Wenn russisches Öl ausbleibt Rohölvorräte in Schwedt reichen nur für 20 Tage

PCK-Raffinerie in Schwedt: Zukunft ungewiss
Foto: Patrick Pleul / dpaDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Der Bundeskanzler und sein Vize wollten keinen Zweifel aufkommen lassen: »Wir haben uns vorbereitet«, beteuerte Olaf Scholz. Schon lange habe man in den Planungen unterstellt, dass Russland die Lieferungen über die Ölpipeline in die ostdeutsche Raffinerie Schwedt einstellen wird.
Die nationale Ölreserve sei aufgestockt worden, sagt Robert Habeck, und auch am Standort selbst habe man die Speicher extra aufgefüllt. »Die Versorgungssicherheit ist gewährleistet«, sagte der grüne Bundeswirtschaftsminister auf der Pressekonferenz am Freitagmittag im Bundeskanzleramt, wo die beiden ankündigten, die mehrheitlich in Besitz des russischen Staatskonzerns Rosneft befindliche Anlage unter die Treuhänderschaft des Bundes zu stellen.
In ein paar Stunden werde sich der Kanzler auf den Weg machen in die Uckermark und zu den Arbeitern in der Raffinerie sprechen – hinter verschlossenen Türen, wie der Sprecher von Scholz ankündigte. Botschaft: Weder die Arbeitsplätze seien bedroht noch der Nachschub an Sprit und Kerosin für Ostdeutschland. Denn von Schwedt werden weite Teile des Ostens mit Kraftstoffen versorgt.
Doch so beruhigend der Auftritt wirken sollte: Die Wirklichkeit sieht ein wenig anders aus. Denn nach Einschätzungen aus Unternehmenskreisen, die von der Regierung nicht dementiert werden, lagert insgesamt Rohöl für 20 Tage in Schwedt. Ohne Nachschub müsste die Raffinerie dann ihren Betrieb einstellen. Noch ist unklar, wie Russland darauf reagiert, dass die Bundesregierung sich mit der Treuhänderschaft über die Rosneft-Tochter gesichert hat.
Bislang kommt das Öl fast ausschließlich aus Russland nach Schwedt – über eine Pipeline mit dem Namen »Druschba« (zu Deutsch: Freundschaft). Da es mit dieser Freundschaft allerdings nicht mehr so weit her ist und Deutschland im Zuge der westlichen Sanktionen ab dem 1. Januar kein Pipeline-Öl mehr aus Russland beziehen will, stellt sich die Frage, wo das Öl sonst herkommen soll.
Aus Unternehmenskreisen heißt es, die von der Bundesregierung vorgestellten Pläne würden erst in einigen Monaten voll greifen. Bis dahin lassen sich die »Druschba«-Lieferungen nicht ausreichend ersetzen. Bislang gibt es einen Versorgungsweg über den Seehafen in Rostock, von wo aus eine Pipeline nach Schwedt führt, deren Kapazität allerdings nicht groß ist. Sie solle nun »ertüchtigt« werden, versprachen Scholz und Habeck. Eine weitere Leitung führt über Danzig nach Deutschland, wobei dieser Transportweg auch einen Teil der »Druschba«-Pipeline mit einschließen würde. Bislang weigert sich die polnische Seite, auf diesem Weg Rohöl nach Schwedt zu leiten.
Ihr Argument: Solange der Rosneft-Konzern an Schwedt verdient, werde man kein Rohöl liefern. Mit der nun verhängten Treuhandschaft dürfte aus Schwedt zwar kein Geld mehr an den russischen Mutterkonzern fließen. Geplant ist nach SPIEGEL-Informationen stattdessen, das Geld auf ein Treuhandkonto zu überweisen, auf das die Russen keinen Zugriff haben. Denkbar, dass die polnische Regierung unter diesen Umständen die Leitungen freigibt. Ein polnisches Energieunternehmen ist sogar im Gespräch, die Rosneft-Anteile zu übernehmen und damit in den Raffineriebetrieb einzusteigen.
Rund 30 Prozent des deutschen Rohöls kam im Juni aus Russland
In einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der CDU zur Energieversorgung, die dem SPIEGEL vorliegt, räumt die Regierung ein, dass die Leitung über Rostock nur zu einem »minimalen« Betrieb der Raffinerie beitragen kann. »Zur Sicherstellung einer Versorgung der PCK-Raffinerie mit nicht-russischem Rohöl über Rostock, die einen wirtschaftlichen Betrieb der Raffinerie ermöglicht, ist jedoch eine unverzügliche Ertüchtigung der Pipeline Rostock-Schwedt notwendig«, heißt es dort. Veranschlagt wird dafür eine Bauzeit von zwei bis drei Jahren. Geplant sei auch eine Versorgung mit Rohöl aus Kasachstan, schreibt die Regierung in der Parlamentsantwort. Eine schnelle Lösung dürfte aber auch das nicht sein.
So überrascht es kaum, dass Kanzler Scholz auf der Pressekonferenz eine Kurzarbeiterregelung für die Belegschaft versprach. Für die Tankstellenkunden und auch die Airlines am Berliner Flughafen müsste bei einer Unterversorgung aus Schwedt ein Transport von fertigen Kraftstoffen aus dem Westen organisiert werden. Dafür gibt es bereits Notfallpläne, an denen das Bundesverkehrsministerium arbeitet.
Überraschend ist hingegen eine andere Antwort der Bundesregierung auf die CDU-Anfrage, die den Anteil der russische Rohölimporte betrifft: »Gemäß den vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) erhobenen Daten lag der Anteil Russlands am deutschen Ölverbrauch im Monat Juni bei rund 30 Prozent«, heißt es in der Regierungsantwort. Damit hätte sich die Abhängigkeit von Russland sogar noch erhöht, statt reduziert.
So hatte Wirtschaftsminister Habeck in einem Interview im Mai noch von nur noch zwölf Prozent russischem Rohölimport in Deutschland. »Durch alle ergriffenen Maßnahmen konnten die russischen Ölimporte im Wesentlichen auf verbleibende Bedarfsmengen der Raffinerien in Leuna und Schwedt (insgesamt ca. zwölf Prozent) reduziert werden«, sagte Habeck. »Die Beendigung der Abhängigkeit von russischen Rohölimporten zum Spätsommer ist realistisch.«
Die CDU-Opposition unterstützt die Entscheidung der Bundesregierung, die Raffinerie unter Treuhandverwaltung zu stellen. Der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende und Sprecher der CDU/CSU-Fraktion für Klimaschutz und Energie, Andreas Jung, mahnt: »Beim Ersatz russischer Ölimporte muss es jetzt schneller gehen – und in die richtige Richtung!«
Die Versorgung weiter Teile Ostdeutschlands müsse gesichert werden, sagte Jung dem SPIEGEL: »Olaf Scholz und Robert Habeck müssen mit tragfähigen Lösungen Tempo machen und belastbare Fortschritte erzielen. Die bisherige Kommunikation der Regierung hat statt Klarheit viel Verunsicherung geschaffen.«