VOLKSWAGEN Schlaflose Nächte
Richard S. Cummins, ehemaliger Marinesoldat und seit zwei Jahren Manager der amerikanischen VW-Fabrik in Westmoreland County nahe Pittsburgh, mußte sein Hauptquartier am Dienstag der vergangenen Woche verlegen: Wild streikende Arbeiter hielten das VW-Fabrikgelände besetzt, quergestellte Personenwagen und Dutzende von Streikposten schickten Manager und Monteure mit unmißverständlichen Drohungen nach Hause.
»Die glauben offensichtlich, daß die Leute hier umsonst arbeiten würden, nur weil dies eine wirtschaftlich schwache Region ist«, schimpfte Richard Tremmel, Werkzeugmacher bei VW of America: »Aber das ist ein Irrtum.«
Der Arbeitskampf in Pennsylvania traf das Wolfsburger VW-Management völlig unvorbereitet. Erst am vorvergangenen Freitag hatte Cummins seine Vorgesetzten in Deutschland mit der Nachricht erfreut, VW of America habe sich mit der mächtigen US-Autoarbeiter-Gewerkschaft UAW auf einen Tarifkompromiß geeinigt, bei dem, zumindest nach Ansicht des Managers, für alle Beteiligten genug abfiel.
Innerhalb von drei Jahren, bis Ende 1981, sollten danach die Einkommen der rund 2000 amerikanischen VW-Arbeitnehmer in Westmoreland annähernd auf Höhe des derzeitigen Lohnniveaus von Detroit angehoben werden. Für die meisten Beschäftigten eine ansehnliche Verbesserung. Denn im wenig industrialisierten Westmoreland County wird für amerikanische Verhältnisse, jedenfalls für ungelernte oder angelernte Arbeiter, nicht viel bezahlt.
Das Zugeständnis kann den Deutschen und ihren amerikanischen Statthaltern nicht schwergefallen sein: Der Kontrakt garantierte ein auf mehrere Jahre festgeschriebenes Lohngefüge, das zudem den respektvollen Abstand zu den US-Unternehmen zu wahren versprach: In Detroit beginnen demnächst die Tarifverhandlungen für die beiden kommenden Jahre. Und niemand zweifelt, daß die Auto-Werker bei General Motors oder Ford ansehnliche Zuschläge erstreiten werden.
»Wenn wir in drei Jahren endlich da ankommen, wo die großen Drei jetzt liegen, sind die natürlich längst weitergerückt, und wir holen nie auf«, sagte ein VW-Bandarbeiter letzten Donnerstag.
Gerade diese Aussicht verärgerte die VW-Arbeitnehmer. Mit 1253 zu 94 Stimmen lehnen sie den von ihrer Gewerkschaft ausgehandelten Vertrag ab, obwohl die Gewerkschaftsführer ihn voreilig als vorbildlich gefeiert hatten.
In einer Broschüre, die den VW-Werkern den neuen Vertrag vorstellte, hatte UAW-Präsident Douglas Fraser seine lokalen Unterhändler gelobt: »Wir gratulieren euch zu diesem epochemachenden Ereignis. Die Augen der Welt waren auf euch gerichtet, als ihr mit Volkswagen verhandelt habt. Euer Vertrag wird ein ausgezeichnetes Vorbild für andere ausländische Automobilhersteller werden, die Werke in Amerika errichten wollen.«
Die Gewerkschaftsmitglieder des UAW-Bezirks 2055 sehen das offenbar anders: »Wir sind von der Gewerkschaft verkauft worden«, meinte ein Streikposten.
Schon vor dem großen Krach hatten die unter Erfolgsdruck stehenden US-Manager des VW-Konzerns wenig Feingefühl im, Umgang mit Gewerkschaftern und Arbeitnehmern bewiesen. Die erste Auseinandersetzung war fällig, als VW-of-America-Chef James McLernon zu erkennen gab, daß er am liebsten die Autoarbeiter-Gewerkschaft ganz aus seinem Betrieb ferngehalten hätte.
