Ölpreis-Einbruch Finanzminister warnt vor Russland-Crash

Vor einer Wechselstube in Moskau: "Was, wenn es morgen 20 Dollar sind?"
Foto: MAXIM SHEMETOV/ REUTERSMoskaus Wirtschaftselite kommt in diesen Tagen zum jährlichen Gaidar-Forum zusammen. "Russland und die Welt: Ein neuer Vektor" lautet der Titel der Tagung in diesem Jahr. Für Russlands Wirtschaft ist bislang nur eine Richtung zu erkennen: es geht - im Sog des Ölpreises - steil nach unten.
Moskaus Tageszeitungen fragen ängstlich, welche Folgen der Absturz für Russland haben wird. "Was, wenn es morgen 20 Dollar sind?", schreibt das Wirtschaftsblatt "RBK-Daily" auf seiner Titelseite, und - etwas überspitzt - "ob es noch Leben geben wird bei 15 Dollar?" Seit Jahresbeginn ist der Preis pro Barrel um fast 20 Prozent gesunken, seit November sogar um 40 Prozent. Ein Fass der Sorte Brent kostete zwischenzeitlich nur noch 30 Dollar, die russische Sorte Urals sogar nur noch 27,40 Dollar.
Die neuen Turbulenzen am Ölmarkt machen Russland schwer zu schaffen, da sich die Staatseinnahmen zu einem großen Teil aus Rohstoffexporten speisen, vor allem aus Öl und Gas. Für einen ausgeglichenen Haushalt benötigt die Regierung in Moskau Experten zufolge einen Ölpreis von 105 Dollar je Fass. Jeder Dollar weniger bedeutet für den Staat Mindereinnahmen von rund zwei Milliarden Dollar. Ministerien und Banken rechnen eilig neue Krisenszenarien durch. Der Haushalt sieht bisher noch Ausgaben von umgerechnet 200 Milliarden Euro vor, bei einer Neuverschuldung von drei Prozent des Bruttoinlandprodukts - aber die Berechnung geht noch von einem Ölpreis von 42 Dollar aus.
Die Preiskrise dürfte Russlands Wirtschaft auch 2016 schrumpfen lassen. Bei einem Ölpreis im Jahresdurchschnitt von 35 Dollar rechnet die Zentralbank mit einem Rückgang der Wirtschaftskraft von bis zu drei Prozent. Die Neuverschuldung könnte auf bis zu fünf Prozent hochschnellen.
Russlands Devisenreserven von 400 Milliarden Dollar schmelzen
Finanzminister Anton Siluanow nutzte den Auftakt des Gaidar-Forums zur Warnung: Das Budget müsse schleunig angepasst werden. "Wenn wir das nicht tun, wird das Gleiche passieren wie 1998/99", sagte Siluanow.
Das ist eine Warnung, die jeder Russe versteht: 1998 stürzte Russland in den Staatsbankrott. Der Rubel verlor extrem an Wert, Banken brachen zusammen, Millionen Russen verloren ihre Ersparnisse, die Inflation stiegt auf 84 Prozent. Das Land brauchte Jahre, um sich von dem Absturz zu erholen.
Anders als damals ist der russische Staat heute allerdings kaum verschuldet. Russlands Devisenreserven belaufen sich noch immer auf mehr als 400 Milliarden Dollar, auch wenn sie sinken.

Menschen im verschneiten Moskau: 22 Millionen Russen leben unter dem Existenzminimum
Foto: Alexander Zemlianichenko/ AP/dpaDie dramatische Mahnung des Finanzministers ist wohl auch taktischer Natur. Siluanow stehen harte Verhandlungen mit seinen Kabinettskollegen über das nötige Sparprogramm bevor, die Kürzungen sollen sich auf zehn Prozent belaufen.
Für Wladimir Putin könnte 2016 eines der schwierigsten Jahre seiner Präsidentschaft werden. Er hat versprochen, trotz Einnahmeausfällen Steuern und Abgaben nicht zu erhöhen. Tut er es dennoch, könnte die Kreml-Partei "Einiges Russland" die Quittung dafür bekommen. Im September wählen die Russen ein neues Parlament. Ende des vergangenen Jahres protestierten bereits die Fernfahrer gegen die Einführung einer Lkw-Maut und blockierten Schnellstraßen.
Der Präsident hat in der Krise stets Optimismus demonstriert, fast bis zur Realitätsverweigerung. Ende 2014 - der Absturz der Energiemärkte hatte gerade begonnen - beteuerte Putin, langfristig könne der Ölpreis gar nicht unter 80 Dollar fallen, denn das werde "die Weltwirtschaft zerstören". Im November 2015 verkündete Putin, man habe den wirtschaftlichen Wendepunkt erreicht, als Nächstes werde es darum gehen, "ein stabiles Wachstumstempo" zu erreichen.
Die Abwertung des Rubels befeuert die Inflation
Jetzt rächt sich, dass Russland nicht früher seine Abhängigkeit von Rohstoffexporten gesenkt hat. Mit Blick auf die Wahlen hat Finanzminister Siluanow zugesagt, alle "sozialen Verpflichtungen" des russischen Staates unangetastet zu lassen. Gemeint sind die Bezüge von 40 Millionen Rentnern, die Gehälter der Staatsbeamten und alle Sozialausgaben.
Wie schwierig Sparrunden in Russland werden können, hat Siluanow schon im vergangenen Jahr erfahren müssen: Auch damals sollten zehn Prozent der Ausgaben gekürzt werden. Die Einsparungen wurden fast vollständig aufgezehrt durch Rentenzuschläge, mit denen Ruheständler für die steigende Inflation entschädigt werden. Am Ende lagen die Staatsausgaben weniger als ein Prozent unter den Planungen.
Die Inflation wird befeuert durch die Abwertung des Rubels. 2015 lag sie bei elf Prozent, allein Lebensmittel wurden um 20 Prozent teurer. Das lässt immer mehr Menschen in Armut rutschen. Im vergangenen Jahr lebten 22 Millionen Russen unterhalb des Existenzminimums, 2014 waren es noch 18,9 Millionen.
Die Probleme haben allerdings nicht dazu geführt, dass Putins Beliebtheit zurückgeht. Umfragen bezeugen eine bemerkenswerte Gelassenheit der Russen. Gerade einmal acht Prozent glauben, dass es ihnen 2016 schlechter gehen wird als im Jahr zuvor. Fast jeder zweite glaubt sogar, es werde besser.
Zusammengefasst: Der fallende Ölpreis drückt Russlands Wirtschaft. Die Staatseinnahmen speisen sich zum großen Teil aus Rohstoffexporten, jetzt geht die Angst um vor einem neuen Bankrott wie 1998. Finanzminister Anton Siluanow mahnt drastische Haushaltskürzungen an. Dennoch: Der Beliebtheit von Präsident Putin tut das keinen Abbruch.