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BILDUNG Schluss mit Whirlpool

Amerikas Hochschulen hat die Finanzkrise hart getroffen. Zum neuen Studienjahr wird an allen Ecken gespart - vom Fensterputzen bis zum Lehrpersonal.
aus DER SPIEGEL 42/2009

Der Campus des Reed College sieht noch immer aus wie ein Bildungsparadies. Auf dem Rasen sitzen Seminargruppen in der Sonne, in einem Hörsaal stellen Studenten ihre Gedichte vor. Aus einem der Fenster hört man sanfte Etüden. Doch Leslie Limper hat dafür gerade kein Ohr.

Sie ist an der privaten Hochschule ein paar Kilometer außerhalb von Portland für die Zulassungen zuständig. Auch dieses Jahr hat sie sich über Hunderte Bewerbungsmappen gebeugt, immer wieder mit ihren Kollegen diskutiert, fast drei Monate lang.

Sie will die vielversprechendsten 400 neuen Studenten zusammenstellen. Reed ist stolz auf Querdenker; Apple-Gründer Steve Jobs etwa hat hier ein Semester studiert. Man will keine Lernautomaten und keine Kinder reicher Eltern.

Doch Limper schaut nun unglücklich auf ihre Mappen. In diesem Jahr kann sich Reed ihre Wunschklasse schlicht nicht leisten. Auf Limpers Liste standen zu viele Studenten, die fürs Studium Geld von der Uni gebraucht hätten. Mit jedem Tag der Finanzkrise wurden es mehr. Die kleine Hochschule versuchte, mehr Geld für Stipendien beiseitezulegen, aber irgendwann war Schluss. Auch das Uni-Vermögen schrumpfte vergangenes Jahr um fast 25 Prozent, rund 110 Millionen Dollar.

Also musste Limper über hundert Namen streichen - und dafür andere eintragen, die zwar eigentlich nur zweite Wahl waren, deren Eltern sich aber die knapp 50 000 Dollar Studienkosten pro Jahr weiter leisten können. »Das war herzzerreißend«, sagt Limper.

An den verwöhnten Elite-Bildungsstätten ist nichts mehr undenkbar. Nicht mal das Sparen bei den lange als unantastbar geltenden Stipendien für bedürftige Studenten. Die Finanzkrise hat enthüllt, wie riskant viele Hochschulen mit ihrem Vermögen spekulierten. Um bis zu 40 Prozent sind die Rücklagen zerbröselt. Allein Harvard verlor über zehn Milliarden Dollar.

Nun rächt sich das Selbstverständnis der Unis als privatwirtschaftlich organisierte Unternehmen. Hinzu kommt, dass die ebenfalls klammen Bundesstaaten - für den Großteil der Bildungsförderung zuständig - ihre Budgets radikal zusammenstreichen müssen. Viele dürfen laut Gesetz auch im Abschwung keine Schulden machen und sparen an der teuren Bildung.

Die University of California, das Flaggschiff staatlicher Bildung in den USA, muss mit über 600 Millionen Dollar weniger auskommen, Angestellte müssen auf bis zu zehn Prozent ihres Gehalts verzichten.

Festangestellte Lehrkräfte werden in den Zwangsurlaub geschickt, Hunderte Stellen fallen weg. »Wir alle müssen Opfer bringen«, sagt Berkeley-Kanzler Robert Birgeneau. Denn die Zukunft sieht weiter düster aus. Manchmal auch schmutzig. An manchen US-Unis werden die Fenster nicht mehr regelmäßig geputzt.

Andere drehen die Heizung herunter, um Energiekosten zu senken. In Harvard achtet Präsidentin Drew Faust persönlich darauf, dass bei Sitzungen ja kein Happen Essen serviert wird. Private Unis kappen zudem die Luxusausstattung ihrer Wohnheime, mit denen sie bisher um Studenten buhlten. Teures Bezahlfernsehen, lange beliebtes Bonbon für Studenten, ist gestrichen. Kletterwände oder Whirlpools werden nicht mehr eingebaut.

Selbst der Lehrplan ist nicht mehr sicher. Das Budget der Kunstfakultät an der University of California in Los Angeles ist so schmal, dass die Lehrkräfte mit Kuchenverkauf Geld beisteuern wollen. Das Film- und Fernseharchiv dort setzt kaum noch ausländische Filme auf den Lehrplan, weil der Ankauf zu teuer geworden ist. »So wird unsere Stellung sinken«, klagt Harvard-Politologin Theda Skocpol.

Einige Hochschulen versuchen gar, ihre Wertsachen zu Geld zu machen. Die Brandeis University bei Boston will ihre Kunstsammlung im universitätseigenen Rose Art Museum verscherbeln, darunter Bilder von Andy Warhol oder Jasper Johns. Die Kollektion wird auf rund 350 Millionen Dollar taxiert. Kunstliebhaber protestieren lautstark, doch der Ausverkauf soll wenigstens teilweise über die Bühne gehen.

Verzweifelt suchen die Hochschulen nach neuen Einnahmequellen. Weil die meisten staatlichen Unis die Studiengebühren in der Krise nicht beliebig erhöhen können, wünscht sich etwa die Colorado State University mehr ausländische Studenten. Die zahlen bis zu viermal höhere Studiengebühren als Einheimische. »Ausländische Bewerber sind derzeit sehr willkommen«, sagt Jim Cooney, Uni-Beauftragter für internationale Programme.

Andere hoffen noch stärker auf private Zuwendungen. Ein anonymer Großspender hat in den vergangenen Monaten 70 Millionen Dollar an Universitäten verteilt - als Stipendien für Minderheiten und arme Studenten. Einzige Bedingung: Niemand darf je erfahren, woher das Geld kommt. Die einst wählerischen Hochschulen, lange auf Transparenz und klare Richtlinien bedacht, lassen sich darauf nun gern ein.

Vielleicht auch deshalb ist das Minus beim Spendenaufkommen bislang vergleichsweise gering. Reed College hat gerade als neues Ziel ausgegeben, 200 Millionen Dollar einsammeln zu wollen. Die harte Zulassungsentscheidung in diesem Jahr könnte dabei sogar helfen. »Wir bekamen viele kritische E-Mails und Briefe von Ehemaligen, die fürchteten, Studenten aus ärmeren Familien könnten nun nicht mehr Reed besuchen«, sagt Leslie Limper.

Die Not öffnet die Portemonnaies der Spender: Reed-Absolvent David Eddings, erfolgreicher Autor, ließ die Lage seiner Alma Mater keine Ruhe mehr. Als er diesen Sommer starb, vermachte er der Hochschule mehr als 18 Millionen Dollar. Der Auftrag: bedürftigen Studenten zu helfen. GREGOR PETER SCHMITZ

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