Rückblick 2009
FINANZKRISE
Der frechste Banker ...
... war Dirk Jens Nonnenmacher ("Dr. No"), Vorstandschef der HSH Nordbank. Schon Anfang des Jahres hatte der studierte Mathematiker nicht gut ausgesehen: Trotz eines Milliardenverlusts des Konzerns wollte er zunächst bis zu 200 Millionen Euro an die Investoren ausschütten. Für Empörung sorgte auch eine Sonderzahlung von 2,9 Millionen Euro für Nonnenmacher selbst. Die Zahlung führte die fixierte Obergrenze von 500 000 Euro ad absurdum, die für den HSH-Chef gilt, seit die Bank Staatshilfe erhält. Für Kopfschütteln sorgte zudem, dass die norddeutschen Banker den US-Kollegen von Goldman Sachs 45 Millionen Dollar überwiesen hatten, womöglich ohne dazu verpflichtet gewesen zu sein. Dubiose Transaktionen aus früheren Jahren unter dem Codenamen »Omega« trugen auch Nonnenmachers Unterschrift. Viele Politiker forderten seinen Rücktritt - vergebens. Im November entlastete ihn ein Gutachten der Kanzlei Freshfields, die in der Vergangenheit Millionen mit Aufträgen der Bank verdiente. Nonnenmacher ist der große Aussitzer geworden, während andere Landesbanken den Chef entließen (BayernLB) oder von der Polizei durchsucht wurden (LBBW).
OPEL
Den spektakulärsten Rückzieher ...
... machte General Motors (GM) bei seiner deutschen Tochter Opel. Seit sich die Rüsselsheimer Anfang des Jahres wegen der Absatzkrise von der Konzernmutter abkoppeln wollten, stellte sich die Nation die Frage: Was wird aus Opel? Muss der Staat einspringen? Und wenn ja - wie? GM stellte Opel zunächst zum Verkauf und entfachte einen bisweilen absurden Bieterwettstreit. Das beste Angebot kam dabei vom Autozulieferer Magna - zumindest aus Sicht von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Opel-Betriebsratschef Klaus Franz. Er hatte mit Magna bereits eine Mitarbeiterbeteiligung gegen entsprechende Lohnabschläge ausgehandelt. Bis in den Spätsommer hinein wurde verhandelt, gepokert und umgebaut. Dann kam alles ganz anders: GM, mit vielen Milliarden frischen US-Staatsgeldes aus der Insolvenz entlassen, beschlichen plötzlich wieder Muttergefühle für die Tochter. Auch an die Technologiekompetenz der Europäer schien man sich plötzlich zu erinnern. Mit ein paar tausend Entlassungen und ein paar Milliarden an Staatsgeld will GM-Manager Nick Reilly nun erneut durchstarten.
DEUTSCHE BAHN
Die Entgleisung
des Jahres ...
... erlebte Bahn-Chef Hartmut Mehdorn, 67, der im März seinen Top-Job niederlegen musste. Zuvor war aufgedeckt worden, dass die Bahn jahrelang die komplette eigene Belegschaft ausgespäht hatte. Offenkundig hatte die Konzernspitze wie vorher schon das Top-Management der Telekom Angst vor Durchstechereien aus den eigenen Reihen, vor kritischen Journalisten und missliebigen Politikern. Zur Aufklärung der Affäre trug Mehdorn wenig bei. Die Bahn informierte nur zögerlich. Fast zehn Jahre stand der grobkantige Manager an der Spitze der Deutschen Bahn. Er habe aus dem Staatsmoloch einen Börsenkandidaten gemacht, sagten selbst manche Gegner. Doch das hat immer neue Image-Desaster nicht verhindert. Mehdorns Führungsstil spiegelte sich oft in skurrilen Zitaten. »Sie können ein Unternehmen nicht mit Wattebäuschen an den Händen sanieren«, war so eines.
VOLKSWAGEN
Die verrückteste Trendwende ...
