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HANDEL Rein privat

Die hessische Supermarkt-Kette Leibbrand hat sich in gut zwei Jahrzehnten zum zweitgrößten Lebensmittel-Händler der Bundesrepublik hochgerangelt. Dabei gab es manche Merkwürdigkeiten. *
aus DER SPIEGEL 48/1986

Das unscheinbare Bürohaus im feinen Kurort Bad Homburg bei Frankfurt ist bestens gesichert: Aufzüge und Etagentüren des Gebäudes lassen sich nur mit einem elektronischen Kode öffnen.

Der Chef der Firma, die in diesem Haus ihre Zentralle hat, läßt sich kaum einmal in der Öffentlichkeit blicken. Pressekonferenzen finden stets ohne ihn statt, Bilder des Mannes sind rar.

Das ausgeprägte Sicherheitsbedürfnis teilt Willi Leibbrand mit anderen Größen seines Gewerbes, mit den Aldi-Brüdern Karl und Theo Albrecht und mit dem Metro-Mitinhaber Otto Beisheim. Mit ihnen hat er auch den Erfolg gemeinsam. Willi Leibbrand ist ein Super-Mann des Einzelhandels.

Der Chef der Rewe Leibbrand OHG schaffte in nur 25 Jahren den Sprung vom kleinen Krämer zum zweitgrößten Lebensmittelhändler in Deutschland.

Rund 2300 Supermärkte und Discountläden unter Phantasiebezeichnungen wie HL, Penny, Toom oder Minimal gehören heute zum deutschen Teil des Leibbrand-Imperiums. Ihre Verkaufsfläche entspricht der Größe von rund 200 Fußballplätzen.

Mit neuartigen Konzepten, aber auch mit trickreich gefingerten und zuweilen undurchsichtig angelegten Zukäufen hat Leibbrand alteingesessene Handelsriesen wie Tengelmann, Co op oder die Edeka-Gruppe weit hinter sich gelassen. Rund 13 Milliarden Mark setzt Leibbrand heute um. Das ist mehr, als der Warenhaus-Konzern Karstadt bewegt. Und von jeder Umsatz-Milliarde bleiben bei Willi Leibbrand etwa zehn Millionen Mark als Gewinn hängen.

Nur die Albrecht-Brüder mit ihren Discount-Schuppen sind noch erfolgreicher. Mit 18 Milliarden Mark Umsatz konnten sie sich einen wohl uneinholbaren Vorsprung sichern.

Der Aufstieg des Krämers begann Anfang der Sechziger. Die vom Vater Hugo Leibbrand geerbte Großhandlung im hessischen Städtchen Rosbach bot dem damals 29jährigen Jungunternehmer nicht genug Entfaltungsmöglichkeiten. Er wollte mehr als immer nur Tante-Emma-Läden beliefern.

Etwas abseits vom Firmensitz, in Frankfurt-Eckenheim, eröffnete Leibbrand 1961 unter dem Kürzel HL - den Initialen des Vaters - sein erstes Einzelhandelsgeschäft. Auf 170 Quadratmetern verkaufte er rund tausend Artikel. Trotz der noch geltenden Preisbindung versuchte er, billiger zu sein als die Konkurrenz. »Großer Umsatz - kleiner Nutzen« lautete das Motto.

Das Konzept kam an. HL, der »preiswerte Nachbarschaftsmarkt für den täglichen Bedarf« (Eigenwerbung), ging in Serie. 1970 hatte sich die Kette auf 70 HL-Märkte mit 140 Millionen Mark Umsatz geweitet.

Groß in Schwung kam das Geschäft, als Anfang der Siebziger die Preisbindung fiel. Nun war es - bei Verzicht auf große Stück-Gewinne - möglich, die Konkurrenz zu unterbieten und die Kunden in die eigenen Läden zu locken.

Die große Zeit der Discountläden und der Verbrauchermärkte auf der grünen Wiese begann - und Willi Leibbrand war dabei: mit Penny-Märkten ("Die ideale Einkaufsstätte für Leute, die scharf rechnen") und Toom-SB-Warenhäusern.

