Schweiz vor Volksabstimmung »Eine völlig übertriebene Angstkampagne«

Am Sonntag stimmt die Schweiz über die Haftung von Konzernen ab. Der Unternehmer Dietrich Pestalozzi sagt, warum der Streit eskaliert – und er plötzlich als Linksradikaler gilt.
Ein Interview von Nils Klawitter

In der Schweiz sollen die Konzerne stärker an die Kandare genommen werden und für Umwelt- und Menschenrechtsverletzungen haften. Das fordert die Konzernverantwortungsinitiative – ein breites Bündnis aus 80 Nichtregierungsorganisationen (NGOs), kirchlichen und gewerkschaftlichen Vereinigungen sowie Aktionärsverbänden. In Umfragen liegen die Befürworter der Initiative knapp vorn. Kurz vor der Abstimmung eskaliert die Auseinandersetzung in einer für die Schweiz ungewohnt aggressiven Art. Der Unternehmer Dietrich Pestalozzi, 71, ist ein Befürworter der Initiative. Im Interview spricht er über die jüngsten Anfeindungen und fragwürdige Kampagnen.

SPIEGEL: Herr Pestalozzi, in Videos auf Facebook werden die Befürworter der Konzernverantwortungsinitiative in die Ecke linksradikaler Chaoten gestellt, die brandschatzend durch Schweizer Städte marodieren. Sie selbst treten meist in Sakko und Fliege auf – oder werfen Sie heimlich Steine?

Pestalozzi: Ha, ich bin nicht gerade als links bekannt. Ich bin Unternehmer, liberal. Bisher war ich politisch nicht besonders engagiert, aber hier war ich irgendwie an der Reihe, es geht auch um unser Gewissen. Ich glaube, dass es für Unternehmer sehr gute Gründe gibt, diese Initiative zu unterstützen. 

SPIEGEL: Fühlen Sie sich durch die Videos verunglimpft?

Pestalozzi: Die Filme waren ein plumper Versuch der Eskalation. In den sozialen Medien wollte man die Sache auf die Spitze treiben, ich weiß nicht, ob man das ernst nehmen sollte. Der »Tagesanzeiger« hat ja vermutet, dass dahinter die PR-Agentur Goal stehen könnte...

SPIEGEL: ... die auch schon der deutschen AfD in verschiedenen Wahlkämpfen zur Seite stand und deren Mitarbeiter jetzt mit den Videos in Verbindung gebracht werden...

Pestalozzi: ... genau. Die Machart war sehr aggressiv. Von diesen Videos hat sich sogar die Gegenseite inzwischen distanziert. 

SPIEGEL: Woher kommt die Aggressivität auf den letzten Metern?

Pestalozzi: Das mag daran liegen, dass die Zustimmung der Bevölkerung für die Initiative kurz vor der Wahl nicht zurückgegangen ist – wie das sonst bei Initiativen oft zu beobachten ist. Die Gegenseite ist nervös geworden und musste hochschalten. Das Grundproblem der Nein-Seite hat schon der Verband Economiesuisse in einem Strategiepapier skizziert: Man kann die Initiative argumentativ nur schwer bekämpfen, deshalb müssen die Gegner jetzt emotional vorgehen. 

SPIEGEL: Dazu passt ein Comicfilm, der auf der Plattform für fairen Wettbewerb zu sehen ist. Dabei handelt es sich um ein PR-Vehikel des Konzernverbands Swissholdings, in dem große Unternehmen wie Nestlé, Glencore und Syngenta sitzen. In dem Film steckt die Polizei eine Schweizer Unternehmerin namens Manuela ins Gefängnis, weil ein polnischer Geschäftspartner von ihr juristische Schwierigkeiten hat.

Pestalozzi: Ein Witz! Die Plattform behauptet, die Diskussion versachlichen zu wollen und macht das Gegenteil, grotesk. Das Filmchen enthält gleich mehrere Fehler, nur ein Beispiel: Der Initiative geht es nicht um strafrechtliche, sondern um zivilrechtliche Haftung. Hinter Gitter kommt wegen uns niemand. Auch nicht wegen Verfehlungen irgendwelcher Geschäftspartner.

SPIEGEL: Eines der Plakate der Plattform zeigt, wie die Schweiz durch einen Hammer der internationalen Klageindustrie zerteilt wird.

Pestalozzi: Eine völlig übertriebene Angstkampagne. Klagen in der Schweiz sind dafür in der Regel viel zu kompliziert.

SPIEGEL: Warum engagieren Sie sich als Unternehmer überhaupt für die Initiative?

Pestalozzi: Für mich ist so ein Einstehen völlig selbstverständlich. Wer im Ausland Sorgfaltsprüfungen macht und mit Gegenmaßnahmen reagiert, wenn er Schwachstellen erkennt, den trifft das Gesetz ja gar nicht. 

SPIEGEL: Im Fokus der Initiative standen vor allem fragwürdige Rohstoffhändler wie Glencore. Hätte die Kampagne ohne solche Gegner überhaupt Erfolgschancen gehabt?

Pestalozzi: Ich denke ja, es gibt genügend andere Unternehmen, etwa im Agrarbereich oder im Textil- oder Kakaohandel, deren Tätigkeiten Fragen aufwerfen. Inzwischen scheint sich allerdings selbst Glencore langsam auf einen Lernpfad begeben zu haben. Die Initiative würde das Unternehmen zur nötigen Ernsthaftigkeit bei ihren Sorgfaltsprüfungen zwingen.  

SPIEGEL: Die Initiative könnte auch dann noch scheitern, wenn sie eine Wählermehrheit bekommt, denn sie braucht auch die Mehrheit der Kantone auf ihrer Seite. Bei einer Niederlage würde der wirtschaftsnahe Gegenvorschlag greifen, der den Unternehmen außer einer Berichtspflicht kaum etwas abverlangt. Ist dieser Vorschlag tatsächlich international abgestimmt, wie Justizministerin Karin Keller-Sutter behauptet?

Pestalozzi: Das weiß ich nicht, aber was heißt das schon? Wichtiger scheint mir, was die Ministerin nicht sagt: Der Gegenvorschlag wird schnell Makulatur werden, denn in der EU sind ja längst weitergehende Lieferkettengesetze absehbar – denen wird sich dann auch die wirtschaftlich eng verbandelte Schweiz anpassen müssen. 

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