S.P.O.N. - Wolfgang Münchau Es ist die Politik, Dummkopf!
Wird es der Politik gelingen, den Euro zu retten? Wohl kaum. Damit ist die Katastrophe unausweichlich geworden. Das hat weniger mit wirtschaftlichen Entwicklungen zu tun als mit politischen Narrativen, die sich über Jahre verfestigt haben.
In Deutschland gibt es zwei sonderbare Geschichten, die man sich so häufig erzählt hat, dass alle daran glauben. Schlimmer noch, sie bilden die Basis für die Vorschläge, die jetzt zur Debatte stehen und zum Scheitern verurteilt sind, genauso wie die anderen Scheinlösungen zuvor.
Die erste dieser Lügen betrifft die Ursachen der Krise. In Deutschland glaubt fast jeder, dass die Krise durch schlechte Haushaltspolitik verursacht wurde. Das ist falsch. Natürlich hat Griechenland alle Regeln einer guten Haushaltspolitik gebrochen - aber nicht Spanien, nicht Portugal, nicht Irland, nicht Italien, nicht Frankreich, nicht Österreich, nicht Belgien. Der Grund, warum wir heute in diesem existentiellen Schlamassel stecken, hat nichts, aber auch gar nichts mit den Verfehlungen eines kleinen Landes in der fernen südöstlichen Ecke der Währungsunion zu tun. Die Krise betrifft mittlerweile Länder, von denen sich die meisten an die Regeln hielten.
Nehmen Sie als Beispiel Spanien. Die Spanier haben sich stets brav an den Stabilitätspakt gehalten, mehr noch als die Deutschen. Sie haben jahrein, jahraus Haushaltsüberschüsse erzielt und wurden von allen dafür gelobt. Und jetzt steht das Land kurz vor dem Bankrott.
Die Märkte wollen keine weiteren Sparmaßnahmen
Fragen Sie sich doch einmal, wie die vor kurzem beschlossene Schuldenbremse den Spaniern helfen soll. Oder die von Angela Merkel vorgeschlagene Reform der europäischen Verträge. Wenn man reinschreibt, dass alle eine Schuldenbremse brauchen und dass man die Sünder vor den Europäischen Gerichtshof zitiert, wie Merkel vorschlägt, was hilft das einem Land, das die Regeln immer einhielt?
Ich bin daher nicht im Geringsten überrascht, dass sich die Finanzmärkte für die Schuldenbremse und die vorgeschlagenen Vertragsänderungen überhaupt nicht interessieren. Im Gegenteil, sie fürchten nichts mehr als eine weitere Runde von Sparmaßnahmen, die die notwendige realwirtschaftliche Anpassung der südeuropäischen Länder weiter erschweren wird. In den Tagen nach dem Wahlsieg der spanischen Konservativen unter ihrem zukünftigen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy knallten die Zinsen kräftig in die Höhe, weil die Märkte jetzt genau das fürchten.
Sie verstehen die Logik der Krise besser als die Politiker. Die ökonomische Ursache ist die private Verschuldung, nicht die öffentliche. Und das wurde genau deswegen zu einem Problem für die Staatshaushalte, weil jedes Land für sein eigenes Bankensystem haftet. Das ist nur passiert, weil Merkel und ihr damaliger Finanzminister Peer Steinbrück im Oktober 2008 jede europäische Lösung der Bankenkrise ablehnten. Das war kurz nach der Pleite der US-Bank Lehman Brothers. Es war die Ursünde im Krisenmanagement, weil sie aus einer überschaubaren Bankschuldenkrise eine ausufernde Haushaltskrise machte. Wenn man damals einen europäischen Auffangfonds für Banken geschaffen hätte, dann wären die späteren Krisenmaßnahmen unnötig geworden.
Ich nenne es die Fiskal-Lüge, die Reduzierung aller Ursachen auf eine unverantwortliche Haushaltspolitik.
Die zweite Lüge ist die Inflationslüge, wonach Deutschland aufgrund seiner historischen Erfahrungen mit der Inflation mehr als andere Staaten auf dem Prinzip der Preisstabilität beharrt. Diese Lüge wird momentan angeführt, um zu verhindern, dass die Europäische Zentralbank in großem Maße Anleihen aufkauft. Angeblich würde das die Inflation ankurbeln.
Deutschland hat die Deflation der dreißiger Jahre verdrängt
Ob es in den jetzigen Zeiten tatsächlich zu einer Inflation käme, sei einmal dahingestellt. Interessanter ist die Lüge an sich, denn die deutschen wirtschaftshistorischen Erfahrungen sind gar nicht einmal so fundamental anders als die anderer Länder. In Deutschland blendet man gerne die dreißiger Jahre aus - nicht nur die mittleren und späteren, auch die früheren. War es wirklich die Inflation der frühen zwanziger Jahre, die, anstelle der Deflation der frühen dreißiger Jahre, Hitler an die Macht brachte? Teile des deutschen Bürgertums waren durch die Inflation traumatisierter als durch die Ereignisse danach.
Aber ist das wirklich eine Geschichtsinterpretation, die man unkritisch übernehmen sollte? Der Anstieg der Arbeitslosigkeit und die Deflation der dreißiger Jahre verursachten Massenelend in Deutschland, sehr ähnlich dem in Großbritannien und den USA. Der Unterschied zwischen Deutschland und den USA in der heutigen Wahrnehmung dieser Ereignisse besteht in Deutschlands selektivem Gedächtnis. Man hat die Deflation einfach verdrängt.
Eine der wichtigsten wirtschaftspolitischen Erkenntnisse der damaligen Zeit war es, dass Staat und Zentralbank eingreifen müssen, um den Teufelskreis von Deflation und Schulden zu brechen. Spanien ist jetzt genau an diesem Punkt. Und es war die historische Lehre aus der amerikanischen Bankenkrise im Jahre 1907, dass man eine Zentralbank braucht, die als Käufer der letzten Instanz dient.
Damals rettete ein wohlhabender Bankier - J.P. Morgan - das System. Das war offensichtlich keine dauerhafte Lösung. Als Konsequenz schuf man die Federal Reserve - die heutige Zentralbank. Was ohne einen funktionierenden Auffangmechanismus passiert, zeigt uns schließlich der Zusammenbruch der Österreichischen Creditanstalt im Jahre 1931 - der Auslöser der Großen Depression.
Wer Ursache und Wirkung einer Krise missversteht, wird sie nicht lösen. Das ist das eigentliche Problem mit unseren kombinierten Fiskal- und Inflationslügen. Mit Sparen kommt man aus dieser Krise nicht raus. Auch nicht mit Strukturreformen. Erst recht nicht mit falsch motivierten europäischen Vertragsänderungen. Die Krise ist mittlerweile derart weit fortgeschritten, dass ohne die EZB nichts mehr geht. Und ohne Euro-Bonds ebenfalls nicht.
Der Grund für den Pessimismus besteht darin, dass wir nur noch wenig Zeit haben, maximal ein oder zwei Monate. Man kann einfach nicht mehr davon ausgehen, dass es der Politik gelingen wird, in dieser kurzen Zeit die verfestigten Narrative zu ändern und dann daraus die richtigen Konsequenzen zu ziehen.