... gelang dem Wolfsburger VW-Konzern. Noch im Januar war Europas größter Autobauer kurz davor, von der kleinen Sportwagenschmiede Porsche aus Stuttgart-Zuffenhausen übernommen zu werden - dann drehte VW den Spieß um. Mit Optionsgeschäften auf VW-Papiere hatte sich Porsche Zugriff auf 75 Prozent der VW-Aktien gesichert. Doch die waghalsigen Finanzgeschäfte, die Porsche im Jahr 2008 mehr Gewinn als Umsatz bescherten, mussten mit immer neuen Krediten abgesichert werden - und drohten die Schwaben am Ende zu erdrücken. Nun übernimmt VW und gliedert Porsche als zehnte Marke in den Konzern ein. Die Auseinandersetzung der beiden Autobauer war immer auch eine familiäre - zwischen VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch und Porsche-Aufsichtsratschef Wolfgang Porsche, beides Enkel von Ferdinand Porsche. Am Ende setzte sich Piëchs Linie durch: Anfang Mai begrub Porsche die Übernahmepläne. Kurz darauf verriet Piëch, Porsche-Chef Wendelin Wiedeking besitze »zurzeit« noch sein Vertrauen. Das verhieß nichts Gutes: Im Juli musste Wiedeking, zeitweise Europas bestbezahlter Manager, gehen. Er bekam als Abfindung rund 50 Millionen Euro. Einen Teil davon wollte er an Hilfsorganisationen zugunsten bedürftiger Journalisten spenden.
ÜBERNAHMEN
Die wirkungsvollste Inszenierung ...
... gelang der »Kugellager-Lady« Maria-Elisabeth Schaeffler. 8000 Mitarbeiter gingen am kühlen Mittwochmorgen des 18. Februar auf die Straße - auch um ihrer Chefin den Rücken zu stärken. In den feuchten Augen der Unternehmerin erkannte selbst die »Süddeutsche Zeitung« am Ende »sichtliche Rührung«. Und Tränen lügen bekanntlich nicht: Das fränkische Familienunternehmen hatte sich zuvor bei der Übernahme des Autozulieferers Continental heillos übernommen - so sehr, dass Schaeffler schließlich sogar um Staatshilfe nachsuchen musste. Es ging dann doch ohne fiskalische Hilfe - aber nur mit großen Zugeständnissen an die Banken. Denn die, allen voran die staatlich gestützte Commerzbank, haben Schaeffler 12 Milliarden Euro geliehen. Für Maria-Elisabeth Schaeffler endete die Mehrheitsübernahme der Continental AG bisher in einem dicken Minus: Sie verlor 92,4 Prozent ihres Vermögens und stieg in der Liste der 300 reichsten Deutschen von Rang 15 auf Platz 260 ab.
PLEITEN
Den traurigsten Ausverkauf ...
... erlebte Arcandor, besser bekannt unter den Traditionsnamen seiner Kaufhaus-Tochter Karstadt und des Versandhandels Quelle. Im Juni musste das Unternehmen Insolvenz anmelden. Dabei hatte der damalige Arcandor-Chef Thomas Middelhoff das Unternehmen noch Anfang des Jahres in der Aufstiegsrunde zur Champions-League gesehen - nicht das einzige Beispiel von Größenwahn. Der Insolvenzverwalter wunderte sich später gewaltig, es gebe in dem Konzern »wirklich nichts, was nicht anderen Leuten gehört«. Middelhoffs Nachfolger Karl-Gerhard Eick bekam für sechs Monate Arbeit 15 Millionen Euro Abfindung. Grotesk war der Auftritt von Großaktionärin Madeleine Schickedanz, die in einem Interview jammerte, wie viel Geld sie verloren habe. Arcandor war der Höhepunkt einer Pleitewelle, die 34 000 Firmen traf - darunter Traditionsmarken wie Märklin, Schiesser oder Rosenthal. Am 19. Oktober erwischte es auch die Arcandor-Tochter Quelle. Ende des Jahres gingen bei dem Versandklassiker in Fürth endgültig die Lichter aus.
Zitate 2009
»Der Konsument will in dieser Krise wenigstens gut aussehen.«
Rolf Sigmund, Deutschland-Chef von L'Oréal, zum höheren Umsatz mit Körperpflegeprodukten
»Wir kaufen auch beim Discounter.«
Madeleine Schickedanz, Arcandor-Großaktionärin und Quelle-Erbin, über ihre Angst vor dem sozialen Abstieg
»Ich war schockgefroren und habe mir erst einmal eine Flasche Wein ins Hirn gehauen.«
Opel-Betriebsratschef Klaus Franz zur Nachricht, dass General Motors Opel doch behalten will
»Ich habe zu viel Geld, ich will mehr Steuern zahlen.«
Bill Gates, Gründer von Microsoft und reichster Mann der Welt
»In jedem anderen Land würde einer wie ich ein Bundesverdienstkreuz kriegen.«
Ex-Bahn-Chef Hartmut Mehdorn (der schon eines hat) über seine vermeintlich undankbare Verabschiedung
»Ich bin bloß ein Banker, der Gottes Werk verrichtet.«
Lloyd Blankfein, Chef der US-Investmentbank Goldman Sachs, über die gesellschaftliche Rolle der Branche im Spätherbst 2009