Russische Gaslieferungen "Auch Kriege enden am Verhandlungstisch"
SPIEGEL: Seit den Gaskriegen zwischen Russland und der Ukraine und dann Weißrussland fürchtet sich der Westen vor Moskauer Erpressung. Verstehen Sie das?
Tschernomyrdin: Die Frage ist, wer hier wen erpresst hat. Russland wird nicht zulassen, dass einer unserer Kunden Schaden nimmt. Die Ukraine und Weißrussland hatten sich einfach an das Gute gewöhnt, an unsere billigen Gaslieferungen. Wichtig ist aber: Alles kann am Verhandlungstisch gelöst werden. Auch Kriege enden am Verhandlungstisch. Nadelstiche gegen Partner sind kein Weg zur Beilegung von Interessenkonflikten. Willkür ist fehl am Platz. Auch Länder, die über keine Rohstoffe verfügen, dürfen nicht in die Ecke getrieben werden.
SPIEGEL: Der Imageverlust Russlands im Westen durch den Gasstreit mit der Ukraine und mit Weißrussland ist groß. War es das wert?
Tschernomyrdin: Es war keinesfalls unsere Absicht, unsere guten Beziehungen zu beschädigen. Insbesondere mit Deutschland haben wir immer gut zusammengearbeitet und uns stets an unsere Lieferverträge gehalten. Wir hatten alle Staaten der ehemaligen Sowjetunion lange vorher darüber informiert, dass wir zu Marktpreisen übergehen werden. Das betraf Armenien, Aserbaidschan, Georgien und Weißrussland, die Nachbarstaaten also, die in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten zusammengeschlossen sind.
SPIEGEL: Der Ukraine hat Moskau Neujahr 2006 das Gas abgedreht, nun fürchten die Menschen im Westen, das gleiche könnte ihnen passieren.
Tschernomyrdin: Man muss die Vorgeschichte kennen. Der ukrainische Präsident Wiktor Juschtschenko hatte selbst vorgeschlagen, die Gasgeschäfte zwischen Russland und der Ukraine transparenter zu machen und fortan alles mit Geld zu begleichen statt mit Tausch- und Gegengeschäften. Letztlich haben wir den Gashahn ja nicht zugedreht und werden das auch nicht tun.
SPIEGEL: Uns scheint, dass es nicht nur ums Geschäft ging, sondern auch darum, dass die Ukraine sich nach der Orangene Revolution von Moskau ab- und den Amerikanern zuwandte.
Tschernomyrdin: Ansichtssache. Eigentlich ist das eine reine Geschäftsfrage, aber politische Überlegungen spielen mit hinein. Daher rührt dann die Wahrnehmung, dass Russland Druck ausübe. Aber: Wir haben nichts gefordert außer normalen Geschäftsbeziehungen. Seit dem Ende der Sowjetunion sind fünfzehn Jahre vergangen. Am Ende war es doch so, dass der ukrainische Verbraucher für Gas weniger zu zahlen hatte als der russische. Da fragten unsere Bürger natürlich, wie das sein kann. Es ist russisches Gas. Gas, das wir fördern und liefern. Wieso sollen Russen mehr zahlen als Ukrainer?
SPIEGEL: Gelegentlich ist in Moskau ein interessanter Vergleich zu hören: Die Ukraine, ein schönes Mädchen, ließ sich lange von Moskau aushalten, bekam Brillianten, Autos und eine schöne warme Wohnung. Dann hat sie sich mit den Amerikanern eingelassen.
Tschernomyrdin: Daran ist richtig, dass Russland die ukrainische Wirtschaft über viele Jahre gewaltig subventionierte ohne jede Gegenleistung. Es kann nicht sein, dass die Ukraine sich von Russland weiter Geld erhofft und gleichzeitig ihr Glück woanders sucht. Willst du dort glücklich werden, musst du auch mit dem zufrieden sein, was du von dort bekommst.
SPIEGEL: Nun schaut selbst der weißrussische Präsident Lukaschenko nach Westen, einstmals ein enger Bündnispartner Moskaus.
Tschernomyrdin: Der Jahreshaushalt der weißrussischen Wirtschaft beläuft sich auf 14 Milliarden Dollar. Russland hat ihn über Jahre mit Unterstützung in Höhe von sechs bis neun Milliarden Dollar subventioniert. Darüber war Weißrussland begeistert. Nur kann das nicht ewig so bleiben.
SPIEGEL: Ist es nicht so, dass die unterschiedlichen Preise für verschiedene Nachbarländer doch zeigen, dass die Preise politische Preise sind?
