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UNTERNEHMEN Schnäppchen in Übersee

Eineinhalb Jahre nach dem Amtsantritt von Telekom-Chef René Obermann dümpelt die T-Aktie dahin. Der Vorstand gerät in Handlungsnot. Im Management reift deshalb ein kühner Plan: die Übernahme des amerikanischen Mobilfunk-Schwergewichts Sprint Nextel.
Von Frank Dohmen und Klaus-Peter Kerbusk
aus DER SPIEGEL 19/2008

So hatten die Telekom-Mitarbeiter ihren Boss noch nie erlebt. »Yes, we can. Ja, wir schaffen den Wandel«, rief er beschwörend in die Menge. »Wir reformieren diese Firma. Wir werden das tun«, peitschte er seine Zuhörer in immer neuen Mutmach-Variationen an.

Anders als seine Vorgänger wollte René Obermann zu Beginn der diesjährigen Computermesse Cebit »keine magentafarbene Jubelrede halten«, betonte ein Telekom-Sprecher. Mit seinem denkwürdigen Auftritt wollte er vielmehr seine Mannschaft nach den harten Streikwochen des Jahres 2007 wieder zusammenschweißen. Assoziationen mit dem US-Präsidentschaftsbewerber Barack Obama waren da durchaus erwünscht.

»Wir werden diese Jahre gemeinsam bewältigen, trotz der Prügel, die man einstecken muss, wenn man für etwas kämpft«, rief Obermann bei der sogenannten Morgenandacht in Hannover und versicherte, es gebe keine bessere Vertriebsmannschaft in Deutschland. »Ich bin saustolz auf Sie«, betonte der Bonner Obermann-Obama und hämmerte seinen Mitarbeitern missionarisch ein: »Yes, we can.«

Solche Seelenmassagen sind bei der Deutschen Telekom AG bitter nötig. Nach zahllosen Umorganisationen und Sparrunden ist die Belegschaft zutiefst verunsichert, viele Mitarbeiter sind gar verbittert. Trotz aller Anstrengungen laufen die Festnetzkunden weiter in Scharen zur Konkurrenz über. Ein Ende ist nicht absehbar.

Und auch dem Telekom-Chef weht ein eisiger Wind entgegen. Eineinhalb Jahre nach seinem Amtsantritt hat der smarte Manager bei Gewerkschaften und Politik einen Teil seines Kredits verspielt. Kaum jemand glaubt noch daran, dass Obermann, der im November 2006 mit großer Euphorie auf den Stuhl des Vorstandsvorsitzenden gehoben wurde, eine radikale Kursänderung wirklich gelingt. Dem Mann fehlten die Visionen, so der Vorwurf aus Berliner Regierungskreisen.

Und als ob das noch nicht genügte, macht sich auch noch Verzweiflung breit im Lager der Kleinaktionäre, denen Obermann Mitte Mai auf der Hauptversammlung in Köln erstmals über ein volles Geschäftsjahr unter seiner Führung Bericht erstatten muss. Vor allem ihnen hatte der 45-Jährige große Hoffnungen gemacht.

Noch im vergangenen Jahr definierte er seine eigene Messlatte so: »Meine Mission wäre gescheitert«, wenn die T-Aktie »in ein bis zwei Jahren keinen Anschluss an die Kursentwicklung vergleichbarer Konkurrenten« gefunden habe. Davon aber ist das Unternehmen weit entfernt. Nach einem kurzen Hoch sackte der Kurs seit Jahresanfang wieder dramatisch ab. Mit rund 11,50 Euro liegt die T-Aktie deutlich unter dem Ausgabekurs von 1996 und sogar etwa 2 Euro niedriger als bei Obermanns Amtsantritt. Selbst der deutsche Aktienindex und der Euro Stoxx Telecom, der die gesamte europäische Branche abbildet, entwickelten sich besser.

Mission gescheitert? Noch nicht. Noch hat Obermann wohl ein Jahr Zeit. Doch der Druck wächst täglich. Kurzfristig, glaubt man auch in seinem Umfeld, könnte nur ein spektakulärer Deal die Phantasie der Anleger neu beflügeln.

Genau den haben die Telekom-Manager in den vergangenen Wochen still und heimlich vorbereitet: Sprint Nextel heißt das Objekt der Begierde. Das seit Monaten kriselnde Unternehmen ist der drittgrößte Mobilfunkanbieter in den USA. Wegen seines rapide gefallenen Aktienkurses und des starken Euro gilt der Konzern als wahres Schnäppchen.

Auch strategisch würde der Milliarden-Deal passen, haben die Telekom-Manager analysiert: Zusammen mit Obermanns amerikanischer Handy-Tochter T-Mobile USA (das frühere Voicestream) könnte die neue Formation mit einem Schlag auf Augenhöhe von AT&T Wireless landen, dem bisherigen Marktführer in den Vereinigten Staaten.

Noch ist nichts entschieden. Noch gibt es kein Angebot, noch gibt es keine offiziellen Verhandlungen. Und noch analysieren Telekom-Manager mit ihren US-Kollegen die diversen Optionen einer Übernahme oder eines Zusammenschlusses.

Wer könnte die gemeinsame Firma leiten? Wie reagieren Kartellbehörden in den USA? Wie könnte man die unterschiedlichen technischen Plattformen zusammenführen? Würden die Risiken und die eventuell nötige Neuverschuldung nicht sogar zu fallenden T-Kursen führen? Allein das Durchsickern der Pläne könnte die Börsen-Tektonik beider Konzerne verschieben - und das Projekt bedrohen.

