Manager Schnipsel, Geld und Tickets
Als Bremens Generalstaatsanwalt Hans Janknecht am Donnerstag vergangener Woche zum Dienst erschien, wußte er noch nicht, daß er ein Problem mehr hatte. Das Problem hieß Friedrich Hennemann.
Der frühere Vorstandsvorsitzende der Bremer Vulkan Verbund AG hatte am Vortag ganz unerwartet festgenommen werden müssen. Allzu merkwürdig hatte sich der sonst so eloquente Ex-Manager bei der Durchsuchung seiner Wohnung angestellt, allzu offensichtlich hatte er sich in Widersprüche verwickelt. Da blieb den Staatsanw"lten, die nur die Durchsuchung von Hennemanns R"umen, nicht aber seine Verhaftung beantragt hatten, gar keine Wahl: Sie nahmen den Herrn im blauen Zwirn einfach mit.
Zwar lag schon seit dem 24. Februar eine Anzeige gegen Hennemann und andere Vorst"nde des einst gr"ßten deutschen Schiffbaukonzerns vor - wegen des Verdachts der Veruntreuung von 850 Millionen Mark »ffentlicher Gelder, die für den Aufbau der Ostwerften gedacht, dann aber in den Kassen des Westkonzerns versickert waren.
Aber die Bremer Staatsanw"lte hatten es seitdem erfolgreich vermieden, in Sachen Vulkan den Anschein reger T"tigkeit zu erwecken. Die Beschuldigten hatten ausreichend Zeit, sich für eine zu erwartende Hausdurchsuchung zu präparieren. Niemand konnte in der vergangenen Woche noch damit rechnen, bei ihnen belastendes Material zu finden.
Und doch entdeckten Beamte des Bundeskriminalamts im Klo von Hennemanns Zweitwohnung in der Bremer Parkallee handbeschriebene Papierschnipsel mit auffallend vielen Zahlenangaben, die der Verdächtigte kurz zuvor hektisch und heimlich aus der Welt zu spülen versucht hatte.
Ebenso unerwartet fanden die Beamten nicht nur Flugscheine nach Amerika, die für den nächsten Tag gültig waren, sondern auch etwa 100 000 Mark in bar sowie Auszüge über Beträge in Millionenhöhe auf diversen Auslandskonten.
Bei den fistelstimmig vorgetragenen Erklärungsversuchen verhaspelte sich der sonst so beherrschte Industrieboß in Widersprüche. Schnipsel, Geld und Tickets - das war den Ermittlern zuviel.
Der possenhafte Ausgang der Durchsuchungsaktion könnte doch noch und unerwartet Ermittlungen in Gang brin-
gen, mit denen keiner mehr gerechnet hatte. Sie könnten Licht in eine Affäre bringen, an deren stillem Ende so viele im Lande Interesse haben: der ehemalige Vulkan-Vorstand natürlich, aber auch die politische Klasse der Länder Bremen und Mecklenburg-Vorpommern, die Bundesministerien für Finanzen und Wirtschaft in Bonn sowie die Spitze der ehemaligen Berliner Treuhandanstalt - sie alle haben beim Vulkan versagt.
Die jetzt vermißten 850 Millionen Mark Fördergelder, die für den Aufbau der Ostwerften bestimmt waren, hat Hennemann nicht unbemerkt in die maroden Westfirmen seines Konzerns leiten können. Hennemann hatte Mitwisser und Dulder auf höchsten Posten.
Das ehemalige Vulkan-Vorstandsmitglied Manfred Timmermann, heute Controller bei der Deutschen Bank, schied im Winter 1993 im Zorn aus seinem Amt. Er wußte, daß Ostgelder in den Westen verschoben wurden, und dieses Wissen behielt er nicht für sich.
Timmermann unterrichtete nicht nur den Vulkan-Aufsichtsrat von den Geldverschiebungen, sondern bereiste auch sämtliche Entscheidungsträger bei der Treuhand-Nachfolgesellschaft Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS) in Schwerin, Bremen und Bonn. Doch nur vor Gericht darf Timmermann aussagen.
Damals hat sich kaum jemand für Timmermanns Insiderkenntnisse interessiert, und das ist heute nicht viel anders. Erst nachdem der Konzern im Februar wegen Zahlungsunfähigkeit Vergleich anmelden mußte und bereits 2,6 Milliarden Mark öffentlicher Gelder geflossen waren (siehe Grafik Seite 81), entschloß sich die BvS zur Anzeige. Bis zum Schluß hatten die Verantwortlichen behauptet, das Geld, das sie den Ostwerften so großzügig zur Verfügung stellten, sei nicht illegal in den Westen transferiert worden. Alle gegenteiligen Indizien wurden ignoriert, alle Warnungen überhört, effiziente Kontrollen gab es keine.
