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RUBEL Roter Dollar

Osteuropas Staaten planen eine Reform ihres Währungssystems. Der Rubel soll womöglich wie der Dollar im Westen unter den Comecon-Staaten frei austauschbar werden.
aus DER SPIEGEL 33/1971

Drei Tage lang konferierten Osteuropas führende Kommunisten -- darunter Sowjet-Regierungschef Kossygin und der rumänische Staatschef Ceaucescu -- in Rumäniens Hauptstadt Bukarest hinter verschlossenen Türen. Dann, vorletzte Woche, verkündete der bulgarische Regierungschef Stanko Todoroff: »Das ist ein historischer Augenblick.«

Die Vertreter der acht Mitgliedsländer des Comecon*, der Wirtschaftsgemeinschaft des Ostens, hatten sich auf ein modernes Währungssystem geeinigt, das den Mitgliedsländern endlich einen freien Außenhandel untereinander und damit höheren Wohlstand bringen soll. Sie wollen eine Art roten Dollar schaffen, den sogenannten konvertiblen Transfer-Rubel.

Wie die westlichen Länder sich auf der großen Weltwährungskonferenz von Bretton Woods im Jahre 1944 den Dollar als internationale Verrechnungseinheit wählten, die überall als Zahlungsmittel angenommen wird, so sollen künftig die Transfer-Rubel im Comecon zumindest im Handel als allseits akzeptierte Devisen gelten. Mit dem neuen Geld hoffen die Ostblockländer, ihren Außenhandel, den sie bislang in einer Art mittelalterlichen Tauschwirtschaft betrieben, den Erfordernissen einer modernen Industrie anzupassen.

Bisher tauschten die Comecon-Staaten vornehmlich Ware gegen Ware. Zwar gibt es schon seit 1964 im Comecon einen »Transfer-Rubel« zur Verrechnung des Außenhandels. Aber er konnte die ihm zugedachte Aufgabe als internationales Zahlungsmittel nie erfüllen. Denn die Rubelkurse von Zloty, Lewa, Mark oder Formt waren willkürlich ohne Rücksicht auf die tatsächliche Kaufkraft festgesetzt.

So fanden Experten heraus, daß in der zweiten Hälfte der 60er Jahre etwa der offizielle Rubel-Kurs der bulgarischen Lewa nahezu 20 Prozent unter der mutmaßlichen Kaufkraft der Valuta lag. Die tschechische Krone war um 45 Prozent überbewertet, der Zloty wurde

* Angeisächsische Abkürzung für Council for Mutual Economic Assistance: Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe.

sogar mit 22,5 Kopeken (100 Kopeken = ein Rubel) notiert und war in Wahrheit nur vier Kopeken wert.

Die Folge dieser Kursmanipulationen: Die Bulgaren konnten für 1000 Kronen, die sie im Außenhandel mit der Tschechoslowakei verdient hatten und die sie in Transfer-Rubel bei der Gemeinschafts-Bank in Moskau hatten gutschreiben lassen, in Warschau nur etwa die Hälfte an Waren kaufen wie in Prag. Denn die 125 Transfer-Rubel, die den Bulgaren für 1000 Kronen angerechnet würden, hätten an der Moldau eine Kaufkraft von 85 Rubel, in Polen hingegen von 24 Rubel.

Um derartige Verlustgeschäfte zu vermeiden, beschränkten sich die sozialistischen Industriestaaten auf den bi lateralen Warentausch. »Die Tendenz. bestimmte Warengruppen immer im gleichen Verhältnis zu kompensieren«, klagte deshalb der ungarische Wirtschaftsexperte Rezsö Nyers, »schaufelt der Spezialisierung das Grab.«

Mit ihrem neuen Anlauf, einen konvertiblen Rubel zu schaffen, wollen die osteuropäischen Kommunisten nun endlich auch die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung nutzen, die dem Westen in den letzten 20 Jahren zu vorher nie erreichten wirtschaftlichen Wachstumsraten verhalf.

Aus den Fehlern der Vergangenheit glauben sie gelernt zu haben. Warschaus Regierungschef Jaroszewicz machte die Marschrichtung deutlich. Als erstes müssen, so Jaroszewicz, »ökonomisch gerechtfertigte und aufeinander abgestimmte Wechselkurse der nationalen Währungen eingeführt werden«. Die Ungarn hatten schon früher vorgeschlagen, »realistische Währungskurse sollten einen organischen Zusammenhang zwischen ausländischen und inländischen Preisen herstellen und damit eine Ausdehnung des Handels ermöglichen«.

Um von den Vorteilen der internationalen Arbeitsteilung profitieren zu können, müßte freilich außerdem durch die Produktions- und Preispolitik sichergestellt werden, daß Waren dort produziert werden, wo es aufgrund des Arbeitskräfteangebotes« der Rohstoffversorgung und des Standortes am rentabelsten ist. Gerade das ist bislang in den Comecon-Ländern versäumt worden. Statt nach ökonomischer Kalkulation setzten die osteuropäischen Wirtschaftsplaner beispielsweise die Preise vielfach willkürlich administrativ fest.

Laut Bukarester Beschluß sollen denn auch zumindest die Außenhandelspreise bis Ende 1972 neu bestimmt werden. »Jetzt«, meinte Ungarns Regierungschef Jenö Fock, »sind wir immerhin schon in der Anfangsphase.« Und: »Es ist noch ein weiter Weg bis zum Ziel.«

Am Ende dieses Weges soll die freie Austauschbarkeit des neuen Transfer-Rubel mit den westlichen Währungen stehen.

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