Affären Schalten und walten
Im westfälischen Nottuln lebte Steueroberinspektor Reinhard Fiele ziemlich unauffällig und zurückgezogen. Als einzige Extravaganz leistete er sich eine Kawasaki und einen gebrauchten Sportwagen, einen Renault Alpine.
In 19jähriger Ehe hatte er es mit seiner Frau zu bescheidenem Wohlstand gebracht. »Ein normales Leben mit seinem Gehalt und meinem Gehalt«, sagt Elsbeth Fiele, 39, die in Brandenburg Computerkurse veranstaltet.
Dann stiegen beide zu Millionären auf: Zunächst erbte die Frau ein ordentliches Vermögen, ein paar Jahre später hatte Fiele, 38, rund 7,2 Millionen Mark auf seinen Konten. Mit dem »normalen Leben« war es vorbei.
Der Steueroberinspektor sitzt in Untersuchungshaft, seiner Frau hat der Gerichtsvollzieher vergangene Woche die Wohnungseinrichtung, ihren Geländewagen und alle Konten gepfändet.
Das Leben des bislang biederen Finanzbeamten (Besoldungsgruppe A 10, rund 4400 Mark monatlich) geriet aus dem Lot, als er sich im August 1991 vom Finanzamt Recklinghausen zum Finanzamt Potsdam-Land versetzen ließ und dort Manuela kennenlernte. Daraufhin begann es in Fieles Ehe zu kriseln.
Abgeschnitten vom Geld seiner Frau, konnte der unscheinbare und introvertierte Beamte seiner attraktiven 30jährigen Freundin wenig bieten. Da beschloß er offenbar, sein bescheidenes Einkommen durch einen Griff in die Steuerkasse kräftig aufzubessern.
In ostdeutschen Finanzämtern, so mußte der nordrhein-westfälische Leihbeamte schnell gemerkt haben, herrscht ein noch größeres Chaos als in den westlichen Behörden. So hatte Oberinspektor Fiele vermutlich leichtes Spiel. Zudem saß er an der Quelle: in der Abteilung Steuerrückerstattung.
Immer mal wieder geraten Finanzbeamte in Versuchung, Freunden und Verwandten illegal Steuerrückerstattungen zukommen zu lassen oder Personen zu erfinden, deren fingierte Rückerstattungen dann auf eigenen Konten landen. Aber fast immer fliegt der Betrug durch interne Kontrollmechanismen rasch auf.
Im Finanzamt Potsdam-Land, so scheint es, gab es solche Kontrollen nicht. Fiele konnte nach Feststellung der Staatsanwaltschaft Potsdam in zwei Jahren 7,2 Millionen Mark abzweigen. Der Beamte benutzte, wie er mittlerweile gestand, den nicht sonderlich originellen Trick mit der sogenannten Vorsteuererstattung: Er suchte sich Firmen, die in Konkurs gegangen waren und erstattete ihnen angeblich die Vorsteuer.
Jedes Unternehmen, das von einer anderen Firma Waren bezieht, muß die darin enthaltene Mehrwertsteuer zahlen. Da diese Abgabe aber nur der Endverbraucher entrichten soll, holt sich das Unternehmen beim Weiterverkauf der Ware die Mehrwertsteuer vom Finanzamt zurück.
Wenn beispielsweise ein Textilhändler von einer Bekleidungsfabrik ein Sacko für 299 Mark kauft, erhält er vom Fiskus eine Vorsteuererstattung von 39 Mark zurück. Die Fabrik hat ihm nämlich eine Jacke im Wert von 260 Mark geliefert, zuzüglich 15 Prozent Mehrwertsteuer.
Für seinen Schwindel benutzte Fiele, so fand der Fiskus heraus, mindestens zwei Dutzend Firmen, die längst in Konkurs gegangen waren. Die ergaunerten Beträge, meist in sechsstelliger Höhe, flossen zum größten Teil auf drei Konten des EDV Bildungswerks Brandenburg e.V.
Diesen Verein hatte Elsbeth Fiele im Juli 1991 gegründet, um damit an lukrative Schulungsaufträge in den neuen Bundesländern zu kommen. Daraus wurde jedoch nichts, und so existierte der Verein nur auf dem Papier, Mitgliederversammlungen fanden nicht statt.
