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US-INDUSTRIE Schlag verpassen

Viele Produktionsanlagen der USIndustrie sind technisch veraltet. Die Unternehmen können mit ausländischen Konkurrenten oft nicht mehr mithalten.
aus DER SPIEGEL 46/1977

John J. Nevin, Chairman der Zenith Radio Corp., Amerikas größtem TV-Gerätehersteller, »sieht in ausländischen Teufeln die Ursache für all seine Probleme« ("The Wall Street Journal"). Am heimischen Markt abgeschlagen durch die Konkurrenten aus Japan, muß Zenith 5600 Beschäftigte feuern, rund ein Viertel der gesamten Belegschaft.

»Die Möglichkeit einiger japanischer Firmen, ungestraft amerikanische Handelsgesetze zu verletzen«, schimpft Nevin, »ist der Grund für die Schwierigkeiten in der amerikanischen Fernsehgeräte-Industrie.«

Ob in der TV-Branche, der Stahl-, Chemie- oder Textilindustrie, ob Autobauer oder Schuhproduzenten -- in vielen Wirtschaftszweigen Amerikas geben die Unternehmer die Schuld an der eigenen Misere fast ausschließlich den Konkurrenten aus Übersee.

Immer stärker wächst deshalb der Druck von Gewerkschaften und Wirtschaftslobby« immer ungeduldiger drängen Abgeordnete und Senatoren in Washington die Regierung Carter« das Land gegen Einfuhren abzuschotten.

Der Kurs der Carter-Administration ist dabei noch ungewiß. »Ich kann solche Worte wie Freihandel und Protektionismus nicht mehr hören«, ereiferte sich Carters Sonderbeauftragter für Handelsfragen« Robert Strauss, gegenüber dem SPIEGEL.

»Das sind überholte Wörter, die unscharf sind. Wir sind für freien Handel, fairen Handel, verantwortungsbewußten Handel. Wir favorisieren weder Einfuhrquoten noch Zollschranken. Aber wir haben einen Kongreß, der dies tut und der sehr froh wäre, uns das aufzuzwingen. Kongreßmitglieder, Unternehmer und Gewerkschafter sind die Protektionisten, nicht wir, die Regierung«, meinte Strauss.

Einen offenen Rückfall in die Beggar-my-neighbour-policy -- die nach dem schlechten Beispiel der 30er Jahre die heimischen Wirtschaftsprobleme auf die Partnerstaaten abzuladen sucht und so die Nachbarn zu Bettlern macht -will die Carter-Administration jedenfalls vermeiden. Sie setzt auf ein Bündel von Maßnahmen, das Finanzminister Michael Blumenthal unter dem Stichwort »Industriepolitik« derzeit hastig zusammenrafft.

Danach werden straffe Antidumping-Kontrollen die Einfuhr von Stahl zu Niedrigstpreisen, von allzu billigen Autos, Textilien und elektronischen Geräten verhindern. Steueranreize sollen die Unternehmer dazu verlocken, ihre häufig längst veralteten Produktionsanlagen zu erneuern. Ein rigoroses Selbstbeschränkungsabkommen der Importeure und der ausländischen Handelspartner soll laut Blumenthal die US-Industriellen so lange vom Konkurrenzdruck befreien, bis sie ihre Fabriken wieder auf internationalen Standard gebracht haben.

Die eigentliche Ursache für das schlechte Abschneiden der heimischen Erzeuger sehen viele US-Experten nämlich weniger in rüden und unerlaubten Absatzmethoden der Ausländer als in der hoffnungslosen Überalterung ganzer Industriekomplexe.

In dieser technologischen Rückständigkeit von Branchen, die einst das Wachstumstempo beschleunigten, sehen Analysten an der Wall Street auch einen Grund dafür, daß die Konjunktur in den USA nur schleppend Fahrt hält.

In den letzten 15 Jahren haben die Amerikaner zum Beispiel nur ein einziges neues Stahlwerk mittlerer Größe gebaut.

