünen Umschlag mit dem Siegel des US-Finanzministeriums. Es ist ein relativ schlichtes Pamphlet, das aber einen Mega-Knüller birgt: die massivste Umwälzung der US-Finanzmärkte seit der Großen Depression in den dreißiger Jahren. Sein Titel: "Ein neues Fundament".

US-Präsident Obama: Radikal-Reform für die Finanzmärkte

US-Präsident Obama: Radikal-Reform für die Finanzmärkte

Foto: LARRY DOWNING/ REUTERS

Das schmale Buch - "White Paper" genannt - ist für viele Pflichtlektüre, nicht nur in Washington, wo die hitzige Debatte um das Mammutpaket begonnen hat, das US-Präsident Barack Obama mit der ganzen Kraft seines Charismas stützt.

Am Donnerstag traf Finanzminister Timothy Geithner im Kongress bereits auf ersten Widerstand, der sich vor allem am Machtgewinn der Fed entzündet. Sowohl Christopher Dodd, der demokratische Vorsitzende des Bankenausschuss im Senat, als auch Richard Shelby, der Top-Republikaner in dem Gremium, äußerten Zweifel an dem Vorhaben, die Position der US-Notenbank zu schärfen.

Und das war nur der Auftakt. Der Zank dürfte Monate dauern, und Obamas Plan , das Paket bis Ende des Jahres zu verabschieden, bleibt vorerst nur ein Wunsch.

SPIEGEL ONLINE stellt die fünf Kernpunkte des Programms vor, wie das Weiße Haus sie avisiert hat - und zeigt die Konfliktlinien des Masterplans.

Federal Reserve Bank als Supercop

Die US-Notenbank wird zur obersten "Finanzpolizei", zum "Supercop" der Branche. Sie wird alle "großen, miteinander vernetzten" Finanzinstitutionen, die eine Bank besitzen und deren Kollaps systemerschütternd wäre, zentral beaufsichtigen. Sie soll diese "Tier-1-Firmen" "höheren Maßstäben" unterwerfen und notfalls "korrigierend" eingreifen, um "robustere und konsistente Regulierungs-Standards" sicherzustellen.

Das betrifft nicht nur die Banken selbst, sondern zum Teil auch Versicherungen - sofern sie auf irgendeine Weise im Bankgeschäft tätig sind - und Wall-Street-Investmentfirmen, die bisher der Börsenaufsicht SEC unterstanden.

Die Kapital- und Liquiditätsvorgaben für all diese Institute werden "strenger und konservativer": Je größer und vernetzter die Firma, desto schärfer die Bedingungen. Die Fed wird bis Oktober Vorschläge einreichen, wie sie ihre Struktur den neuen Ansprüchen anpassen kann.

Parallel wird ein beim Finanzministerium angesiedelter "Financial Services Oversight Council" breitere Fragen der "Verantwortung im Finanzsystem" regeln - eine Art Ethikrat für die Wall Street also, der auch "neu entstehende Risiken" erkennen soll. Diese Idee war hinzugefügt worden, um Sorgen vor einer allzu allmächtigen Fed entgegen zu treten. Mitglieder dieses Rates: der Finanzminister (als Vorsitzender), der Fed-Chef sowie die Vorsitzenden der Bankenaufsicht, der neuen Verbraucherschutzaufsicht, der Börsenaufsicht SEC, der Einlagenversicherung FDIC und der Immobilienfinanzaufsicht FHFA.

Zugleich verliert die Notenbank einen Teil ihrer Autorität. Ihre traditionelle Befugnis, im Krisenfall Notkredite aus eigener Kasse zu vergeben, wird deutlich eingeschränkt: Künftig sollen diese Kredite vom Finanzministerium genehmigt werden müssen.

Das 150-jährige Gerüst aus alten, überlappenden US-Finanzbehörden wird unter der Fed weiterbestehen - nur konsolidiert. Allein das Office of Thrift Supervision (OTS) - die US-Sparkassenaufsicht - wird als "schwächstes Glied" der Kette aufgelöst. Das OTS hatte die Probleme der ersten großen Geschäftsbanken, die ins Wanken gerieten (Washington Mutual, IndyMac), nicht bemerkt.

Schärfere Kontrollen für Fonds und Investitionsprodukte

Exotische Investitionsvehikel wie Credit-Default Swaps (CDS), Over-the-Counter-Derivate (OTC) und andere durch Vermögenswerte gesicherte Wertpapiere und "private Kapital-Pools" werden stärker an die Kandare gelegt und einem "einheitlichen und koordinierten Regulationsgerüst" unterstellt.

Obama will sie aus der bisherigen Grauzone ans Licht ziehen, "transparenter" machen und "Missbrauch" und "Manipulation" verhindern. Wer diese Produkte vertreibt, muss künftig der Börsenaufsicht SEC die Bücher öffnen und sich Geschäfte "zentral" genehmigen lassen.