Die Expansion kostete Geld. In aller Stille begann Leibbrand sich nach einem potenten Teilhaber umzuschauen. Handelseinig wurde er schließlich mit der Kölner Rewe-Genossenschaft. Die übernahm 50 Prozent der Leibbrand-Anteile.

Lange Zeit wurde die Verbindung zwischen dem Preisbrecher und den braven Genossen äußerst diskret behandelt. Im »Rewe-echo«, der Hauszeitschrift der Genossenschaft, stand bis vor einigen

Jahren kaum ein Wort über die Rewe Handelsgesellschaft Leibbrand.

Nach der Verbrüderung mit der Rewe drückte Leibbrand noch mehr aufs Tempo. »Jeden zweiten Tag ein neuer Markt«, lautete die Parole des Jahres 1976.

Gerade rechtzeitig zu Beginn der Sturm- und Drangzeit hatte sich Leibbrand mit Klaus Wiegandt einen weit voraus denkenden Mann ins Haus geholt. Der Sozialdemokrat hatte sich vom einfachen Postbeamten über eine Funktionärslaufbahn in der Postgewerkschaft, wo er eine Zeitlang Assistent des Vorsitzenden Kurt Gscheidle war, bis zum Geschäftsführer der damals noch gewerkschaftseigenen Co op Rhein-Main emporgearbeitet. Mit 36 ließ er sich, »frustriert vom stümperhaften Handelsmanagement der Gewerkschaftsbosse« (Wiegandt), zur marktwirtschaftlich orientierten Konkurrenz locken.

Schon bald verunsicherte der eloquente Generalbevollmächtigte der RHG Leibbrand die Handelsbranche mit hochfliegenden Prognosen. 1979 verkündete er auf einer internationalen Handelstagung, bis Mitte der Achtziger werde der Umsatz seiner Firma auf zehn Milliarden Mark steigen. Die Leibbrand-Bilanz verzeichnete damals knapp vier Milliarden Mark Umsatz. Wiegandt hatte das Ziel bereits 1984 erreicht (siehe Graphik).

Auf einer Deutschland-Karte hatte der Manager »zehn erschließungswürdige Regionen mit einem Umsatzpotential von mindestens zehn Milliarden Mark« abgesteckt. In jedem dieser Gebiete sollen die Leibbrand-Filialen mindestens zehn Prozent dessen, was die Kundschaft ausgibt, in ihre Kassen holen.

In sieben der zehn Regionen hat Wiegandt inzwischen sein Ziel erreicht. Der letzte große weiße Fleck auf der Leibbrand-Karte ist das Ruhrgebiet. Es wird gerade vermessen.

Anders als die Aldi-Brüder schaffte Leibbrand den Sprung zu einem bundesweit operierenden Filialbetrieb nicht allein durch eigene Läden. Mit der Rewe im Rücken entwickelte sich der Hesse vielmehr zu einem der größten Aufkäufer im Einzelhandel.

Die Übernahme des alteingesessenen Frankfurter Familienunternehmens Latscha im Jahr 1977 war Leibbrands erster großer Schlag. Weitere Aufkäufe folgten. Geschluckt wurden unter anderem der niedersächsische Discounter Hartfil, 30 Läden von Johs. Schmidt in Niedersachsen, Big-Bär-Filialen in Norddeutschland sowie das Cash & Carry-Unternehmen Selgros.

Daneben legte sich Leibbrand eigene Produktionsbetriebe zu: die Backwarenfabrik Vitapan in Bad Homburg, zwei weitere Brotfabriken in Offenbach und Hannover sowie vier Fleischverarbeitungsbetriebe.

Mit einigen seiner Lieferanten pflegt Leibbrand enge Kontakte. Besonders innig verbunden scheint er mit seinem Obst- und Gemüsegroßhändler Giovanni Bocchi.