Viel steht auf dem Spiel, für die Telekom und besonders für ihren Chef. Sollte er einen solch gewaltigen Deal erfolgreich abschließen, wäre die Diskussion um seine Person wohl sofort beendet. Scheitert er, dürfte er das ihm anhaftende Image des fleißigen, aber visionslosen Sparmeisters kaum noch loswerden.

Dabei war Obermann keineswegs faul. Was in seinen Mitteln stand, packte er an, um den Koloss mit gut 60 Milliarden Euro Umsatz und über 240 000 Mitarbeitern wieder auf Kurs zu bringen.

Er verpasste dem Konzern eine einheitlichere Struktur und besetzte fast den kompletten Vorstand neu. Er reduzierte das Chaos unterschiedlichster T-Marken, führte Pauschaltarife ein und ergatterte den deutschen Exklusivvertrieb des iPhone-Handys von Apple. Sogar den oft verschobenen Aufbau neuer IT-Systeme nahm er in Angriff, um den Service zu verbessern.

Gleichzeitig verordnete er Sparprogramme in Milliardenhöhe, gliederte rund 50 000 Mitarbeiter in eigenständige Gesellschaften aus und versuchte, die Aktionäre mit Rekorddividenden zu ködern. Im Mai schüttet Obermann an die Aktionäre sogar rund sechsmal so viel aus, wie der Konzern 2007 netto verdient hat.

Geholfen hat all das bislang nicht. Die Gewinne sinken, und die Zukunft wird nicht einfacher. Im Gegenteil: Mit Sparen allein könne man den Konzern nicht dauerhaft aus der Krise führen, protestiert inzwischen nicht nur die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di.

Obermann fehlten nicht nur tragfähige Zukunftsstrategien, sondern auch Wachstums-Storys, die über den kurzfristigen Rummel etwa bei der Einführung des iPhone oder das nur sehr langsam an Popularität gewinnende Internet-Fernsehen (IP-TV) hinausgehen, monieren Kritiker.

Denn zehn Jahre nach der Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes wird der Wettbewerb keineswegs einfacher, sondern zunehmend härter. Erstmals dürfte 2008 sogar das bislang rasante Wachstum beim Verkauf neuer Breitbandanschlüsse (DSL) zurückgehen. Gleichzeitig formieren sich mit den TV-Kabelanbietern neue Konkurrenten, die wie etwa Kabel BW nicht nur schnelle Technik, sondern auch noch die preiswerteren Angebote im Sortiment haben.

Auch im Mobilfunk ist vorerst kaum Besserung in Sicht. Zwar zieht das Geschäft mit dem mobilen Internet bei den Handy-Kunden deutlich an. Doch dieser für die Firmen positive Trend kann den Preisverfall bei den Mobilfunkgebühren noch lange nicht kompensieren.

Internationale Konkurrenten wie Telefónica, France Télécom oder der britische Mobilfunkriese Vodafone sind deshalb seit Monaten auf der Suche nach Übernahmemöglichkeiten. So versuchen etwa die Franzosen gerade, die skandinavische TeliaSonera zu kapern. Die spanische Telefónica, die in Deutschland bereits mit DSL und Mobilfunk (O2) vertreten ist, hat offenbar Interesse am niederländischen Ex-Monopolisten KPN.

Die Auslandsstrategie der Telekom blieb dagegen eher schemenhaft. Zwar hielt die Magenta-Truppe permanent Ausschau nach Übernahmeobjekten. Wirklich zum Zuge kamen die Bonner Manager bisher jedoch nur in der Nachbarschaft - etwa bei kleineren Mobilfunkbeteiligungen in Österreich und den Niederlanden.

Der große Wurf, der die Börse überzeugt hätte, war nicht dabei. Auch die Übernahme der kleinen US-Mobilfunkfirma SunCom sowie die zurzeit verfolgte Beteiligung an der griechischen Telefonfirma OTE hinterließen kaum Spuren.

Mit dem Projekt Sprint, das seit Wochen auf der Prioritätenliste der Telekom weit oben steht, könnte sich das ändern. Mit rund 54 Millionen Kunden und gut 40 Milliarden Dollar Umsatz zählt das in Overland Park im US-Bundesstaat Kansas ansässige Unternehmen zu den Schwergewichten der Branche.

Für alte Telekom-Mitarbeiter ist der Konzern kein Unbekannter. In den neunziger Jahren war der Bonner Konzern schon einmal an Sprint beteiligt und verkaufte - unter anderem zum Abbau der damals auf Rekordhöhe gestiegenen Schulden - die Beteiligung 2001 wieder.

Seit der Fusion mit dem Konkurrenten Nextel im Jahre 2005 steckt Sprint jedoch in einer Krise. Inzwischen ist der Börsenwert der Firma auf etwa 22 Milliarden Dollar gefallen. Bereits im März hatten die Analysten der Investmentbank Merrill Lynch verschiedene Szenarien einer möglichen Übernahme durchgespielt. Sie kamen dabei zu dem Schluss, dass das Unternehmen, gemessen am Preis von weniger als 1000 Dollar pro Kunde, ein echtes Schnäppchen wäre. Bei der Übernahme von Voicestream zahlte die Telekom vor sieben Jahren 6100 Dollar pro Kunde.

Die Telekom will zu den Plänen keine Stellung nehmen. »Marktgerüchte kommentieren wir nicht«, heißt es in Bonn. Doch sicher ist, dass die Chance zur Übernahme selten so günstig war wie jetzt. Nach ersten Einstiegsgerüchten vor wenigen Wochen stieg der Sprint-Kurs schon wieder leicht an. T-Manager raunen: »Das Fenster geht dann schnell wieder zu« - für die Telekom und vielleicht sogar für Vorstandschef Obermann.

FRANK DOHMEN, KLAUS-PETER KERBUSK

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