Stahl Schierer Wahnsinn
Auf die in Bonn ist Peter Schulz nicht gut zu sprechen. »Mach im Osten tot, tu keinem Wessi weh«, das sei die Devise von Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt, meint der Betriebsratschef des Henningsdorfer Stahlwerks.
Rexrodt hatte am Mittwoch vergangener Woche in Brüssel einem Kompromiß zugestimmt, der zu Lasten von Schulz und dessen Kollegen geht: Eko Stahl in Eisenhüttenstadt soll erhalten werden, im Gegenzug muß in Henningsdorf ein Teil der Produktion stillgelegt werden.
Der Kompromiß, der besonders den Beschäftigten im Osten absurd erscheint, ist das Ergebnis monatelangen Feilschens - und ein typisches Produkt Brüsseler Planwirtschaft.
Eko benötigt, so die Rechnung der Treuhand, zum Überleben knapp eine Milliarde Mark öffentlicher Hilfe. Die Produktionspalette soll mit einem neuen Warmwalzwerk komplettiert werden. Geplanter Ausstoß pro Jahr: 900 000 Tonnen Stahl.
Doch Stahl gibt es in Europa schon jetzt mehr als genug. Die Produktion muß gedrosselt, Kapazitäten müssen stillgelegt werden.
Freiwillig ist dazu kein EG-Mitglied bereit. Doch die EG-Kommission hat ein Druckmittel: Brüssel muß staatliche Subventionen an die Stahlindustrie genehmigen.
Besonders in Italien und Spanien wird die Stahlbranche mit Milliarden gepäppelt. Brüssel wollte deshalb in Ostdeutschland keine Zugeständnisse machen. »Eine subventionierte Kapazitätsausweitung«, urteilt ein EG-Stahlexperte, »ist in dieser Situation der schiere Wahnsinn.«
Die Kommission lehnte die Subvention für das Eko-Sanierungskonzept deshalb am Mittwoch vergangener Woche ab, schon zum zweitenmal. Doch EG-Stahlkommissar Karel van Miert wies seinem Gast Rexrodt einen Ausweg.
In den neuen Bundesländern, so van Mierts Rechnung, seien bisher 142 000 Tonnen Stahlkapazität eingespart worden. Die geplanten zusätzlichen 900 000 Eko-Tonnen und eine Sonderregelung für das sächsische Edelstahlwerk in Freital hatte er schon gegengerechnet.
Das reiche nicht aus, meinte van Miert. Doch wenn Rexrodt noch 200 000 Tonnen drauflege, dann könne er mit der Zustimmung der Kommission rechnen. Allerdings müsse, so fügte der Kommissar hinzu, der Kapazitätsabbau in den neuen Ländern stattfinden, weil die Kommission stahlpolitisch die Ex-DDR als ein großes Kombinat sehe. Rexrodt hatte einen Vorschlag dabei. Dem italienischen Riva-Konzern, der mit 60 Prozent bei Eko einsteigen will, gehört bereits das Stahlwerk Henningsdorf. Dort könnten die 200 000 Tonnen gestrichen werden. Für die 100 Arbeitsplätze, die dort entfielen, wolle Rexrodt Ersatz schaffen.
Doch der Plan muß in Brüssel einstimmig genehmigt werden. Und die Italiener und Spanier werden sich ihre Zustimmung teuer bezahlen lassen.
Die Kommission ist bereit, den Italienern fünf Milliarden Mark an Subventionen zu genehmigen, wenn Kapazitäten von zwei Millionen Jahrestonnen abgebaut werden.
Dagegen wehren sich die Italiener, obwohl ihnen schon erlaubt worden ist, das Stahlwerk Bagnoli bei Neapel unter der Rubrik Kapazitätsabbau zu verbuchen. Das Werk liegt seit mehreren Jahren _(* In Eisenhüttenstadt. ) still. Milliardensubventionen werden den Spaniern dafür genehmigt, daß sie ihre Kapazität von 5,4 auf 4,1 Millionen Tonnen reduzieren. Tatsächlich werden in Spanien derzeit 3,8 Millionen Tonnen produziert.
Nachdem auch der Eko-Fall gelöst ist, soll sich schon diese Woche der EG-Industrierat mit dem Stahlvorschlag beschäftigen. Die entscheidende Abstimmung wird wohl auf einem Sondertreffen der Stahlminister im Dezember fallen.
So wird in der EG auch künftig weiterhin subventioniert und am Markt vorbei produziert - künftig auch in Eisenhüttenstadt. Y
[Grafiktext]
_123b Eko-Stahl im Vergleich mit größten Stahlerzeugern Europas
[GrafiktextEnde]
* In Eisenhüttenstadt.