Schufa-Kompass Warum der Norden mehr Schulden macht
Hamburg - Auch die Gutverdiener trifft es - mindestens genauso oft wie die Armen. Professoren im feinen Anzug saßen schon bei der Frankfurter Schuldenberaterin Marion Schmidt im Büro. Zahnärzte, Manager. Die einen haben sich bei der Finanzierung ihrer Praxis übernommen, die anderen in eine Schrottimmobilie investiert. Die nächsten kommen mit den Raten für ihr Haus nicht mehr klar.
Wer weniger gut verdient, rutscht oft wegen ganz banaler Alltagskosten in die Schuldenfalle. "Eine Verkäuferin, die netto 900 bis 1000 Euro verdient, muss sich fast zwangsläufig verschulden. Spätestens, wenn die Waschmaschine kaputt geht oder irgendein Möbelstück neu gekauft werden muss." Überschuldung betrifft die ganze Gesellschaft. Und das ganze Land, wie die Schufa in ihrem neuen Schuldenkompass zeigt.
Trotzdem gibt es regionale Unterschiede - und Überraschungen. "Es gibt kein direktes Ost-West-Gefälle", erklärt Stefan Horst, der Schufa-Projektleiter für den Schuldenkompass. Thüringen etwa findet sich unter den Top-Bundesländern an Platz fünf - und die Zukunft sehe sehr gut aus, prophezeit Horst. Schufa-Prognosen zufolge werden die Schuldenprobleme des Landes im kommenden Jahr um fast zwei Prozent abnehmen. In Gesamtdeutschland dagegen seien es nur 0,44 Prozent.
Auch sonst sind die Unterschiede zwischen West und Ost gering - Bürger beider Landesteile verschulden sich ähnlich oft, nur sind die Schulden im Westen meist höher. Viel ausgeprägter und auffälliger ist dagegen das Nord-Süd-Gefälle. Die geringsten Verschuldungsprobleme gibt es in Baden-Württemberg, auch Bayern steht gut da. Besonders problematisch ist die Situation dagegen in Berlin. Viele Krisen-Landkreise verteilen sich auch über Niedersachen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen.
"Natürlich lassen sich die Unterschiede zum einen dadurch erklären, dass die südlichen Länder die wirtschaftlich stärksten sind", sagt Helga Springener vom Fachbereich Finanzdienstleistungen beim Bundesverband der Verbraucherzentralen. Aber es gebe noch weitere Faktoren, die den Unterschied erklären. "Es gibt zum Beispiel die Theorie, dass ländliche Strukturen Überschuldung aufhalten. Weil auf dem Land die sozialen Netzwerke noch besser sind."
In den Ballungsgebieten der Nordhälfte - ob in Bremen, Berlin oder NRW - leben dagegen mehr Singles, Alleinerziehende und Geschiedene als auf dem Land, argumentiert auch Claus Schäfer, Ökonom im Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung. Allesamt sind sie Risikogruppen für Überschuldung. Häufig gibt es in den norddeutschen Großstädten auch mehr Arbeitslose.
Ausnahmen bestätigen die Regel - oft ist die Situation von Stadt zu Stadt vollkommen unterschiedlich. Einige Ortschaften fallen vollkommen aus dem Rahmen: Die kreisfreie Stadt Pirmasens in Rheinland-Pfalz - wo sich die Lage laut Schufa 2008 stark verbessern wird - befindet sich seit Jahren auf dem letzten Platz aller 439 Landkreise. Betrachtet man die Wirtschaft des Ortes, wundert das nicht. Durch den Niedergang der einst blühenden Schuhindustrie gingen 16.000 Arbeitsplätze verloren. Als die US-Armee abzog, kostete das noch einmal ein paar Tausend Jobs. Vergangenes Jahr hatte jeder siebte Einwohner einen Schufa-Eintrag.
Auch für Bremen sagt der Schufa-Kompass eine Verschlechterung voraus. "Auch hier ist die Wirtschaftstruktur nicht stabil", erklärt Verbraucherzentrale-Expertin Springener.
Experten glauben nicht an Trendwende
Die Juristin ist pessimistisch - sie bezweifelt die Schufa-These, die Schuldensituation werde sich im kommenden Jahr insgesamt verbessern. Die Datengrundlage der Schufa reiche nicht für eine fundierte Vorhersage aus, sagt Springener. Zwar analysierte die Schufa die Schuldensituation der Städte und Bundesländer anhand von Kriterien wie unbezahlten Handy- und Versandhandelsrechnungen, Kreditausfällen und Privatinsolvenzen. Die Prognose sei aber vor allem auf Basis der Konsumentenkredit- und der Hypothekenschulden erstellt worden - das sei zu wenig.
Auch Wissenschaftler Schäfer glaubt nicht an die Entschuldung der Deutschen. "Die allgemeine Einkommensarmut hat zugenommen, nächstes Jahr nimmt der Aufschwung ab", erklärt er. Da wachse die Versuchung, seine Ausgaben durch Kredite zu bestreiten - die man dann nicht mehr zurückzahlen kann. Eine kürzlich vorgestellte Untersuchung der Auskunftei Creditreform unterstützt diesen Schluss.
Auch Jochen Sanio, Präsident der Finanzaufsicht BaFin, warnte heute: Als Folge der globalen Kreditkrise drohten jetzt auch in Deutschland Ausfälle bei Verbraucherkrediten. Schulden-Expertin Springener merkt an, dass auch im Schufa-Kompass die Rate der geplatzten Kredite leicht gestiegen sei.
Sie steht der Veröffentlichung von Untersuchungen wie dem Schufa-Kompass ohnehin kritisch gegenüber - weil sie Regionen, Landkreise und Wohngebiete brandmarken. Wer wisse schon, welche Konsequenzen Unternehmen oder Behörden aus solchen Informationen ziehen? "Vielleicht investieren sie lieber erst einmal da, wo es sich lohnt - und überlassen Gebiete, wo die Schuldensituation besonders schlecht ist, sich selbst."