Zur ersten Produktionseinstellung kam es dann im Juli 1978, als ein wilder Streik in dem Karosseriewerk, das VW-Westmoreland mit Blechteilen beliefert, ausbrach.
Wenig später, im September, handelte sich Werksleiter Cummins einen weiteren wilden Ausstand ein, als er einen Arbeitnehmer feuern ließ und einen zweiten beurlaubte. Erst als die Belegschaft zum Arbeitskampf aufrief, trat Cummins den Rückzug an. Die beiden VW-Werker -- einer hatte das Band angehalten, weil eine Sirene zu lange heulte, der andere hatte falsch genietet -- wurden wieder eingestellt. Doch der soziale Friede blieb brüchig.
Seit Monaten schon klagen viele VW-Arbeiter über das frostige soziale Klima, das die ehrgeizigen VW-Manager mit allerlei harten Vorschriften und permanentem Leistungsdruck geschaffen hatten. »Man brauchte Vorarbeiter nur schief anzugucken«, sagt James Lee, »und schon war man seinen Job los.« »Wer sich weigert, Überstunden zu machen«, sagt ein anderer, »muß schon einen guten Grund vorbringen, sonst wird er gefeuert.«
Um dem Wolfsburger Konzern-Chef schon nach wenigen Monaten eine Erfüllung des Solls vorweisen zu können. wurde auf Arbeitnehmer-Interesse nicht allzu streng geachtet: »Die Anfangsschwierigkeiten wurden auf unserem· Rücken ausgetragen«, behauptet ein Werkzeugmacher aus New Stanton.
VW-Chef Toni Schmücker paßten die ständigen Scharmützel mit der Gewerkschaft nicht nur aus Imagegründen wenig ins Konzept: Im Gegensatz zu General Motors oder Ford. die lokale Streiks durch Mehrproduktion an anderen Orten meist mühelos ausgleichen können, liegt bei VW sofort die gesamte US-Produktion still.
Und trotz der harten Gangart seiner US-Manager scheint sich die verlustträchtige Anlaufzeit gegenüber den Plandaten zu verlängern: Die für diesen Oktober vorgesehene Einführung der für die Rentabilität unerläßlichen zweiten Schicht -- die den Ausstoß von bisher 400 auf 800 VW-Golfs steigern soll, ist jetzt auf einen unbestimmten Zeitpunkt Anfang nächsten Jahres verschoben worden.
Wegen des hektischen Dollarverfalls aber (Tiefstand letzte Woche: 1,86 Mark) wäre das genaue Gegenteil zweckmäßig: Die US-Produktion müßte so rasch wie möglich gesteigert werden. damit die zum gegenwärtigen Dollarkurs verlustbringenden Einfuhren aus Deutschland rasch reduziert werden können.
In dieser durch mangelhafte Zulieferungen und Organisationspannen verschärften Situation kam der wilde Ausstand Schmücker denkbar ungelegen.
Der Streik sei von einer »kleinen radikalen Minderheit« ausgerufen und geschürt worden, behauptet ein Volkswagen-Sprecher. Seine Vorgesetzten entschieden sich derweil für den harten Kurs: VW of America beantragte eine richterliche Verfügung, die den Streik für ungesetzlich erklären und den Weg für einen Polizei-Einsatz gegen die Streikposten freimachen soll.
Dabei mochten auch die UAW-Funktionäre nicht mehr mitspielen. Sie plädierten für Aufschub, denn erst einmal sollte mit den Gewerkschaftsmitgliedern unter den Streikenden verhandelt werden.
Der Amtsrichter vertagte daraufhin die Entscheidung auf einen unbestimmten Zeitpunkt.
Wie auch immer die Lösung ausfällt. VW-Sprecher Rudi Maletz »schläft schon nächtelang nicht mehr richtig«. Er wollte Ende des Monats 160 bereits geladenen deutschen Journalisten vor Ort demonstrieren, wie reibungslos die Golf-Produktion in Westmoreland gedeiht.