Rezessionsgefahr "Wenn wir das nicht in den Griff kriegen, sind die Folgen katastrophal"

Das Weltwirtschaftsforum in Davos wird zur Krisenkonferenz: Aktienkurse kollabieren, den USA droht eine Rezession, Banken machen Riesenverluste. Konferenzgründer Schwab erklärt im SPIEGEL-ONLINE-Interview, warum die Wirtschaft anfälliger ist als früher - und was die globale Konjunktur retten kann.

SPIEGEL ONLINE: Herr Schwab, in Asien und Europa brechen die Aktienmärkte ein, Angst vor einer US-Rezession geht um - die Stimmung auf dem Weltwirtschaftsforum wird ziemlich mies sein, oder?

Schwab: Ich glaube nicht, dass die globale Rezession bevorsteht. Die Weltwirtschaft ist viel breiter aufgestellt als früher - durch dynamische Staaten wie Indien und China, und auch Afrikas Ökonomie ist sie 2007 um fünf Prozent gewachsen. Die Welt ist weniger abhängig vom Wohlergehen der USA geworden.

SPIEGEL ONLINE: Aber die Folgen der Kreditkrise sind dramatisch. US-Notenbankchef Ben Bernanke warnt vor möglichen Kreditausfällen in Höhe von Hunderten Milliarden Dollar. Das soll die Weltwirtschaft einfach so wegstecken?

Schwab: Es gab schon zuvor Schadensschätzungen über 400 Milliarden Dollar und mehr. Das wird natürlich eine Delle in der Konjunktur hinterlassen. Ich persönlich teile die Prognosen, denen zufolge das globale Wachstum sich von 5 auf vielleicht 3,5 Prozent abkühlen wird ...

SPIEGEL ONLINE: ... also hat Davos sein Megathema.

Schwab: Keine Frage, ein wichtiges Thema wird sein: Wie können wir das Wirtschaftswachstum aufrechterhalten? Trotz Kreditkrise. Trotz schleichender Inflation. Trotz des Kapitaltransfers zu den Öl produzierenden Ländern. Aber dennoch werden auch andere Themen wichtig - die US-Präsidentschaftswahl, Umweltprobleme, Wasserknappheit, das Klima, soziale Fragen.

SPIEGEL ONLINE: Auslöser der Finanzkrise war, dass Kreditpakete und -risiken über die ganze Welt verschoben wurden und kaum einer an die Risiken dachte. Sind die Gefahren der Globalisierung nicht zu kontrollieren?

Schwab: Ich sehe weniger die Subprime-Kredite an sich als Auslöser, also die Kreditgeschäfte mit schlechten Schuldnern - sondern dass die Risiken so lange weitergegeben wurden, bis niemand mehr wusste, wo sie liegen, und sie preislich nicht mehr berücksichtigt wurden. Deshalb müssen wir mehr Transparenz im Finanzsystem schaffen. Weltweit.

SPIEGEL ONLINE: Wie soll das gehen?

Schwab: Ich bin kein Freund vieler Regeln. Man braucht nur einige wenige Normen, für die es auch schon Ansätze gibt, zum Beispiel internationale Bilanzregeln wie Basel I oder II. Solche Regeln haben auch in dieser Krise schon geholfen. Banken wie die Citigroup und UBS waren durch sie gezwungen, sich zu rekapitalisieren.

SPIEGEL ONLINE: Das Desaster war schlimm genug. Die Citigroup musste 18 Milliarden Dollar abschreiben, Merrill Lynch hat jetzt einen Rekordquartalsverlust von fast zehn Milliarden Dollar bekannt gegeben.

Schwab: Ohne diese Regeln wären die nötigen Maßnahmen vielerorts sicher noch später beschlossen worden. Also müssen wir an dem Punkt weitermachen.

SPIEGEL ONLINE: Nun suchen viele Investmentbanken Hilfe bei Fonds aus Asien - in den USA und auch Deutschland wächst die Angst vor ausländischen Investoren. Im Bundestag wird derzeit ein Gesetz bearbeitet, dass bestimmte Industrien vor ausländischen Staatsfonds schützen soll ...

Schwab: ... leider geschieht jetzt vieles in der Schnellschlagmethode. Man hat noch nicht analysiert, worum es geht. Man muss doch erst einmal klären: Handelt es sich um langfristige Investoren? Sind politische Interessen involviert? Könnte der Einstieg eines bestimmten Investors zu einer Monopolstellung führen?