Tschernomyrdin: Die Preise sollen Marktpreise sein und so hoch wie überall. Markt ist Markt. Deutschland, Polen, Tschechien kaufen unser Gas auch zu Weltmarktpreisen. Es ist auch nicht Russland, das die Preise auf dem internationalen Markt bestimmt. Der Preis wird auf der Grundlage des Ölpreises errechnet. Im übrigen hat Präsident Wladimir Putin kürzlich darauf hingewiesen, dass auch in Russland die Gaspreise bis 2010 echte Marktpreise sein werden.
SPIEGEL: Hat Russland eigentlich auch Fehler gemacht in seinen Beziehungen zur Ukraine?
Tschernomyrdin: Unsere Banken und Firmen sind zu schwach vertreten. Wir liegen nach dem Investitionsvolumen nur an siebter Stelle. Wir müssten uns mehr um die Ukraine kümmern und die Ukrainer sollen sich umgekehrt mehr nach Russland trauen. Davon spricht auch Präsident Putin.
SPIEGEL: Sie sollen über Aktien von Gasprom, dessen Chef sie lange waren, fünf Milliarden Dollar reich sein. Stimmt das?
Tschernomyrdin: Das ist ein altes Thema. Auf einer Pressekonferenz hat mich das eine tschechische Journalisten das erste Mal gefragt. Ich dachte zunächst, das sei ein Scherz. Ich habe sie dann nach vorne gebeten und ihr eine Vollmacht geschrieben, dass sie egal in welcher Bank der Welt, meine fünf Milliarden Dollar abholen kann. Kurz: Ich habe nie Gasprom-Aktien besessen.
SPIEGEL: Aber Ihre Familienmitglieder.
Tschernomyrdin: Ja, meine Söhne. Sie arbeiteten bei Gasprom-Transgas. Als ich aber Regierungschef wurde, habe ich sie gebeten, ihre Aktien zu verkaufen. Sie besitzen heute keine Gasprom-Aktien mehr. Weder ich noch meine Söhne sind über Aktien mit Gasprom verbunden.
SPIEGEL: Der Anteil des russischen Staates an Gasprom hat sich erhöht und liegt nun bei mehr als 50 Prozent. Wäre es nicht besser, solch einen Betrieb privatwirtschaftlich zu führen?
Tschernomyrdin: So wird es mit der Zeit bestimmt kommen. Gegenwärtig ist Russland noch in einer wirtschaftlichen Übergangszeit und die war mitunter sehr schroff. Menschen und Strukturen müssen sich erst anpassen. Manche fanden sich danach hinter schwedischen Gardinen wieder. Sie zahlten keine Steuern, wollten alles über Nacht an sich raffen, wurden arrogant und wollten die Politik des Staates beeinflussen.
SPIEGEL: Sie meinen den Ölmagnaten Michail Chodorkowskij
Tschernomyrdin: Ja. Das lässt sich kein Staat gefallen. Ein solider Staat lässt das nicht durchgehen. Wenn der Westen Chodorkowskij in Schutz nehmen will, wird von Menschenrechten und Wirtschaftsfreiheit gesprochen, niemand spricht von hinterzogenen und ins Ausland transferierten Steuerbeträgen.
SPIEGEL: Gasprom hat eine Menge Tochterunternehmen, die nicht zum Kerngeschäft gehören. Es betreibt Kindergärten und produziert Mineralwasser. Ist das sinnvoll?
Tschernomyrdin: Auf profilfremde Aktiva sollte verzichtet werden. Ein Unternehmen sollte keine zusätzlichen Lasten mit sich herumschleppen. Als wir zu Sowjetzeiten Gasfelder im Norden unseres Landes errichteten, musste die ganze Infrastruktur mitgebaut werden, einschließlich Landwirtschaft, Schulen, Wohnungen. In der Tundra gab es ja weder Straßen noch Lebensmittel. Das Gasministerium hatte 300 Landwirtschaftsbetriebe. Heute ist das an die Städte abgegeben worden.
SPIEGEL: Warum hat sich Gasprom dann ein Medienimperium aufgebaut, das mit dem Kerngeschäft nichts zu tun hat und ein Mittel der politischen Einflussnahme ist?
Tschernomyrdin: Das ist der Zug der Zeit. Gasprom ist ein bedeutendes Unternehmen und muss sich darstellen können. Ob man will oder nicht, das hängt nun mal mit der Politik zusammen. Mitte der Neunziger Jahre sprach ich in Amerika mit dem Chef von General Electric, der mir erzählte, wie viel Zeit er für den Fernsehkanal aufwende. Ich war sehr überrascht und fragte, ob er denn mit dem Kerngeschäft nicht ausgelastet sein. Er sagte mir: "Mit der Zeit werden Sie das auch verstehen. Die Medien bringen einfach mehr Rendite."
Das Interview führten Erich Follath und Matthias Schepp