Rosskur und Wucherzinsen Wie die EU die Iren in die Pleite treibt

Sparen, bis es nicht mehr geht: Die irische Regierung legt ihren vierten Sparhaushalt in zwei Jahren vor. Ökonomen halten die Konjunkturbremse für schädlich - und werfen den EU-Sparkommissaren vor, Irland endgültig in den Bankrott zu treiben.
Sitz der Bank of Ireland in Dublin: "Diese Rettung wird die Republik versenken"

Sitz der Bank of Ireland in Dublin: "Diese Rettung wird die Republik versenken"

Foto: Peter Macdiarmid/ Getty Images

Sechs Milliarden Euro. So viel will die irische Regierung im kommenden Jahr sparen. Die Rosskur, die vierte innerhalb von zwei Jahren, soll am Dienstag im irischen Parlament beschlossen werden. Für das kleine Land ein gewaltiger Kraftakt: Der durchschnittliche Ire wird nach Berechnungen des "Irish Independent" am Ende des Jahres um 7500 Euro ärmer sein.

Aus der ganzen EU wird es Schulterklopfen und Ermunterungen für die Dubliner Regierung geben, weil sie so tapfer ihre Sparziele einhält. Arbeitslose, Geringverdiener, Rentner, Studenten - kaum eine Bevölkerungsgruppe wird verschont.

Das Perfide: Die nationale Anstrengung wird das Schuldenproblem des Landes nicht wesentlich verbessern. Die teils drastischen Einschnitte bei Sozialleistungen, Beamtengehältern und öffentlichen Investitionen verblassen neben den riesigen Löchern, die sich in den irischen Bankenbilanzen auftun. Deshalb spekulieren die Anleger an den Finanzmärkten auch weiter unbeirrt auf eine Pleite des Inselstaats.

Auch das Rettungspaket von 85 Milliarden Euro, das EU, Europäische Zentralbank (EZB) und Internationaler Währungsfonds (IWF) vor gut einer Woche schnürten, konnte nicht für Ruhe sorgen. Wie auch? Es verschlimmert die irischen Finanzprobleme schließlich sogar noch.

Die Zeche zahlt der irische Steuerzahler

Denn die EU hat versäumt, die ausländischen Gläubigerbanken an den Verlusten schiefgegangener Immobiliengeschäfte zu beteiligen. Insbesondere die EZB pochte in den Verhandlungen darauf, dass die Interessen deutscher, britischer und französischer Banken gewahrt blieben. Die Zeche zahlen muss nun der irische Steuerzahler: Er bekommt das EU-Geld zum saftigen Zinssatz von 5,8 Prozent, damit er die Forderungen der ausländischen Gläubiger bezahlen kann und diese nicht auf den Verlusten sitzenbleiben.

Was die deutschen Banken freut, ist für Irland eine Katastrophe. Für viele Ökonomen ist die Pleite des Landes nur noch eine Frage der Zeit. "Diese Rettung wird die Republik versenken", warnt der irische Volkswirt David McWilliams im "Belfast Telegraph". "Die EU hat uns genug Seil gegeben, um uns selbst zu erhängen, in der Hoffnung, dass wir sie nicht alle hängen."

Wenn Irland den EU-Rettungsschirm voll ausschöpfe, dann verdoppele sich der Schuldenberg bis 2014 auf 175 Milliarden Euro, rechnet McWilliams vor. Pro Jahr fielen dann 8,5 Milliarden Euro Zinsen an. Dagegen kann keine noch so sparwütige Regierung ansparen.

Damit nicht genug: Um nicht in den Schulden zu ertrinken, müsse das jährliche Wirtschaftswachstum deutlich über dem Zinssatz für die Staatsschuld liegen, argumentiert McWilliams. Wenn die irische Wirtschaft weniger als acht Prozent im Jahr wachse (die optimistische Regierungsprognose erwartet knapp vier Prozent), werde sich die Schuldenspirale immer weiter drehen.

Ähnlich argumentiert Barry Eichengreen von der University of California in Berkeley. Es sei weder politisch noch wirtschaftlich tragbar, dass Irland künftig zehn Prozent seines Volkseinkommens für Reparationen an Anleihenbesitzer aufbringen muss, schrieb der Wirtschaftswissenschaftler jüngst im "Handelsblatt". "Jeder, der Deutschlands Erfahrungen mit Reparationszahlungen nach dem Ersten Weltkrieg kennt, sollte das wissen." Klüger wäre es laut Eichengreen gewesen, eine Umschuldung vorzunehmen und den Gläubigern der irischen Banken nur 20 Cent pro Euro auszuzahlen.