Vorsitzende im EDV Bildungswerk Brandenburg war Elsbeth Fiele, zweiter Vorsitzender ihr Bekannter Jürgen Pallas, ein kleiner EDV-Händler aus Münster. Unter den fünf weiteren Mitgliedern war auch der Ehemann der Vorsitzenden. Der machte sich im April 1992 zum Geschäftsführer. Eine Vollmacht, so beteuern die beiden Vorstandsmitglieder, hätten sie ihm nicht erteilt.
In Potsdam eröffnete Fiele bei der Deutschen, der Dresdner und der Berliner Bank Konten für den Verein. Den Banken präsentierte er einen vom Vereinsvorstand unterschriebenen Vertrag, nach dem er als Geschäftsführer allein über die Vereinskonten verfügen könne.
Kaum hatte der Oberinspektor die drei Vereinskonten aufgemacht, landeten dort die erschwindelten Millionen aus den fingierten Vorsteuererstattungen.
Fiele und seine mutmaßliche Mittäterin Manuela hätten wohl noch ein paar Millionen mehr abgeräumt, wenn der Betrug nicht Ende Mai durch einen Zufall herausgekommen wäre: Die telefonische Rückfrage einer Bank landete versehentlich bei einem Kollegen.
Daraufhin flüchteten Fiele und Freundin Manuela. In Florida wurden die beiden aufgestöbert. Um nicht in US-Haft zu kommen, stellten sich die beiden am Samstag vorletzter Woche der Kripo. Fiele legte gleich ein Geständnis ab. Rund 5 Millionen Mark sind inzwischen sichergestellt; wo die restlichen 2,2 Millionen sind, ist noch unklar.
Inzwischen hat sich das Finanzamt zwei Schuldige ausgeguckt: die beiden Vorstandsmitglieder des EDV Bildungswerks Brandenburg.
Sowohl Elsbeth Fiele als auch Jürgen Pallas, so die Potsdamer Finanzbeamten in einem barschen Schreiben, hätten »durch Ihr Verhalten maßgeblich dazu beigetragen«, daß Reinhard Fiele »den von Ihnen vertretenen Verein für seine Manipulationszwecke benutzen konnte«, und ihm ermöglicht, »zu schalten und zu walten, wie er wollte«.
Da die beiden Vorstandsmitglieder ihren - angeblichen - Geschäftsführer nicht mit der gebotenen Sorgfalt überwacht hätten, müßten sie nach Paragraph 37, Absatz 2 Abgabenordnung für den entstandenen Schaden haften. Auf den Gedanken, daß sich Reinhard Fiele mit gefälschten Unterschriften selbst zum Geschäftsführer ernannt haben könnte, kamen die Finanzbeamten nicht.
Statt dessen forderten sie von den beiden Vereinsvorsitzenden, mit einer Frist von sieben Tagen, jeweils 6,47 Millionen Mark. Das ist jener Betrag, den Oberinspektor Fiele auf die Vereinskonten überweisen ließ.
Bei Elsbeth Fiele ist die Frist abgelaufen, der Gerichtsvollzieher war schon da. Pallas, der nur mit Mühe den Vorschuß für seinen Anwalt auftreiben konnte, erwartet den Gerichtsvollzieher in dieser Woche und rechnet mit einer Zwangshypothek auf seine kleine Eigentumswohnung in Münster.
Weshalb die beiden jeweils 6,47 Millionen Mark zahlen sollen, wo doch - nach den längst sichergestellten 5 Millionen Mark - nur 2,2 Millionen der Steuerkasse abhanden gekommen sind, verrät das Finanzamt nicht.
Eines immerhin ist für Potsdam-Land klar: Nicht das Finanzamt, sondern der Vorstand des Vereins hätte den Oberinspektor Fiele kontrollieren müssen.
»Gegen diese Kontroll- und Einwirkungspflicht«, raunzte das Finanzamt Potsdam-Land den münsterschen EDV-Händler Pallas an, »haben Sie in grober Weise verstoßen.« Y