Der Italiener, der einst als Gemüsehändler auf dem Frankfurter Großmarkt begonnen hatte, betreibt heute von Verona aus eine der größten Frucht-Agenturen Europas. Mehrere Agrargenossenschaften in Italien und Frankreich haben Bocchi die Vermarktung ihrer gesamten Ernten anvertraut. Täglich vermitteln die Bocchi-Büros mehr als tausend Lkw-Ladungen. Einer der Hauptabnehmer Bocchis ist die Leibbrand-Gruppe.

Die Lieferantentreue der Deutschen belohnt Bocchi durch jährliche Rückvergütungen. Es ist mal mehr, mal weniger: im Jahr 1984 waren es 355000 Mark.

Eine Schlüsselrolle in der Leibbrand-Bocchi-Beziehung spielt der Frankfurter Rechtsanwalt Michael Barz. Der Anwalt ist seit langem der »Haus- und Hofjurist bei Leibbrand« (Wiegandt) und seit 1979 Kommanditist in der Willi Leibbrand KG, dem von der Rewe getrennten Teil des hessischen Handelsimperiums. Gleichzeitig ist Barz aber auch dem Italiener Bocchi zu Diensten.

So ist Barz Prokurist der Alpha Fruit Trade SA in Luzern und einer der drei Verwaltungsräte der in Luxemburg ansässigen Mainau AG. Diese beiden Firmen wiederum sind die Hauptgesellschafter der Bocchi Fruit Trade Germany GmbH: die Bocchi-Zentrale in Verona hält nur 25 Prozent an ihrer deutschen Tochter.

Durch die »unternehmensübergreifende Positionierung des Leibbrand-Kommanditisten Barz«, meint ein Branchenkenner, ergäben sich »vielfältige unternehmerische Gestaltungsmöglichkeiten«.

Leibbrand-General Wiegandt bestreitet, daß sein Unternehmen »mit Bocchi mehr verbindet als eine normale Lieferantenbeziehung«. Bocchis Wirtschaftsprüfer allerdings sahen durchaus Anlaß zu Warnungen.

Aufgrund der Verträge könnten die Finanzämter annehmen, heißt es in einem Schreiben an Barz, »daß die Leibbrand OHG den ausländischen Gesellschaftern der Bocchi GmbH nahesteht«. Dann aber wären die Bocchi-Provisionen an Leibbrand als »verdeckte Gewinnausschüttung« anzusehen - mit der Folge, »daß es zu einer echten Körperschaftsteuer-Mehrbelastung kommt«.

Die Verbindungen zwischen Leibbrand und dem Italiener Bocchi regen zumindest die Phantasie an. Welche Qualität die Italien-Connection letztendlich hat, ist eines der meistdiskutierten Rätsel in der Handelsbranche.

Ganz frei von verdächtigen Gerüchten sind auch mancherlei Erwerbungen nicht, die das Bad Homburger Unternehmen im eigenen Lande tätigte.

Einigermaßen durchschaubar war noch der Aufkauf der Uhren- und

Schmuck-Genossenschaft Dugena, mit der Leibbrand sich erstmals aus dem angestammten Lebensmittel-Territorium herauswagte.

Ziemlich dubios hingegen kommen allen Beobachtern die Umstände beim Erwerb der Uhrenhandelskette Christ vor. Der amerikanische Zale-Konzern wollte den Filialbetrieb loswerden. Leibbrand schien das mit ansehnlichem Gewinn arbeitende Filialunternehmen (90 Geschäfte) eine sinnvolle Ergänzung zur Dugena zu sein.

Doch der Plan stieß auf Schwierigkeiten. Die Dugena-Händler pochten auf ihre Verträge; darin hatten die neuen Inhaber zugesagt, nur Großhandel zu betreiben.

Das Kartellamt zeigte ebenfalls wenig Bereitschaft, die Übernahme zu genehmigen, da Rewe-Leibbrand mit Christ eine beherrschende Stellung in der Schmuckbranche bekäme. Zudem tauchten plötzlich zwei weitere Kaufinteressenten auf: das Christ-Management und der Handelskonzern Hussel, zu dem unter anderem Uhren Weiß gehört.

