Schriftsteller Coelho zur Wirtschaftskrise "Aktienkurse machen nicht glücklich"

Politiker und Manager suchen in Davos nach einer Lösung für die Konjunkturkrise. Doch Bestseller-Autor Paulo Coelho kann dem Abschwung positive Seiten abgewinnen. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE spricht er über die Bedeutung von Liebe, Spaziergängen und Machiavelli in ökonomisch schwierigen Zeiten.

SPIEGEL ONLINE: Herr Coelho, das Weltwirtschaftsforum sucht nach Lösungen für die globale Konjunkturkrise. Man hat aber den Eindruck, dass sich die Diskussionen immer um die gleichen Streitpunkte und Schuldzuweisungen drehen. Am Ende wirken all die Politiker und Top-Manager ziemlich ratlos?

Schriftsteller Coelho: "Die richtigen Fragen sind das Wichtigste"

Schriftsteller Coelho: "Die richtigen Fragen sind das Wichtigste"

Foto: AP

Coelho: Sie finden vielleicht keine Lösung - aber das ist nicht einmal schlecht! Es ist jetzt viel wichtiger, die richtigen Fragen zu stellen. Wenn man einmal eine Antwort hat, muss man sich daran halten.

SPIEGEL ONLINE: Angesichts der Milliardensummen, die Regierungen im Moment für die Krisenbekämpfung ausgeben, wäre die Einigung auf eine gemeinsame Antwort vielleicht ganz hilfreich.

Coelho: Das Bild der Krise ändert sich derzeit von Tag zu Tag. Möglicherweise gibt man noch sehr viel mehr Geld aus und dann zeigt es sich, dass die Antwort, die man gegeben hat, dennoch die falsche war. Aber eins haben wir wenigstens erreicht: Die Menschen sind sich heute bewusst darüber, was passiert an den globalen Märkten. Vor einem Jahr war das noch anders: Da hat es zwar schon deutliche Vorzeichen für die Krise gegeben. Aber wir wollten diese Zeichen nicht glauben.

SPIEGEL ONLINE: Sie sind Optimist. Aber die aktuelle Wirtschaftskrise erreicht zusehends gigantische Ausmaße. Macht Ihnen die Entwicklung keine Angst?

Coelho: Ich habe keine großen Ängste. Das System korrigiert sich selbst, das ist freilich sehr schmerzhaft. Aber es ist gut für die Menschheit. Wir kehren zu den echten Werten zurück, zu denen hatten wir den Kontakt verloren. Ich habe gerade ein Buch geschrieben, das Ende 2009 in Deutschland erscheint und gut passt. Natürlich habe ich es angefangen, ohne zu wissen, dass diese Krise derart hart zuschlägt. Aber ich habe gespürt, dass etwas falsch läuft. Wie jeder Mensch mit gesunder Wahrnehmung. Es heißt: 'The Winner Stands Alone' und spielt in den Festspielen von Cannes. Eigentlich soll es dort um Filme gehen. Tatsächlich geht es um Partys, um Luxus, um Angeberei.

SPIEGEL ONLINE: Sie sehen eine Ähnlichkeit zur Finanzbranche? Zu welchen Werten wird die Gesellschaft denn jetzt zurückkehren?

Coelho: Erstens natürlich: zur Liebe. Zweitens: zu den wirklichen Schönheiten des Lebens, die nichts kosten. Spazieren gehen, Verabredungen haben – einfach alles, was Glück bedeutet. Glück ist doch nicht, in einem geschlossenen Raum vor einem Computerbildschirm zu sitzen, Aktienkurse zu verfolgen und zu wetten wie in einem Casino. In solchen Krisenzeiten haben die Menschen, wenn sie intelligent sind, auch die Chance, ihr Leben neu zu gestalten und neu darüber nachzudenken.

SPIEGEL ONLINE: Ihren Optimismus in Ehren. Aber diese Krise wird die Armut in vielen Regionen steigern und politische Krisen verschärfen.

Coelho: Ich bin nicht optimistisch, sondern realistisch. Was passiert, passiert. Und dies ist ein schmerzhafter Moment für die Gesellschaft. Aber die Krise ist so gekommen, weil all diese Fehlentwicklungen nicht korrigiert wurden, die Menschen sie nicht gesehen haben. Aber die Menschen sind anpassungsfähig und sie werden sich anpassen. Das war schon so, als wir noch in Höhlen wohnten und ist heute noch so, wo wir hier in Davos über Finanzen diskutieren. Denken Sie daran, wie Gutenberg den Buchdruck erfand. Die Mönche in den Klöstern waren entsetzt, weil plötzlich die Bibel in Massen gedruckt werden konnte. Sie sagten: Wir sind verloren. Das war eine Krise, aber sie wurde überwunden.

SPIEGEL ONLINE: Einer, von dem derzeit die ganze Welt erwartet, er möge zumindest die Richtung für die Lösung zeigen, ist der neue US-Präsident Barack Obama. Kann er der Menschheit helfen?

Coelho: Ich mag Obama. Aber er ist nicht der Messias. Die Leute erwarten so viel von ihm: Bei jeder Entscheidung, die ihnen nicht gefällt, wird er um einen Punkt im Ansehen sinken. Und er wird unpopuläre Entscheidungen treffen müssen. Wenn ich Obama ein Buch empfehlen sollte, wäre es "Der Fürst" von Niccolo Machiavelli. Er sollte es lesen. Es zeigt zum Beispiel, wie man am besten unbeliebte Entscheidungen trifft: am besten am Anfang. Die Menschen vergessen sie dann irgendwann.

Das Interview führte Anne Seith
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