LUXUS Rezession vernebelt
Die alte Dame aus Amerika traute ihren Augen kaum. Seit Jahren organisierte sie in Miami den Protest gegen das kommunistische Kuba. Und nun hing hier, in einem der feinsten Hamburger Clubs, ein Bild von Ché Guevara? Sie ließ den Geschäftsführer kommen.
Tobias Hundertmark, 38, konnte die Dame kaum beruhigen. Obwohl das Konterfei der Revolutions-Ikone nur im Hintergrund des Bildes einer kubanischen Tabakfabrik zu erkennen war, habe die Dame immer wieder fassungslos »Warum?« gefragt.
So viel Aufregung ist in der »Havanna Lounge« über den Alsterarkaden selten. Meist ist der Dialog gedämpft und das Besteckgeklapper dezent, so wie es sich für einen Wirtschaftsclub nach britischem Vorbild gehört. Das Einzige, dem man sich hier mit routinierter Hemmungslosigkeit hingibt, ist der Genuss von Zigarren, den es - so die Satzung - zu fördern gilt.
Seit sich das herumgesprochen hat, ist der hanseatische Rauchersalon so gut besucht, dass Hundertmark neuerdings einen Mitgliederstopp erwägt. Eigentlich hatte er 1997 nur einen einmaligen Zigarrenabend in gemieteten Räumen geplant. Dem Investmentbanker und Polospieler war die Atmosphäre im traditionsreichen Hamburger Übersee-Club »zu steif« und das Essen dort »zu dürftig« geworden. Inzwischen hat er Clubs in Berlin und Bremen, Frankfurt, Hannover und Düsseldorf eröffnet.
Hundertmark spürt die Wirtschaftsflaute allenfalls daran, dass die Mitgliederzahlen seiner neuen Etablissements etwas schleppender steigen. Die Renaissance der exklusiven, altväterlichen Gediegenheit hält jedenfalls an - obwohl oder weil das Gemeinschaftserlebnis Dampf-Ablassen finanziell starker Tobak ist. In den Untergeschossen der Clubs stehen den Mitgliedern begehbare Humidore zur Verfügung, in denen die Zigarren lagern. Für eine Jahresmiete von 180 Euro kann ein Schließfach gemietet werden. Auch sonst hat die soziale Auslese ihren Preis: Die Aufnahmegebühr beträgt 2000 Euro, der Jahresbeitrag 500 Euro.
Als Köder im Milieu der Besserverdienenden scheint die Zigarre gut zu funktionieren. Neuerdings nutzen auch Feuerzeughersteller und Luxushotels den Boom und arrangieren als »Cigar Nights« getarnte Nikotingelage. Die Veranstaltungen sind Wochen vorher ausgebucht, wenngleich das Akkordrauchen - nach jedem Gang wird eine Zigarre gereicht - selbst Liebhabern Tränen in die Augen treibt. »Das ist«, sagt Hundertmark, »völlig pervers.«
Der Hang zur Übertreibung hat mit Aufholarbeit zu tun: Die Wiederentdeckung der Zigarre verlief hier zu Lande in Zeitlupe. Als Sylvester Stallone und Arnold Schwarzenegger vor zehn Jahren in den USA erste Zigarrenclubs eröffneten und auch Madonna und Sharon Stone in den Raucherreservaten nuckelten, hatte die Zigarre in Deutschland noch das Image von Rentnerstumpen.
Der Boom der fünfziger Jahre, als die »Schwarze Weisheit« des Wirtschaftswunderministers Ludwig Erhard den Aufschwung der Nachkriegszeit symbolisierte, war lange vorbei, und das alte Motto »Immer mit der Ruhe und einer guten Zigarre« zog schon in den Sechzigern nicht mehr.
Doch spätestens seit der sozialdemokratische Kanzler Gerhard Schröder öffentlich Cohibas rauchte, schmücken sich auch Partygirls wie Ariane Sommer mit dicken Zigarren. Allein der Absatz handgerollter »Longfiller« aus Kuba, die aus ganzen Tabakblättern hergestellt werden, verdreifachte sich in fünf Jahren auf zuletzt 4,8 Millionen Stück.
Während es in der Hamburger Lounge immer noch üblich ist, teuren kubanischen Zigarren aus Bescheidenheit die Banderole abzupulen, geben sich viele Berliner Mitglieder offen dekadent: Mit daumendicken Cohibas für 58 Mark wird die Rezession vernebelt, obwohl man selbst mittendrin steckt. Zwar hat Hundertmark sein Unternehmen im August in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und plant weitere Filialen in Zürich und Paris. Doch schon vor einem Jahr musste die Wiener Dependance wegen zu geringer Mitgliederzahl schließen. In ihrem neuesten Firmenprospekt bieten sich Hundertmark und sein Geschäftspartner Heiko Carstens einem renommierten Hotelbetreiber »als sehr interessante Partie« an.
Auf so einen Gedanken würde Maximilian Herzog nie kommen. Der Schweizer führt seit 1998 die »Casa del Habano« im Berliner Hotel Savoy. Die Lizenz erhielt Herzog vom kubanischen Staatsunternehmen Habanos S. A. 50 000 Dollar musste er für die Nutzung der Marke zahlen. Ein Franchise-Vertrag regelt den ausschließlichen Verkauf von Zigarren der Fidel-Castro-Insel und ein Mitspracherecht der Kubaner bei allen Accessoires.
Eigentlich ist Herzog Dozent für Psychologie an der Technischen Universität Berlin. Dort forscht er über Geschmacks- und Geruchserinnerungen sowie »Löschungsresistenz«. Einen Geschmack, den Herzog bis heute nicht löschen kann, ist der seiner ersten Zigarette, die er als 14-Jähriger rauchte. »Ich konnte nicht inhalieren«, sagt Herzog, »da blieb mir nur die Zigarre.«
Wenn Herzog über Zigarren spricht, geht es nicht um Preise, sondern »um die Erziehung des Gaumens«. In seiner Montecristo A, einer Art Rolls-Royce unter den Zigarren, erkennt er nicht »irgendwelche Hölzer«, sondern »Zimt, Eichenmoose und Pferdedung«. Und als ob er angesichts des kubanisch-schweizerischen Joint Ventures sein sozialistisches Soll zu erfüllen hätte, ergänzt er: »Eine kubanische Zigarre ist wie Kunst. Eine dominikanische mit amerikanischem Deckblatt dagegen ist Kitsch.« NILS KLAWITTER