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AUTOMOBILE Schäden in der Lenkung

Seit sich in Amerika eine Autofahrerfreundliche Rechtsprechung durchsetzte, rufen auch deutsche Autokonzerne und Reifenfirmen immer häufiger ihre Kunden zu Besuchen in die Werkstatt.
aus DER SPIEGEL 6/1977

Gut versteckt, auf einer der letzten Seiten ihres Wirtschaftsteils, brachte die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« am Donnerstag der vergangenen Woche eine 16-Zeilen-Meldung: »Esso ruft Reifen zurück«, stand da, »weil nach einer gewissen Laufzeit bei ungewöhnlicher Beanspruchung Laufflächenablösungen eintreten können.«

Für einige Dutzend jener Tausende deutscher Autofahrer, die Esso-Reifen kauften und deren Adressen niemand kennt, könnten die nichtssagenden Zeilen lebensentscheidend werden.

Denn eigentlich hätte die Meldung so formuliert werden müssen: Eine Reihe schwerer Unfälle zwingt die Esso AG dazu, alle von ihr seit Anfang 1973 verkauften Sommer-Stahlgürtelreifen zu überprüfen. Bei hohen Geschwindigkeiten besteht die Gefahr, daß die Reifen zerfetzen.

Von dieser Version hält die Esso AG wenig, ebensowenig wie die Firmen der Reifenbranche. Harmlos formulierte Rückrufmeldungen werden für die Presseabteilungen zur Routinearbeit, die den Firmen leicht von der Hand geht.

So meldete Ende Dezember Firestone einen Rückruf von 10 000 Hochgeschwindigkeitsreifen. Im Monat davor waren die unscheinbaren Pannen-Notizen fast Woche um Woche zu lesen: Bei Continental ging es um 100 000 Hochgeschwindigkeitsreifen; Veith Pirelli war mit 200 000 und Uniroyal mit 250 000 Pneus dabei.

Ähnlich rückrufträchtig war die Autoindustrie, jene Branche, die den amerikanischen Rückrufbrauch unfreiwillig aus den USA importierte. Allein im letzten Vierteljahr meldeten sich fast alle namhaften Firmen und versprachen unauffällig Ausbesserung.

Ende September mußten die Bayerischen Motorenwerke ihre Kundschaft zum Werkstattbesuch bitten. Bei den von Mai bis September 1976 verkauften BMW-Sechszylindern drohten Defekte an der Servolenkung.

Ähnlichen Ärger hatten Ford und Volvo: Weil ein paar Schrauben an der Servolenkung vielleicht nicht fest genug angezogen waren, mußten fast 2500 Volvos der Typen 240 und 260 überprüft werden.

Ford warnte die Fahrer von 32 000 nagelneuen Taunus-Modellen wegen möglicher Lenkungsdefekte. 92 000 Granada-Eigner erfuhren, daß ihre Handbremse die unangenehme Neigung hatte, sich eigenmächtig zu lösen -- unerfreulich besonders bei Autos, die auf abschüssigem Grund parken.

Auch die beste Adresse war erstmals seit 1971 wieder dabei. Daimler-Benz riet 30 OO0 deutschen Eignern schwerer Mercedes-Limousinen (280 S bis 450 SEL) brieflich zum Werkstattbesuch: Es können nach längerer Laufzeit Schäden im Bereich der Lenkungsbefestigung auftreten.«

Daß Daimler-Benz der intern längst geregelten Aktion auch noch eine Pressemitteilung widmete, hatte nur einen Grund: In Amerika muß von Gesetzes wegen jeder Rückruf publiziert werden.,, Um Verwirrung vorzubeugen«, so Mercedes-Direktor Helmut Schmidt, gab man die Panne in den USA und Deutschland gleichzeitig bekannt. »Die Öffentlichkeit«, lobt Schmidt, »reagiert auf solche Aktionen inzwischen doch erfreulich gelassen.«

Noch vor wenigen Jahren konnte von dieser vornehmen Zurückhaltung nicht die Rede sein, weder in Amerika noch in der Bundesrepublik. Erstes Opfer des erwachten Selbstbewußtseins der Konsumenten wurde der Volkswagen-Konzern, der in den USA einschlägige Erfahrungen sammeln mußte.

Der amerikanische Verbraucheranwalt Ralph Nader hatte sieh Mitte der sechziger Jahre auf Pfusch am Auto konzentriert und rasch auf die Wolfsburger eingeschossen: »Es gibt kaum ein gefährlicheres Auto als den Volkswagen.«

Das gab es dann doch. Nachdem der US-Kongreß gegen den erbitterten Widerstand der Auto-Lobby ein Gesetz verabschiedet hatte, das jeden Hersteller verpflichtete, gefährliche Fehlkonstruktionen öffentlich einzugestehen und für eventuelle Schäden zu haften, brach eine Prozeßlawine los.

Der Fahrer eines Fords etwa klagte, weil sich während der Fahrt die Hinterachse mitsamt den Rädern verabschiedet hatte -- ein Konstruktionsfehler.

Die wohl härteste Prozeß-Schlacht lieferte sich General Motors mit den Käufern von 6,7 Millionen Chevrolets: Die zu schwache Motoraufhängung gab bei der Fahrt durch enge Kurven gelegentlich nach. Der Motor kippte dann zur Seite und setzte dabei vollautomatisch die Bremsanlage außer Betrieb. Und weil sich manchmal auch noch das Gasgestänge verbog, bekam der Motor plötzlich Vollgas.

Chevy-Fahrer konnten ihre losbrausenden Autos nur noch durch rasches Abschalten der Zündung stoppen. Doch das rührte den damaligen GM-Chef Edward Cole nicht: »Wer in dieser Situation seinen Wagen nicht beherrschen kann, gehört nicht hinter das Steuer eines Autos.«

Von der amerikanischen Gesetzgebung und Rechtsprechung gewarnt, entschlossen sich die Firmen, auch in Deutschland zurückzurufen. Bei Ford kamen nacheinander Capri, Escort, Taunus und Granada an die Reihe, hei Opel erwischte es den Kadett und hei VW nach dem Käfer auch den Golf.

Die oft kostspieligen Aktionen -- hei Mercedes kostet die nachträgliche Sicherung der Lenkung rund 80 Mark pro Wagen -- starten die Autobauer freilich nur im äußersten Notfall: wenn der Fehler die Sicherheit beeinträchtigt. Mercedes-Schmidt: »Das ist das entscheidende Kriterium.«

Andere Pannen dagegen werden »vorzugsweise intern beseitigt«, gibt Claus Borgward zu, Sohn des früheren Bremer Autoproduzenten und Chef der VW-Qualitätskontrolle.

Die Autohersteller konnten, ganz im Gegensatz zu den Reifenfabrikanten, ihre Rückruf-Systeme längst perfektionieren: In aufwendigen Adressenkarteien sind die Daten aller Fahrzeuge und ihrer Käufer gespeichert. Wenn es brenzlig wird, ist die Kundschaft schon brieflich gewarnt, bevor die Meldung in der Zeitung steht.

Die Wirkung der winzigen Meldungen, auf die sich die Reifenfirmen verlassen, schätzen die Experten gering. Borgward: »Die bringen kaum etwas.«

Noch in dieser Woche sollten sich deshalb auch die Fahrer von 105 000 VW-K 70 auf blaue Briefe einrichten: Wegen der Gefahr schwerer Korrosionsschäden an den vorderen Radlagern muß VW die zwischen 1971 und 1973 gebauten Wagen dieses Typs in die Werkstätten rufen.

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