Eine solche Umschuldung hätte Irlands Staatsschuld auf einen Schlag von 130 auf 100 Prozent der Wirtschaftsleistung verringern können. Sie hätte den Iren gezeigt, dass Europa auf ihrer Seite ist, schreibt Kevin O'Rourke, Wirtschaftsprofessor am Trinity College Dublin, in seinem Blog. Stattdessen habe die EU sich dafür entschieden, "sinkenden Ländern eine prozyklische Politik aufzuzwingen".

"Wir stehen nun vor einer Negativspirale"

O'Rourkes Prognose ist ähnlich düster wie die seiner Kollegen. "Wir stehen nun vor einer Negativspirale: Der Sparkurs führt zu Auswanderung, die wiederum den Schuldenberg vergrößert, was weiteres Sparen nötig macht", sagt er. Als Ausweg empfiehlt der Ökonom einen Blick ins benachbarte Island: Dort hätten die Wähler einfach in einem nationalen Referendum entschieden, die ausländischen Gläubiger nicht zu bezahlen. Irland, so O'Rourke, brauche jetzt "radikalen Wandel".

Die irische Regierung ist jedoch entschlossen, nach den EU-Regeln zu spielen. Es gehe vor allem um die Glaubwürdigkeit an den Finanzmärkten, argumentiert Finanzminister Brian Lenihan, der von der "Financial Times" gerade zum "schlechtesten Finanzminister Europas" gekürt wurde.

Der Sparhaushalt, den der konservative Premier Brian Cowen am Dienstag dem Parlament vorlegt, eine Mischung aus Einsparungen und Steuererhöhungen, dürfte der schwächelnden Konjunktur einen weiteren Dämpfer verpassen. Und das Sparen hat noch lange kein Ende: Laut dem Vier-Jahres-Plan, der im November vorgestellt wurde, sollen bis 2014 insgesamt 15 Milliarden Euro eingespart werden.

Es ist allerdings fraglich, wie lange die Regierungspläne Bestand haben. Selbst wenn der Haushalt 2011 mit Ach und Krach durch das Parlament kommt, wird damit gerechnet, dass die nächste Regierung, die spätestens im Frühjahr gewählt wird, ihn überarbeitet.

Das Sparen wird auch nichts bringen, wenn Irland nicht die Probleme seines Bankensektors in den Griff bekommt. Dieser bleibt die Achillesferse des Landes. Seit der fatalen Entscheidung der irischen Regierung 2008, für sämtliche Bankenschulden zu bürgen, ist das Schicksal des Staates an seine Geldinstitute geknüpft. Und noch immer schlummern in den Bilanzen faule Kredite aus der der Zeit des Immobilienbooms.

Die Banken sind bereits dabei, die Giftpapiere aus ihren Büchern zu tilgen - entweder durch Auslagerung an die staatliche Bad Bank Nama oder durch Verkauf zu Discountpreisen an Investoren. Doch wie hoch die Verluste schließlich sein werden, kann bislang nur geschätzt werden.

Allein 35 der 85 Milliarden Euro des EU-Rettungspakets sind für die irischen Banken bestimmt. Zehn Milliarden davon fließen als direkte Kapitalspritze, der Rest steht für den Notfall bereit. Neben der verstaatlichten Skandalbank Anglo Irish werden bald auch die beiden Großen, Bank of Ireland und Allied Irish Bank, mehrheitlich in Staatsbesitz sein.

Die Größe des EU-Rettungsschirms wurde so bemessen, dass die Banken einen Ausfall von bis zu zehn Prozent aller Hausbesitzerkredite verkraften könnten. Dieses Superstress-Szenario würde nach Angaben der irischen Bankenaufsicht rund 15 Milliarden Euro kosten. Der neue EU-"Dispo", wie Premier Cowen das Rettungspaket nennt, würde dafür locker ausreichen.

Doch hätte Irland wegen der von der EU verhängten hohen Zinsen keine Aussicht, den Dispo je zurückzuzahlen. Es bleibt also nur die Hoffnung, dass die Regierung ihn nicht in Anspruch nehmen muss. Daran wagt derzeit jedoch noch kein Experte zu glauben - zu häufig haben die irischen Banken in den vergangenen Monaten frisches Kapital gebraucht.

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