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INDUSTRIE Schluss hoch drei

Der Vorstand der angesehenen Autopressen-Fabrik Weingarten wurde gefeuert, weil er das Unternehmen tief in die Verlustzone geführt hat.
aus DER SPIEGEL 33/1971

Nach Durchsicht der Bücher witterte Vorstandsmitglied Wolfgang Schneyder höchste Gefahr. Sofort eilte der Bilanzexperte -- erst Wochen vorher in den Vorstand der Württembergischen Maschinenfabrik Weingarten AG berufen -- zum Chef seines Aufsichtsrats und schlug Alarm.

Doch Nikolaus Kunkel, Vorsitzender des Aufsichtsrats der renommierten Karosseriepressenfirma und Chef der Deutschen Bank in Stuttgart, meinte, es sei nichts zu besorgen: »Da ist ein alter bewährter Vorstand, der kennt seit zwanzig Jahren das Geschäft.«

Bankier Kunkel schloß fehl. Wenige Wochen später sah sich der Aufsichtsratschef zu einer Exekution gedrängt, die in der Nachkriegsgeschichte deutscher Aktiengesellschaften ohne Beispiel ist. Wegen des in zwei Jahren angelaufenen Betriebsverlusts von über 13 Millionen Mark -- bei nur zwölf Millionen Grundkapital der Weingarten AG -- schickte der Aufsichtsrat nach einer peinlichen Unterredung die Vorstandsmitglieder der schwäbischen Pressenfirma, Hans Bohringer, 64, Karl Glaser, 68, vorzeitig in Pension. Mit ihnen mußte auch das stellvertretende Vorstandsmitglied Heinz Theurer, 51. die Direktorenetage in Weingarten verlassen. Zugleich schlug der Aufsichtsrat der am 26. August tagenden Hauptversammlung der Aktionäre vor, dem alten Vorstand die Entlastung zu verweigern.

»Die Leute haben alle gepennt«, erboste sich letzte Woche der Dortmunder Kleinaktionär Kurt Fiebich über das Revirement in den Vorstandszimmern des zweitgrößten deutschen Herstellers von Karosseriepressen für die Automobilindustrie.

Schon im letzten Jahr mußte die oberschwäbische Firma im Klosterstädtchen Weingarten mit 4,3 Millionen Mark mehr als ein Drittel des Grundkapitals von zwölf Millionen Mark als Verlust abbuchen. Die tatsächlichen Betriebsverluste in Höhe von nahezu zehn Millionen Mark konnte der Vorstand nur durch Auflösung von rund fünf Millionen Mark Rücklagen auf ein optisch erträglicheres Maß senken.

In drei Wochen müssen die suspendierten Vorstandsmitglieder Böhringer, Glaser und Theurer vor das Tribunal erboster Aktionäre treten. Noch im Vorjahr hatte das gefallene Dreigestirn trotz der miserablen Geschäftslage den Aufsichtsrat mit günstigen Zukunftsprognosen veranlaßt, den rund 4000 Kleinaktionären eine Dividende von zwölf Prozent (davor 15 Prozent) auszuwerfen. Kunkel heute: »Wir sind getäuscht worden.«

Die Misere der Pressen-Fabrik begann schon 1966, dem Jahr der letzten Rezession. Um Arbeitslosigkeit und Betriebsstillegungen zu vermeiden, akzeptierten die Manager selbst Aufträge zu ruinösen Preisen. Die Geschäfte aus der Zeit der Not belasteten noch bis 1969 die Erträge.

Als sich dann im Konjunkturaufwind die Auftragslage rasch besserte, fehlte den Werken in Weingarten die nötige Produktionskapazität. Die schwäbischen Manager gaben deshalb bis zu 30 Prozent ihrer Aufträge mit Verlust an teure Konkurrenz zur Lohnfertigung ab. Sie konnten überdies Lieferfristen bei so wichtigen Kunden wie dem VW-Konzern nicht einhalten und handelten sich damit Konventionalstrafen von nahezu einer Million Mark ein.

Das ganze Ausmaß der schwäbischen Misere wurde indessen erst vor wenigen Tagen deutlich. Der neue Sprecher des Vorstands, Markus Reihle, 44, versucht jetzt, die Liquidität des Unternehmens durch Verkauf werkseigener Wohnungen, Einstellungsstopp und Abbau der übervollen Material-Lager aufzubessern. Der Aufsichtsrat kam überein, notfalls sogar die Anlehnung von Weingarten an einen Konkurrenten -- etwa den Göppinger Familienbetrieb L. Schuler GmbH oder das Pressenwerk der Krupp GmbH -- ins Auge zu fassen.

»Das ist der Fall Schiess hoch drei«, polterte Aktionär Kurt Fiebich, »und wieder ist die Deutsche Bank dabei.« Denn auch die Düsseldorfer Maschinen-Fabrik Schiess AG war letztes Jahr überraschend bis an den Rand der Pleite abgesackt. Aufsichtsratschef bei Schiess: Andreas Kleffel von der Deutschen Bank in Düsseldorf.

Wie bei Schiess muß sich nun neben dem Vorstand auch der Aufsichtsrat des schwäbischen Unternehmens der Kritik der Aktionäre stellen. Und Opponent Fiebich sieht schon heute im Fall Weingarten einen weiteren Beweis für eine dringend nötige Reform des deutschen Aktienrechts: »Die Vertreter der Großbanken halten zu viele Aufsichtsratsposten besetzt. Sie haben daher keine Zeit und erfüllen ihre Pflichten nicht« Nikolaus Kunkel hat zehn Mandate.

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