Hedgefonds- und andere private Fondsmanager - inklusive Private-Equity- und Risikokapital-Fonds - müssen sich ebenfalls bei der SEC registrieren. Sie müssen alle Informationen offenlegen, die nötig sind, "um festzustellen, ob ein Fonds ein Risiko für die finanzielle Stabilität darstellt".

Rating-Agenturen büßen einen Großteil ihrer Macht über die Finanzkonzerne ein, indem auch sie stärker als bisher an die SEC gebunden werden. Sie müssen sie ihre Kriterien und Methodologien offenlegen, "in einer Weise, die der interessierten Öffentlichkeit verständlich ist". Um Versicherungen stärker und zentral zu überwachen, wird im Finanzministerium ein Office of National Insurance eingerichtet.

Verbraucherschutz

Zum Schutz der Finanzverbraucher wird eine völlig neue Behörde eingerichtet: die Consumer Financial Protection Agency (CFPA), die sich künftig "für Haushalte und Konsumenten einsetzt". Sie wird für alle "Kredit-, Spar- und Zahlungsprodukte" zuständig sein, darunter auch Kreditkarten und Immobilienhypotheken.

Diese Überwachungsfunktion teilten sich bisher die Fed und diverse bundesstaatliche Agenturen, die wiederum widersprüchlichen Vorgaben gehorchten. Das wird nun aus der Fed ausgelagert und zentral gebündelt.

Die CFPA soll dabei sicherstellen, "dass die Verbraucherschutzregeln fair verfasst sind und energisch durchgesetzt werden". Sie soll die Landesagenturen koordinieren und im Dienste von Finanzkunden und Investoren "höhere Maßstäbe" bei "Transparenz, Einfachheit, Fairness, Rechenschaft und Zugang" durchsetzen.

Parallel werden die US-Handelskommission FTC und die Börsenaufsicht SEC mit größerer Autorität ausgestattet, um ebenfalls in Verbraucherfragen aktiv werden zu können.

Staatliche Eingriffe

Die Regierung selbst wird mehr Handlungsfreiheit und neue "Werkzeuge" erhalten, um in Krisenfällen direkt einzugreifen. So wird die staatliche Übernahme bedrohter Banken und Institutionen vereinfacht. Bisher liegt diese Autorität bei der US-Einlagenversicherungsbehörde FDIC.

Das derzeitige System sieht für den drohenden Kollaps einer Finanzfirma nur zwei Alternativen vor: Pleite (Beispiel Lehman Brothers) oder staatliche Kapitalspritzen (Beispiel AIG). "Keine dieser Optionen ist akzeptabel, um die Auflösung einer Firma effizient zu handhaben", schreibt das Finanzministerium in seinem "White Paper" zur Marktreform.

So wird das Finanzministerium in Zukunft unter anderem auch als Zwangsverwalter betroffener Firmen auftreten, Kredite gewähren, Vermögenswerte oder Anteile kaufen und Schulden garantieren können. In dieser Rolle habe es "breite Macht, hinsichtlich der Finanzfirma aktiv zu werden".

Unter diesen Punkt fällt auch die bisher selbständige Kreditautorität der Fed, die im Federal Reserve Act verankert ist, dem Notenbankgesetz von 1913, mit dem die Fed einst gegründet wurde. Künftig muss sich die Fed, wenn sie große Summen in die Wirtschaft pumpen will, beim Finanzministerium eine schriftliche Genehmigung dafür einholen.

Internationale Kooperation

Die US-Regierung dringt darauf, dass ähnliche Maßahmen auch international eingeführt und koordiniert werden. "Finanzieller Stress kann sich leicht und schnell über Grenzen hinweg ausbreiten", warnt das Finanzministerium. Dies erhöhe das "systemische Risiko" für die ganze Weltwirtschaft. Doch Regulierungen bestünden bisher weitgehend nur in nationalem Rahmen.

Die USA wollen deshalb in dieser Frage "eine starke Führungsrolle" in internationalen Gremium übernehmen, etwa innerhalb der G-20, des Financial Stability Boards (FSB) und des Basler Komitees für Bankenaufsicht. Ziel: "Vergleichbare Initiativen" (Kapitalvorgaben, Aufsicht globaler Finanzmärkte, Krisenverhütung und -management) auch weltweit "voranzutreiben", etwa gemäß der Londoner G-20-Erklärung vom April. So "empfiehlt" das Weiße Haus die globale "Ausweitung" der Hedgefonds-Kontrolle und die Umsetzung der G-20-Verpflichtungen zur "internationalen Kooperation bei der Überwachung globaler Finanzfirmen".

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