Amerikas Stahlproduzenten, einst führend in der Welt, sind gegenüber ihren ausländischen Konkurrenten längst abgeschlagen. Während die Welt-Rohstahlerzeugung von 1955 bis 1976 um 153 Prozent auf 684 Millionen Tonnen im Jahr stieg, erhöhte sich die US-Stahlproduktion nur um neun Prozent -- in den neun EG-Mitgliedsländern hingegen um 84 Prozent, in Japan gar um über 1000 Prozent.

»Wir sind nicht der Meinung«, analysierte etwa Charles A. Bradford, Vizepräsident des Brokerhauses Merrill Lynch, Pierce, Fenner & Smith. Inc., »daß unter den Bedingungen des freien Welthandels die US-Stahlindustrie langfristig wirtschaftlich gesund ist.« Laut Bradford gibt es in den USA »nur ein bedeutenderes Stahlwerk, das modern genannt werden kann«.

Wieweit auch andere Produktionsbereiche technologisch nicht mehr mithalten können, macht die jüngste Untersuchung der Regierung in Washington deutlich.

Danach waren Ende 1976 im Durchschnitt der US-Industrie 16 Prozent der Maschinen und Anlagen 20 Jahre und älter, elf Prozent waren technisch überholt.

Besonders obsolet ist die Schwerindustrie: Dort wurde rund ein Fünftel der Anlagen schon 1956 oder noch davor installiert. Bei den Eisenbahnen stammt gar fast die Hälfte des rollenden Materials aus jener Zeit. In der wettbewerbsstarken Luft- und Raumfahrtindustrie sind nur sechs Prozent der Anlagen 20 oder mehr Jahre alt.

»Unsere Industrie hat gewaltige Rentabilitätsprobleme, ineffiziente Fabriken und einen gewaltigen Kapitalbedarf für Investitionen«, erkannte Finanzminister Blumenthal.

Fast 236 Milliarden Dollar (rund 566 Milliarden Mark) wären nach vorsichtigen Expertenschätzungen erforderlich, um die überalterten Fabrikationsanlagen durch moderne Maschinen zu ersetzen.

Ein derart massiver Kapitaleinsatz ist indes nicht abzusehen. Die Manager in der Stahl-, Auto-, Textil- und Gummi-Industrie etwa investieren nach Abzug der Inflationsrate weniger als vor drei Jahren -- trotz eines Anstiegs der Investitionen von neun Prozent in diesem Jahr und geplanten zehn Prozent für 1978.

Selbst in so fortschrittsbesessenen Branchen wie der Computer-Industrie liegen die Investitionen noch unter denen des Flautenjahres 1974.

Allein die Stahlindustrie, so meinen die Experten, müßte jedes Jahr bis zum Ende des nächsten Dezenniums 3,2 Milliarden Dollar in neue Hochöfen und Walzstraßen stecken, wenn sie mit den Hauptkonkurrenten in Japan gleichziehen will. Um die Gelder aufzubringen, müßten die Unternehmen jährlich doppelt so hohe Gewinne erwirtschaften wie 1976.

Die meisten Produktionsfirmen klagen über akuten Kapitalmangel. Weil sie schon jetzt hoch verschuldet seien, könnten sie sich die benötigten Gelder nur zu einem geringen Teil am Kapitalmarkt besorgen.

Derzeit beträgt der Anteil des Fremdkapitals in vielen Unternehmen 60 Prozent, Zusätzliche Kredite aufzunehmen erscheint den Finanzchefs bei einem Zinssatz von mindestens acht Prozent für langfristige Ausleihungen häufig als zu kostspielig.

Ein großer Teil der Investitionssumme geht zudem für Umweltschutzanlagen drauf. Die vier Autogiganten Detroits beispielsweise geben in diesem Jahr über 5,8 Milliarden Dollar für Investitionen aus -- aber die Hälfte davon dient dem Umweltschutz.

Mit seinem -- freilich noch vagen -- Steuerreform-Programm, das im nächsten Jahr den Kongreß passieren soll. will Carter der Industrie wieder auf die Beine helfen.

»Wir wollen unserer Industrie helfen«, beteuert Blumenthal. Und: »Ich will nicht, daß wir so aussehen, als trachteten wir nur danach, den Importen einen Schlag zu verpassen.«

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