Auch für die Bremer Politiker könnte ein Verfahren gegen Hennemann überaus peinlich werden. SPD-Mitglied Hennemann konnte nur im Genossenfilz der Hansestadt zum Konzernherrn aufsteigen. Jahrelang war der ehemalige Senatsangestellte der heimliche Herrscher von Bremen; wenn er Geld brauchte, fanden sich immer Mittel und Wege, öffentliche Kassen anzuzapfen.
Die plötzliche Wende der bislang schleppenden Ermittlungen kommt auch den Bremer Justizbehörden eher ungelegen. Das zeigt die kaum verhohlene Verwunderung über das Verhalten des Hennemann-
Rechtsanwalts Hanns Feigen, der nach Ergehen des Haftbefehls nicht sofort Antrag auf Verschonung gegen Kaution stellte.
»Vielleicht«, fragt sich ein hoher Bremer Justizbeamter, »konnten die nicht so schnell das Geld zusammenkriegen."Mit dem Antrag werde immerhin in den nächsten Tagen gerechnet, »und dann wird Hennemann wohl freikommen.«
In Mecklenburg-Vorpommern wird nicht ermittelt, weil der Tatort der mutmaßlichen Veruntreuung Bremen ist. Dort wird in der Staatsanwaltschaft der Wille zur Aufklärung bei den Bremer Kollegen heimlich angezweifelt. Zu sehr, so ein Rostocker Ermittler, seien in Bremen Regierung und Justiz verfilzt. Energische Ermittlungen könnten die Existenz des Bundeslandes und seiner politischen Eliten gefährden, wenn sich beweisen lassen sollte, daß die Gewaltenteilung in Bremen nicht mehr funktioniert.
Ob Hennemann wirklich fliehen wollte, ist allerdings fraglich. Der arbeitswütige Ex-Manager hatte seit seiner Demission im November vergangenen Jahres vielfältige Aktivitäten entwickelt - im Inland, aber auch im Ausland.
Im Februar meldete Radio Bremen die Flucht Hennemanns, als der mit Koffern - angeblich voller Unterlagen - ins Flugzeug stieg. Damals war der Manager zu seinem Vertrauten Johann Schäffler, ehemals Aufsichtsratsvorsitzender des Vulkan, nach München geflogen.
Danach reiste Hennemann nach Polen und nach Brüssel, bereits Anfang April war er in den USA gewesen, angeblich um dort neue Investoren für die Bremer Werften aufzutreiben. Aus Boston hatte sich Hennemann damals beim SPIEGEL gemeldet. Er sei auf der Suche nach 250 Millionen Mark, um wieder »die Mehrheit am Gesamtkonzern Vulkan« zu kaufen.
Realitätsfremd und mit wohlfeilen Ratschlägen hatte er vielblättrige Mahnschreiben an die Ministerpräsidenten geschickt, die mühsam die von ihm mitverursachte Werftenkrise zu bewältigen suchten. Er mischte sich unter die Arbeiter, die gegen die Ergebnisse seiner eigenen Arbeit protestierten. Selbst im freien Fall noch schmiedete Hennemann Pläne, wie er zum großen Schiffahrtsmittler zwischen den USA und der EU werden könnte.
Hennemann führte einen einsamen Kampf. Er wollte sich vom Makel des Versagers befreien - und gab sich statt dessen mit jedem seiner hilflosen Versuche, die Welt von seiner Unschuld zu überzeugen, noch mehr der Lächerlichkeit preis.
Er sah sich selbst als Opfer einer Umwelt, die mit seiner Größe und Brillanz nicht umzugehen vermochte. Daß er - »mit Geschicklichkeit und Härte« - die maroden Bremer Werften vor dem sicheren Untergang bewahrte, daß er dabei »dem Old-Mens-Network, dem Beziehungsgeflecht der deutschen Top-Industrie nicht nur nicht angehörte, sondern sich offensichtlich auch nicht darum bemühte« - das alles und noch viel mehr, so schrieb er in einem seitenlangen Konvolut unter dem Titel »Das Schweigen der Lämmer« - habe ihm die Feindschaft der etablierten Industrielenker eingetragen.
Fortan versuchten die den Außenseiter, der ständig die Kreise störte, fertigzumachen - so sah Hennemann die Welt; so wollte er, daß die Welt ihn sah. Das war seine Aufgabe, und da hatte er noch viel zu tun.
Warum also sollte er fliehen? Daß sich der Manager bei seinen Finanztransaktionen persönlich bereichert hat, glaubt die Staatsanwaltschaft nicht. Jedenfalls gibt es bisher keinen Hinweis dafür.
