Rohstoff-Boom Kohle-Kinder schuften für den Aufschwung Afghanistans
Hamburg - Mit seinen Gebirgen und Wüsten, Oasenlandschaften und Steppen ist Afghanistan ein dramatisches, oft bestürzend schönes Land. Und es besitzt Reichtümer, die bisher kaum erschlossen wurden - Bodenschätze wie Kohle, Erdgas und Öl, Eisenerz, Kupfer und in den Tälern des Nordens Jade, Lapislazuli und seltene Smaragde.
Doch die Wirren von fast drei Jahrzehnten Krieg haben bisher verhindert, dass Afghanistan die Vorkommen fördern oder gar ins Ausland exportieren kann. Das Land ist arm und rückständig. Es gibt nur wenige asphaltierte Straßen, keine nennenswerte Industrie und nicht einmal eine Raffinerie. Seinen Energiebedarf deckt es hauptsächlich mit Brennholz.
All das aber soll sich nun ändern - jedenfalls, wenn es nach Ibrahim Adel geht, dem Bergbauminister im Kabinett des afghanischen Präsidenten Hamid Karzai. Gerade erst ist er von einer Weltreise zurückgekehrt, über die in den Abendnachrichten des Fernsehens in Kabul groß berichtet wurde. Adel hat vor Ölleuten in Dubai, London, Houston, Calgary und Singapur drei Öl- und Gasfelder zur Ausbeutung angeboten, die sich nahe der Grenze zu Turkmenistan befinden. Weitere Erschließungsgebiete, diesmal an der Grenze zu Tadschikistan, sollen demnächst ausgeschrieben werden.
Weiter als mit dem Erdgas und dem Öl hat es Adel mit den Kupfervorkommen gebracht, die mit 60 Millionen Tonnen erstaunlich umfangreich sind und den Reserven des großen Nachbarn China entsprechen. Den Zuschlag zur Erschließung des ersten Felds von Kupfererz hat denn auch ein chinesischer Staatskonzern erhalten, die China Metallurgical Group. Das Areal befindet sich südöstlich von Kabul in der Provinz Logar und enthält elf Millionen Tonnen des wertvollen Buntmetalls. Den Chinesen ist das Rohstoffvorkommen so wichtig, dass sie sogar eine Eisenbahnstrecke dorthin bauen wollen - die erste, die es in Afghanistan dann geben wird.
Für das Land am Hindukusch käme die Förderung seiner Bodenschätze einer Zeitenwende gleich, Zehntausende Arbeitsplätze würden entstehen. Adel, ein Diplomingenieur, der noch in der ehemaligen Sowjetunion Bergbau studierte, hat die Vision eines Afghanistan, das nicht mehr von ausländischen Geldgebern abhängig ist. "Ich hoffe, dass wir dank unserer Rohstoffe auf eigenen Füßen stehen werden," zitiert ihn der Wirtschaftsdienst Dow Jones Commodities Service.
Der Turban muss reichen
Doch die Entwicklung hat auch eine düstere Seite - wie sich in den Kohlegruben des Landes zeigt. Die meisten Minen werden illegal betrieben, die Arbeitsbedingungen in den Schächten und Stollen sind erbärmlich. Oft arbeiten auch Kinder in der staubigen Schattenwelt, vor allem in der Zentralprovinz Bamian und dort im Distrikt Kahmerd, wo sich manche Stollen in 200 bis 300 Meter Tiefe erstrecken.
Allein in den Gruben von Kahmerd schuften 1500 Menschen, von denen die meisten weniger als 18 Jahre alt sind, berichtet der Uno-Informationsdienst IRIN. Die Arbeit ist anstrengend, Schutzkleidung und Helme gibt es nur in Ausnahmefällen - der Turban muss genügen. Die Kinder tragen die Kohle in Säcken auf dem Rücken, der Sauerstoff in der Umgebungsluft ist knapp.
Dem 15-jährigen Mohammad Alim machen vor allem die Temperaturunterschiede zu schaffen. Er hat eine Erkältung und atmet schwer. "Es ist heiß dort unten," sagt er laut dem Bericht von IRIN, "draußen aber ist es kühl. Ich fühle mich deswegen immer krank."
Auch ein Junge namens Reza, der erst 13 ist, arbeitet in dem Bergwerk. "Voriges Jahr habe ich meinen jüngeren Bruder verloren, weil ein Stollen eingestürzt ist," berichtet er. Trotzdem macht er unter Tage weiter.
Alptraumhafte Unterwelt
Die Kinder-Kumpel von Bamian unterstützen ihre Eltern, die in der von Dürre heimgesuchten Provinz auf das Geld angewiesen sind. Pro Tag bringt die Bergwerksarbeit bis zu 300 Afghani ein, das sind umgerechnet vier Euro. In Afghanistan ist das beträchtlich: Auf den Monat hochgerechnet verdienen die Kinderarbeiter mehr als Polizisten oder Lehrer.
Doch die Maloche in der alptraumhaften Unterwelt schädigt die Kinder und Jugendlichen früh. Kopfverletzungen sind häufig und ebenso Meniskusschäden - durch das Anheben der schweren Lasten. "Wir führen keine Statistik ausschließlich für Kinder, aber die Anzahl von Lungenleiden und Augeninfektionen ist hoch," berichtet einer der Ärzte des Zentralkrankenhauses von Bamian.
Die Kinderarbeit in Afghanistan ist eine Folge von Krieg und Vertreibung. Mehr als fünf Millionen Kinder seien betroffen, schätzte das Ministerium für Arbeit und Soziales im Juni 2007. Ironischerweise befördert ausgerechnet der Abbau von Kohle eine weitere Form der Kinderarbeit - nämlich in Ziegeleien, in deren Öfen Lehmziegel gebrannt werden.
Die Ziegeleien sind in Afghanistan die größten Abnehmer von Kohle überhaupt. Es sind die Kinder, die den Lehm in Holzformen glattstreichen und manchmal auch an den Öfen stehen. Dabei handelt es sich um Fronarbeit, mit der die Kinder Schulden ihrer Eltern abtragen, die diese wiederum bei den Besitzern der Ziegeleien oder Händlern gemacht haben.
Immerhin hat Bergbauminister Adel angekündigt, sich um die Kinder in den Kohlegruben von Bamian und der Nachbarprovinz Sar-i-Pul zu kümmern. Dem Uno-Informationsdienst versicherte er, dort alles unter die Aufsicht der Regierung stellen zu wollen. Nur: Wann das der Fall sein wird, sagte der Minister nicht.