Da kam Leibbrand-General Wiegandt auf die rettende Idee, die Christ-Läden »als Privatmann für mich und meine Familie« zu kaufen. Mit einem Kredit der DG Bank, eine der Hausbanken bei Leibbrand, trat Wiegandt im Juli zum entscheidenden Preispoker gegen das Christ-Management an.

Die Christ-Manager gaben, unterstützt von der Deutschen Bank, bei 90 Millionen ihr letztes Gebot ab. Wiegandt hielt mit 92 Millionen dagegen und wurde Alleineigner.

Er blieb es nur für einige Wochen. Dann reichte er zwei Drittel seiner Anteile weiter- unter anderem an einen Kollegen und die beiden minderjährigen Kinder seines Chefs.

Die Beamten des Kartellamts fühlten sich ausgetrickst. Doch trotz intensiver Recherchen konnten sie nicht nachweisen, daß Wiegandt nur als Strohmann für Rewe-Leibbrand aufgetreten war. Der Kauf mußte genehmigt werden.

Erfolgreicher mühten sich die Kartellbeamten bei einer von Leibbrand anvisierten Großfusion im Stammgeschäft, bei der geplanten Verbindung von Leibbrand, Schaper und Asko. Durch die vorgesehene Über-Kreuz-Verflechtung der drei Riesen wäre ein deutscher Handelskoloß entstanden, der mit einer Marktmacht nach Ansicht der Kartellwächter die Preise nahezu aller Lieferanten hätte diktieren können.

Begonnen hatte der Konzern-Handel der Supermarkt-Giganten 1982. Da war Leibbrand mit zunächst 15 Prozent bei der Saarbrücker Asko-Gruppe eingestiegen: zwei Jahre später wurde der Anteil auf 24,9 Prozent erhöht. Gleichzeitig beteiligte sich Leibbrand mit zwölf Prozent an dem Verbrauchermarkt-Riesen Schaper in Hannover.

Als jetzt auch noch die Asko ihrerseits Gesellschaftsanteile bei Schaper übernehmen wollte, legten die Kartellwächter ihr Veto ein.

Das Ergebnis: Um Asko den Einstieg bei Schaper zu ermöglichen, verkauft Leibbrand seine Asko-Aktien und gibt auch das Schaper-Paket zurück. Doch ohne Tricks geht es auch hier nicht ab: Lediglich »rein privat und ohne Stimmrecht« (Wiegandt) will die Familie Leibbrand 21,5 Prozent der Kommanditanteile bei Schaper als Kapitalanlage übernehmen.

Das Ding bei Schaper wollen die Leibbrand-Manager als letzten Versuch verstanden wissen, durch Zukäufe fetter zu werden. »Unsere Expansionsphase«, schwört Wiegandt, »ist praktisch zu Ende.« Wachstum durch Raubzüge halten die Leibbrand-Anführer nach den jüngsten Erfahrungen mit dem Kartellamt für eine überholte Strategie. Nun werde sich das Unternehmen »auf qualitatives Wachstum einrichten«, sagt Wiegandt.

Für die Konkurrenz wird Leibbrand dadurch kein einfacherer Gegner. Nach dem Rückzug in Saarbrücken und Hannover, vom Kartellamt erzwungen, ist die Gruppe stärker mit Geld gepolstert denn je. Rund 300 Millionen Mark hat der Verkauf der Asko- und Schaper-Anteile als außerordentlichen Gewinn in die Kassen der Bad Homburger gebracht.

Da kann sich die Konkurrenz auf einiges gefaßt machen. Selbstbewußt und fast ein wenig drohend sagt Chefmanager Wiegandt: »Wir schwimmen in Liquidität.«

[Grafiktext]

STEILER AUFSTIEG Entwicklung der Rewe Handelsgesellschaft Leibbrand oHG Umsatz in Milliarden Mark 3,75 4,78 5,91 6,96 8,45 9,50 10,68 11,95 13 Investitionen in Millionen Mark 141 228 159 246 174 339 237 Filialen 754 930 1191 1453 1795 1988 2111 2197 2300 Verkaufsfläche in tausend Quadratmeter 463 609 727 854 1036 1168 1252 1340 1400 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986

[GrafiktextEnde]

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