Die Staatsanwälte, die am vergangenen Mittwoch morgen in seiner Privatwohnung erschienen, waren über seine neuen Reisepläne nicht unterrichtet. Hennemann wies daraufhin seinen Sekretär an, den für den nächsten Tag gebuchten USA-Flug um einen Tag hinauszuschieben. Wäre Hennemann nicht festgesetzt worden, er wäre vergangenen Freitag mit United Airlines, Flug UA 3689/3529, von Bremen über Frankfurt nach Boston geflogen.
Für den 2. Juli war die Rückreise mit Virgin Atlantic über London nach Marseille geplant, wo Hennemann an der Plenarsitzung des Maritimen Industrieforums mit EU-Kommissar Martin Bangemann teilnehmen wollte, dessen zweite Arbeitsgruppe er bis dato leitete. »Daraus«, so Bangemann am Freitag, »wird wohl nichts.«
Die Reise platzte, weil Hennemann unter dem Druck der Hausdurchsuchung nervös wurde. Noch während der Durchsuchung seiner Villa hatte er in seine Büroräume am Fallturm fahren wollen, wo ebenfalls bereits Polizeibeamte auf ihn warteten. Doch der ehemalige Vulkan-Chef machte einen kleinen Umweg - zu seiner Zweitwohnung in der Parkallee.
Als er nicht erschien, fuhren die Beamten dorthin. Sie erreichten das Haus, als der Gesuchte es gerade verließ. Der erklärte ihnen, er habe für sie Unterlagen holen wollen. Nur behilflich habe er sein wollen, da seine Zweitwohnung der Staatsanwaltschaft doch eigentlich nicht bekannt sei. In der Version seines Anwalts Feigen wurden diese Unterlagen später zu Farbfolien, die Hennemann für einen Vortrag während seiner USA-Reise gebraucht habe.
Die Beamten sahen sich die Zweitwohnung genauer an. Erst nach geraumer Zeit entdeckten sie Papierschnipsel im Klo, die sie mit Gummihandschuhen herausfischten. Deren Bedeutung erkannten sie zunächst nicht.
Getrocknet und zusammengesetzt, entpuppten sich die Schnipsel als handschriftliche Notizen über Hennemanns weitgestreutes Eigentum. Er will sie im Zusammenhang mit seiner Steuererklärung für 1994 geschrieben haben.
Erst später und eher beiläufig meldeten die Beamten dem Staatsanwalt den Fund. Der zog daraus den Schluß, wenn Hennemann in Steuerangelegenheiten zu Aktenvernichtung fähig sei, dann auch im Rahmen der Untreuevorwürfe.
Die Vorhaltungen der Staatsanwälte verunsicherten den sonst so abgebrühten Hennemann. Zunächst erklärte er, es handele sich um Unterlagen, die sein Steuerberater am Vorabend die Toilette hinuntergespült habe. Als die Beamten wissen wollten, wer der Berater sei, gab Hennemann zu, es selbst getan zu haben. Er beharrte aber darauf, so sein Sekretär, es sei am Vorabend gewesen.
Anwalt Feigen konzediert mittlerweile, daß die Handlung kurz vor Eintreffen der Beamten stattfand. Die völlig irrelevante Unterlage habe Hennemann vor seiner USA-Reise ins Klo gespült, »damit die Putzfrau sie nicht liest«.
Widersprüchlich waren auch die Versionen über den hohen Bargeldbestand. Mal handelte es sich um Haushaltsgeld für Hennemanns Ehefrau, die während der USA-Reise ihres Mannes nicht darben sollte, mal waren es Gelder, die der Sekretär für die Bezahlung ausstehender Rechnungen für Hennemanns neugegründete Privatfirmen bestellt hatte, dann wieder Honorare, die der Werftenmanager für erbrachte Dienstleistungen erhalten haben wollte. Immer aber blieb fraglich, warum die Beträge bar herumlagen.
In Bremens feinem Parkhotel, wo der asketisch veranlagte Hennemann eher spärlich zu dinieren pflegt, wurde sein Platz am Donnerstag von seinem Anwalt eingenommen. Nach der Entscheidung des Bremer Haftrichters muß der Manager fürs erste in der Justizvollzugsanstalt Oslebshausen bleiben. Dort kann er weiter Askese üben. Freitag abend aß Hennemann Brot, 50 Gramm Teewurst und einen Becher Kräuterquark. Dazu gab''s Tee.
[Grafiktext]
Zahlungen der Treuhandanstalt an die ehem. Ostwerften im
Vulkan-Verbund
[GrafiktextEnde]
* Am Mittwoch vergangener Woche in Bremen.* Oben: auf einer Protestveranstaltung mit Arbeitern derLloyd Werft am 22. Februar; unten: mit Treuhand-Chefin BirgitBreuel und Bernd Seite, Ministerpräsident vonMecklenburg-Vorpommern, im August 1994 auf der MTW-Werft inWismar.