SPIEGEL ONLINE: Trotzdem scheint es verständlich, dass Staaten sich jetzt verstärkt gegen Auswüchse der Globalisierung zu rüsten versuchen. Die Finanzkrise war ja nicht das einzige Ereignis, das den Eindruck vermittelt, wir hätten das nicht mehr im Griff - denken Sie an die Tonnen giftiges Spielzeug, die aus China in die Welt kamen.

Schwab: Trotzdem, die alte Methode, von nationalen Interessen aus globale Lösungen zu verhandeln, funktioniert nicht mehr. Das sehen Sie am Problem Klimawandel. Und die Zeit lässt sich auch nicht zurückdrehen. Denken Sie an das 19. Jahrhundert: Damals versuchten Menschen in Manchester, mit der Zerstörung von Textilmaschinen die Industrialisierung aufzuhalten. Das funktionierte genauso wenig, wie sich heute die Globalisierung aufhalten lässt. Probleme wie das vergiftete Spielzeug sollten wir nutzen: Sie geben Anlass, über globale Normen nachzudenken und Lösungen zu suchen. Das wird traditionell in Davos getan.

SPIEGEL ONLINE: Sie klingen ungeheuer optimistisch. Ist das Zweckoptimismus, oder sehen Sie die Lage wirklich so rosig?

Schwab: Mir ist sehr wohl bewusst, dass wir bedrohter sind als früher. Die Risiken sind aber vielschichtiger geworden, viel komplexer. Wir erstellen jedes Jahr einen Global Risk Report mit Gefahrenherden wie der Intransparenz im Finanzsystem, der Wasserknappheit, der Sicherheit der Nahrungsversorgung. Wenn wir diese Probleme nicht in den Griff bekommen, sind die Folgen katastrophal. Aber über die Jahrzehnte betrachtet hat sich vieles andere positiv entwickelt. Ende der siebziger Jahre gab es zwei Milliarden arme Menschen. Heute sind es zwar ebenso viele, aber die Weltbevölkerung ist in der gleichen Zeit ungeheuerlich gewachsen - es gibt relativ mehr Wohlstand auf der Welt. Global betrachtet haben wir auch mehr Demokratie als vor 40 Jahren, der Ost-West-Konflikt ist überstanden, das Bewusstsein für Menschenrechte gestiegen.

SPIEGEL ONLINE: Ihr Anspruch an das Weltwirtschaftsforum ist der Wunsch, die Welt zu verbessern. Das ist alles andere als bescheiden.

Schwab: Man darf das Treffen natürlich nicht überschätzen. Aber es ist uns immer relativ gut gelungen, Herausforderungen zu definieren und Lösungsansätze aufzuzeigen.

SPIEGEL ONLINE: Kritiker sagen, die Gutmenschveranstaltungen seien nur der Anstrich für ein Riesen-Meeting der mächtigen Manager und Politiker, wo hinter verschlossenen Türen vor allem Kontakte gepflegt und Geschäfte gemacht werden.

Schwab: Dieses Treffen hätte keine derartige Anziehungskraft, wenn es nur ums Geschäft ginge. Natürlich machen die Teilnehmer Geschäfte, aber das können Sie auch auf dem Golfplatz oder sonst wo. Und unser Programm beschäftigt sich nur zu einem Bruchteil mit Managementfragen.

SPIEGEL ONLINE: Die Teilnehmer zahlen mehrere zehntausend Euro an Gebühren. Was kommt da bei mehr als 2500 Besuchern eigentlich so zusammen - wohin fließt das Geld, das übrig bleibt?

Schwab: Nicht in private Taschen. Das Weltwirtschaftsforum ist ja eine Stiftung. 2007 lagen die Einnahmen bei etwa 70 Millionen Euro, und nach Abzug der Kosten verbleiben normalerweise etwa zehn Prozent.

SPIEGEL ONLINE: Wohin geht dieses Geld konkret?

Schwab: Vor allem in die Entwicklung neuer Initiativen. Zum einen bauen wir derzeit Expertenteams auf für die Untersuchung der globalen Risiken, die wir in Davos jedes Jahr feststellen. Zweitens haben wir ein virtuelles Netzwerk entwickelt, eine Art Facebook oder MySpace für bald 10.000 globale Entscheidungsträger. Dort sollen Kontakte gepflegt und die Themen des Weltwirtschaftsgipfels in Videokonferenzen weitergeführt werden. Ein virtuelles Davos - das auch in Krisensituationen helfen soll.

Das Interview führte Anne Seith

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