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FRANKREICH Regelrecht aufatmen

Frankreichs Reiche schaffen zunehmend ihre Gelder außer Landes. Neuerdings bevorzugtes Ziel des Fluchtkapitals: die USA.
aus DER SPIEGEL 48/1976

Eine sichere Investition in einer unsicheren Welt«, verspricht die Anzeige im französischen Wirtschaftsmagazin »L"Expansion": Geldanlagen im Jimmy-Carter-Staat »Georgia, USA«

eine Welt ohne Risiko offenbar, verglichen mit dem von der Volksfront bedrohten Frankreich.

»Gut zu wissen«, informierte der Pariser »Figaro« seine Leser: Das britische Auktionsbaus Sotheby biete nun auch Immobilien in den USA an. Sotheby-Filialchef John Marion erläuterte den Franzosen: »Amerika ist auf dem besten Weg, bevorzugtes Investitionsland für Grundbesitz zu werden, wie ehedem die Schweiz.«

Vermögens-Verwalter locken die Reichen in Paris: »Legen Sie Ihr Geld über uns an den amerikanischen Rohstoffbörsen an.« Und in Fachblättern für Investoren werben Immobilienhändler: »Wohnungen in Kalifornien«, »günstige Kredite für Land in Florida«, »Verkauf von Farmen, ganz oder als Teilhaber, Anteil berechnet nach Rinderkopfzahl«

»Wenn wir das Geld in den USA angelegt haben«, registriert der Manager einer in Luxemburg etablierten französischen Investitionsfirma, »scheinen unsere Kunden regelrecht aufzuatmen"« Die Europäer glauben, daß Amerika einer sicheren Zukunft entgegensieht, bestätigt der amerikanische Sotheby-Immobilien-Direktor Charles Seilheimer.

Doch nur bis zu 150 000 Franc (75 000 Mark) dürfen französische Bürger ohne Genehmigung ins Ausland überweisen. Die Einrichtung eines Kontos -- etwa in der Schweiz -- ist verboten. Geschäftsleute müssen auf Auslandsreisen mit einer Pauschale von 5000 Franc und zusätzlich 500 Franc pro Tag wirtschaften.

Die Folge der Devisenzwangswirtschaft, mit der die Regierung Währungsverfall und Zahlungsbilanzmisere mildern will: Die Reichen schaffen ihre Francs vermehrt illegal ins Ausland, die »passeurs«, professionelle Geldschmuggler. haben Hochkonjunktur. Professor Jacques Delors, Wirtschaftsberater des Sozialisten-Führers Francois Mitterrand, prophezeit: »Wenn wir an der Macht sein werden, ist das Schlimmste schon gelaufen. Was sich jetzt ereignet, ist skandalös.«

Fast 85 Prozent der Franzosen, ergab eine Meinungsumfrage, erwarten nach einer Machtübernahme der Volksfront im März 1978 die Einführung einer Vermögensteuer sowie die Reform der Steuergesetze. die bislang Kapitalerträge gegenüber Arbeitseinkommen begünstigen.

Schon die vergleichsweise harmlose Wertzuwachssteuer, die am 1. Januar 1977 wirksam wird, verärgerte die -- jedenfalls im Vergleich zu westdeutschen Großverdienern -- bislang vom Fiskus geschonten Reichen der Fünften Republik. Monat um Monat wandern Francs ins Ausland und unterspülen so den Wert der Währung: Seit Jahresbeginn verlor der Franc gegenüber der Mark 17 Prozent seines Wertes.

»Der französische Franc ist gesund und stark«, spottete die Kolumnistin Mary Blume in der »International Herald Tribune«, »und lebt in der Schweiz.« In Genf, berichtete das Wirtschaftsblatt »La Vie francaise«, können Interessenten ihre Juwelen und Gemälde jetzt günstig verkaufen »und sich dafür in Währung nach eigener Wahl« bezahlen lassen. Die Schweizer seien großzügig, denn sie erheben Zoll nur nach Gewicht: 10 Franken für ein Kilo Gold, 1,80 Franken für ein Kilo Silberschmuck und -- immerhin -- zwei Franken pro Kilo Diamanten.

»Es sind nicht die kleinen Besitzer von Sparkassenbüchern«. klagte unlängst der linksradikale Abgeordnete Robert Fahre im Parlament, »die mit Koffern voller Goldbarren und Goldstücke in die Schweiz fahren.«

Aber auch weniger betuchte Sparer wählen nicht immer den Weg zur nächsten Bank. In Hundehütten und Heuschobern. in Kohlenkellern und eingemauert in der Wohnzimmerwand verstecken Einzelhändler und Friseure ihre Gold-Dukaten und jene Gelder, die sie der Steuer nicht melden.

Nach Schätzungen eines französischen Währungsspezialisten horten die Franzosen insgesamt mehr Gold als die 60 Milliarden Franc in Gold, die in den Tresoren der Staatsbank als Währungsreserve lagern. US-Kolumnistin Blume: »Amerikaner investieren, die Franzosen verstecken.«

Vor sechs Jahren bereits kündigte der damalige Finanzminister Giscard d?Estaing an. er wolle »den Steuerbetrug als soziales Phänomen innerhalb von fünf Jahren abschaffen«, doch 1975 wurden nur 740 Franzosen tatsächlich wegen Steuerhinterziehung angeklagt.

Rund 46 Prozent der Franzosen, errechnete die Regierung in einer soeben veröffentlichten Statistik, schlüpfen durch die überaus durchlässigen Steuergesetze und zahlen überhaupt keine Einkommensteuer.

Aktionäre geben nur Bruchteile ihrer Dividendeneinnahmen an den Staat ab. Der Franzose. notierte der »Figaro«, habe eben einen »boshaften Spaß« daran, »das Finanzamt zu betrügen«. Nach Schätzungen der Behörden hinterziehen allein die Immobilienhändler jährlich mindestens 60 Millionen Franc. Verkauft ein Franzose beispielsweise seine Wohnung, erwartet er nur einen Teil der Kaufsumme auf seinem Konto -- der Rest wird, für Steuerfahnder schwer nachprüfbar, bar ausgehändigt.

»Wir wissen, daß ein erheblicher Teil dieses Geldes in die Schweiz geht«, bestätigt ein Zollfahnder. »doch wie wollen Sie das bei den derzeitigen Gesetzen tatsächlich verhindern?«

Oft ist die Schweiz nur der Umschlagplatz der Kapitalflüchtlinge. Fast 2,5 Milliarden Dollar investierten die Eidgenossen bis Ende 1975 in den USA, über 30 Prozent mehr als die Deutschen.

Denn »mehr und mehr«, registrierte die Pariser Wirtschaftszeitung »Les Echos«, »interessieren sich die Investoren für die amerikanische Bastion.«

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