GEWERKSCHAFTEN Schwappt über
Die Wahlkampfexperten des DeutscherL Handels- und Industrieangestellten-Verbandes (DHV) kennen ihre Kundschaft offenbar genau. »Würden Sie einem Fremden Ihre Wohnungsschlüssel anvertrauen?« fragten sie die auf Sicherheit und Statusdenken gedrillten Angestellten des Versicherungskonzerns Allianz.
Die Antwort fiel nach den Wünschen des DHV aus: Bei der Wahl der Gewerkschaftsvertreter für den Allianz-Aufsichtsrat bekamen die DHV-Vertreter 31,9 Prozent der Stimmen -- die konkurrierende DGB-Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) hatte eine peinliche Niederlage eingesteckt.
Ähnliche Schlappen mußten auch die anderen etablierten Gewerkschaften hinnehmen. Weil in den meisten der fast 500 Betriebe, die spätestens per 30. Juni einen paritätisch besetzten Aufsichtsrat vorweisen müssen, Splittergruppen und unabhängige Kandidaten sich um einen Platz auf der Arbeitnehmerbank bewerben, haben die DGB-Kollegen häufig einen schweren Stand.
Insbesondere die Urwahl begünstigt die Einzelkämpfer. Entschieden sich die Arbeitnehmer in der nach dem Mitbestimmungsgesetz erlaubten Vorwahl für die Direktwahl und gegen das vom DGB favorisierte Wahlmänner-Verfahren, wurde es für die Gewerkschafter ernst. Populäre Belegschaftsvertreter und sogenannte unabhängige Bewerber konnten dann häufig mit kühnen Versprechen den Startvorteil der etablierten Funktionäre ausgleichen.
Am schnellsten begriffen das die Angestellten. In Unternehmen, in denen diese Arbeitnehmerschicht überdurchschnittlich stark vertreten ist, traten Unorganisierte gelegentlich gleich im Dutzend zum Rennen um die Aufsichtsratsmandate an.
»Einig waren sie sich«, fand der für die Aufsichtsratswahlen verantwortliche IG-Metall-Vorstand Georg Benz heraus, »in einem Punkt: den »mächtigen, Gewerkschaften und ihren betrieblichen Funktionären eins auszuwischen.«
Bei Banken und Versicherungen, aber auch in der Chemieindustrie schlug dieses Rezept am besten an. In dem Ludwigshafener Chemiekonzern BASF gelang es einer Anti-DGB-Koalition sogar, die Wahl des Betriebsratsvorsitzenden in den Aufsichtsrat zu vereiteln.
Noch überraschender fielen die Wahlergebnisse der Frankfurter Edelmetall-Firma Degussa, der Ludwigshafener Knoll AG und der deutschen Tochter des Schweizer Chemiemultis Hoffmann-La Roche aus: In diesen Firmen entsendet die kleine Vereinigung Angestellter Akademiker (VAA) neben dem Vertreter der Leitenden Angestellten einen weiteren Abgesandten in den Firmenrat*.
Bei der Commerzbank schaffte der Deutsche Bankangestellten-Verband (DBV) ebenso viele Mandate wie die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen. Und bei der Deutschen Bank besetzten DBV-Kandidaten sogar einen Sitz mehr als die HBV-Vertreter.
Oft verdanken die Splittergruppen ihre Siege einer schon aus ihrer Personalnot gebotenen Strategie. Während die DGB-Gewerkschaften für die Gruppe der Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsrat stets externe Funktionäre nominierten, stellten die Splittergruppen auch für diese Ratsmandate nur betriebliche Kandidaten auf.
Ein wenig Polemik besorgt dann häufig den Rest. »Wählen Sie keine Marionetten in den Aufsichtsrat«, warb der Deutsche Bankangestellten-Verband, »denn sonst wissen Sie nicht, wer dann die Fäden in der Hand hält.«
»Die Art, in der die Auseinandersetzung teilweise geführt wurde«, sorgt sich IG-Metall-Vorstand Benz in einer Zwischenbilanz, »läßt für künftige Wahlentscheidungen in den Betrieben allerhand erwarten.«
* Der Arbeitnehmerblock im Aufsichtsrat teilt sich nach dem neuen Mitbestimmungsgesetz in drei Gruppen: Ein vertreter der Leitenden Angestellten sitzt neben den gewählten Abgesandten der Arbeiter und Angestellten sowie den offiziellen Gewerkschaftsvertretern.
Benzens Erwartung erfüllte sich. Auch bei den inzwischen angelaufenen Betriebsratswahlen mischen unabhängige Kandidaten und Splitterorganisationen kräftiger mit als in früheren Jahren. Starke unabhängige Gruppen haben sich in den Opel-Werken in Rüsselsheim und Bochum, in der Daimler-Benz-Fabrik Untertürkheim und im Hamburger Transportkonzern Hapag-Lloyd formiert. In Untertürkheim etwa konnte eine sogenannte Gruppe »Hass! Mühleisen« immerhin acht von 47 Sitzen erobern. Bei der Hapag-Lloyd errangen die Unabhängigen sogar die Hälfte aller Angestellten-Sitze.
Die spektakulärsten Ergebnisse erzielten bisher allerdings die Listen der sogenannten Revolutionären Gewerkschafts-Opposition (RGO), hinter denen sich linksextreme Sektierergrüppchen wie die KPD/ML verbergen. Die RGO zog in die Betriebsräte der Berliner Werke von Siemens, KWU und Bosch, der Chemieunternehmen Cassella in Frankfurt und BASF in Ludwigshafen sowie der Stahlunternehmen Mannesmann und Hoesch ein. Bei der Dortmunder Hoesch Union schafften sie sogar 34 Prozent der Stimmen.
Nicht selten verdanken auch die roten Räte ihren Aufstieg den Versäumnissen der etablierten Arbeitnehmervertreter. Zumeist gewannen sie gerade dort, wo der DGB nur schwache Funktionäre zu bieten hatte.
Erfahrene Gewerkschafter halten die Aufsichts- und Betriebsratswahlen dieses Frühjahres für eine Trendwende. »Die Welle der Kritik an Staat und Parteien, die sich schließlich in Bürgerinitiativen niederschlug«, vermutet ein ranghoher IG-Metall-Funktionär, »schwappt nun auch über die Gewerkschaften.«