EWG-KOMMISSION Schlapper Verein
Selbstgerecht distanziert sich Europa-Kommissar Ralf Dahrendorf, 42, von seinen Kollegen: »Die finden, daß ich nicht die richtige Funktionärsgesinnung habe. Ich bin eben kein Beamtenhäuptling.«
So wehrt der Soziologieprofessor, seit einem Jahr einer der neun Spitzenbeamten der Europäischen Gemeinschaften, die Kritik beleidigter Berufs-Europäer ab. Der stets kapriziöse Dahrendorf hatte sich unter dem Pseudonym »Wieland Europa« in zwei »Zeit«-Artikeln mit sämtlichen Institutionen der Sechser-Gemeinschaft angelegt.
Die Kommission, der er selbst als Verantwortlicher für Auswärtige Beziehungen und Handelspolitik angehört, verhöhnte der aus Bonns AA weggelobte FDP-Politiker als eine »Einrichtung«. die »eher Mitleid als Respekt abnötigt«.
Den Ministerrat bezichtigte er der »Kleinkariertheit« und der »Ineffizienz«. Den Rat der ständigen Vertreter, in den die sechs Länder ihre Botschafter entsenden, qualifizierte er als die »am wenigsten qualifizierte europäische Institution« ab. Über das Straßburger Europa-Parlament belustigte er sich: »Ein Demokrat kann sich nur schämen, wenn er ausgewachsene Abgeordnete die Farce spielen sieht.«
Mit der provokativen Nestbeschmutzung setzte der politische Schnell-Aufsteiger wieder einmal seine eigene Karriere aufs Spiel. Bereits im Frühjahr 1970 hatte er sich als Parlamentarischer AA-Staatssekretär -- obwohl an der Konzeption einer neuen Ostpolitik mitbeteiligt -- von Willy Brandts Kurs abgesetzt und damit seine großspurig begonnene Laufbahn in Bonn beendet. Eigentlich hatte er einmal Bundeskanzler werden wollen.
Diesmal stellte Europa-Neuling Dahrendorf durch seine fundamentale Kritik sein Amt in Brüssel und die bisherige Integrationspolitik der Sechs so in Frage, daß er nach Insider-Ansicht konsequenterweise seinen Rücktritt als Kommissar hätte erklären müssen. Katharina Focke, Europa-Staatssekretärin im Bundeskanzleramt: »Am Anfang hielt ich seinen Rücktritt nicht für ausgeschlossen.«
Doch inzwischen hat sich die kritische Situation wieder entspannt. Dahrendorf, der -- zunächst bis 1973 berufen -- nur freiwillig hätte zurücktreten können, erklärte, er trete nicht zurück. In Bonn besuchte er vergangene Woche Kanzleramtminister Horst Ehmke und besprach mit ihm die Lage. Zum Abschied empfahl der Jurist dem Soziologen: »So, Ralf. jetzt kannst du auch noch die Katharina küssen.«
Die Staatssekretärin« die noch zwei Wochen zuvor dem Artikelschreiber Wieland Europa ebenfalls in der »Zeit« süffisant bescheinigt hatte, er habe »wenig von dem verstanden, was in Brüssel geschieht«, gab sich versöhnt: »Schwamm drüber.«
In Brüssel rückte zwar die Kommission von dem Deutschen ab, aber Dahrendorf weiß, was er davon zu halten hat: Im Grunde seien sich alle in der Kritik an den Institutionen mit ihm »völlig einig«, trauten sich jedoch nicht, sich dazu zu bekennen. Dahrendorf: »Ein schlapper Verein.«
Keineswegs zufrieden sind indes die Brüsseler Bürokraten mit der Amtsführung des Außenseiters. Sie werfen ihrem Außen-Kommissar vor, er vernachlässige die Routine-Arbeit und unternehme statt dessen überflüssige Weltreisen. So galt ihnen eine Dahrendorf-Visite in Japan, bei der ein Handelsabkommen vorbereitet werden sollte, als verfrüht. Außerdem sei Dahrendorf in Washington hochfahrend wie der Außenminister einer Großmacht aufgetreten und habe dadurch die Großmacht USA so verprellt, daß sich Präsident Nixon bei Außenminister Walter Scheel über den Deutschen beschwerte.
Von solchen Einwänden jedoch unbeeindruckt, meldete Dahrendorf bereits für 1973 seine neue Kandidatur an: »Wenn die Bundesregierung mich vorschlägt, mache ich das bis 1977 weiter -mit dem größten Vergnügen.«