UNTERNEHMEN Schwerer Dampfer
Eineinhalb Briefseiten brauchte AEG-Chef Walter Cipa, um die zwanzig Herren seines Aufsichtsrats am Dienstag voriger Woche von einer »bedauerlichen Entwicklung« zu unterrichten.
Es ging um den Verkauf einer verlustreichen AEG-Tochtergesellschaft, der Olympia Werke in Wilhelmshaven. Diesen Minusmacher hätte Cipa allzugern an den französisch-amerikanischen Computer-Riesen Honeywell-Bull verscherbelt.
Der Handel schien schon perfekt. Am Freitag vorletzter Woche hatte Cipa seine kurzfristig zu einer Sondersitzung nach Frankfurt bestellten Räte in die Verkaufspläne eingeweiht und innerhalb von acht Tagen um schriftliche Zustimmung gebeten. Geradezu überschwenglich hatte Cipas Amtsvorgänger Hans Groebe, der in den Aufsichtsrat abgeschoben worden war, den Nachfolger zu seinem Erfolg beglückwünscht.
Doch die Gratulation kam zu früh. In seinem Brief an die Aufsichtsräte mußte der AEG-Chef berichten, Honeywell-Bull habe sich in letzter Minute anders entschieden und das Übernahme-Projekt im Verwaltungsrat verworfen. Das entscheidende Veto, mutmaßte der Vorstandsboß, sei von den amerikanischen Honeywell-Managern gekommen.
Die Absage aus Paris, das »nicht vorhersehbare Verhalten des französischen Gesprächspartners« (Cipa) traf den AEG-General hart. Denn sein Elektro-Imperium, dessen Aktienkurse von Tag zu Tag tiefer sacken, ist so angeschlagen, daß Rettung nur noch durch Verkäufe großer Tochterfirmen und die Abgabe von Beteiligungen möglich scheint.
Der AEG-Chef, der 1975 als Sanierer in die Frankfurter Konzernzentrale geholt worden war, offenbarte bereits im letzten Herbst seinen Aufsichtsräten, daß er die aufgelaufenen Verluste aus dem aktiven Geschäft nicht mehr ausgleichen könne. Nur durch Substanzverkäufe könne er mittelfristig die Verschuldung des nach Siemens zweitgrößten deutschen Elektro-Unternehmens um 500 Millionen bis eine Milliarde Mark abbauen.
Aber auch dann noch stände die Frankfurter Firma bei ihren Gläubigern tief in der Kreide. Denn die bei 176 Banken und Sparkassen registrierten Schulden des Gesamtkonzerns summierten sich nach der vertraulichen »Evidenzliste« der Deutschen Bundesbank im letzten November auf nicht weniger als 5,1 Milliarden Mark (einschließlich umfangreicher Exportbürgschaften). Cipas Hoffnungen, im vierten Jahr seiner Sanierungskur endlich den Durchbruch zu schaffen, erhielten im vergangenen September einen schweren Dämpfer:
Um sich vor weiteren Verlusten zu schützen, hatte Cipa den AEG-Anteil an der Kraftwerk Union (KWU) an Siemens verkauft. Doch das Geschäft brachte weit weniger als erhofft: Bei der Endabrechnung seines KWU-Engagements sah sich der Ausverkäufer überraschend mit einer Siemens-Restforderung von 215 Millionen Mark konfrontiert; damit sollen Risiken aus alten, von der AEG gebauten Kernkraftwerken ausgeglichen werden.
Währungsverluste und die langsamer als erwartet anlaufende Inlandskonjunktur verhagelten Cipa zusätzlich das Konzept. Bereits jetzt steht fest, daß der ehemalige Ruhrmanager für 1978 einen Neuverlust von mindestens 420 Millionen Mark ausweisen muß.
Rund 100 Millionen Mark Verlust erwirtschaftete allein die Büromaschinen-Tochter Olympia, die vor allem bei elektronischen Tischrechnern unter der ruinösen Preiskonkurrenz der Japaner leidet. Noch tiefer in die roten Zahlen gerieten die AEG-Manager im Konsumgüter-Geschäft mit Waschmaschinen und Kühlschränken, Radios und Elektroherden.
Schuld an dieser Misere ist nicht zuletzt die Zersplitterung der Fertigung, die von Cipas Vorgängern zu verantworten ist. In den sechziger Jahren hatten die AEG-Manager rundum Hausgerätefirmen aufgekauft. So werden beispielsweise Elektroherde nicht nur bei Neff in Bretten, sondern auch bei Küppersbusch in Gelsenkirchen produziert. Waschautomaten baut AEG in Tübingen und Rothenburg, Kleingeräte sogar gleich an drei Standorten.
In einer Art Ringtausch will Cipa jetzt bis 1981 die Herstellung einzelner Produkte auf jeweils ein einziges Werk konzentrieren und dabei die beiden AEG-Fabriken Bruchsal und Uffenheim schließen. Kosten der Neuorganisation: rund 70 Millionen Mark.
Doch noch ehe Cipa bei der weißen Ware der Hausgeräte für Ordnung sorgen kann, brennt es bereits im braunen Geschäft -- bei Fernsehern, Radios und Stereo-Anlagen seiner Konzernfirma Telefunken. Um die Halden unverkaufter TV-Geräte nicht weiter anwachsen zu lassen, meldete AEG vorletzte Woche für 5000 Telefunken-Werker Kurzarbeit an (siehe Seite 66).
Zur Disposition steht inzwischen auch die in der Energietechnik tätige Konzernfirma AEG-Kanis, die durch die Stopps beim Kraftwerkbau in Auftragsnot geraten ist. Aus denselben Gründen ist die Frankfurter Firma Hartmann & Braun, die in der Meß- und Regeltechnik zur Weltspitze zählt, zur Belastung geworden; AEG ist bei Hartmann & Braun zu 75 Prozent beteiligt.
Von den fünf AEG-Sparten macht inzwischen nur noch eine einzige, nämlich der Geschäftsbereich Nachrichtentechnik, Gewinn. Gern hätte Cipa aus dem Olympia-Erlös weitere Aktienpakete der in diesem Zweig dominierenden Firma Telefonbau und Normalzeit (T+N) aus Familienbesitz hinzugekauft; zur Zeit ist die AEG erst mit 34,8 Prozent an T + N beteiligt.
Angesichts der desolaten Lage reagieren die Aufsichtsräte des Konzerns immer gereizter auf Walter Cipas Durchhalteappelle. Als der AEG-Chef die Kontrolleure kürzlich im Finanzausschuß des Aufsichtsrates mit seinem üblichen Diavortrag abspeisen wollte, stoppte Ausschuß-Vorsitzender Hans Leibkutsch, im Hauptberuf Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, die Cipa-Schau und ordnete eine sachdienlichere Prozedur an. Seitdem muß der Konzernsanierer seinen Vortrag den Ausschußmitgliedern spätestens drei Wochen vor jeder Sitzung schriftlich zustellen, damit Zeit für die Diskussion gewonnen wird.
Schon im vorigen Herbst hatten die Aufsichtsräte den selbstbewußten Cipa zurechtgestutzt. Weil der Chef-Manager die eigentlichen Schwachstellen des Konzerns nicht mit der gewünschten Genauigkeit zu lokalisieren wußte, beauftragte das Ratspräsidium die Deutsche Warentreuhand AG mit einem Sondergutachten.
In ihrem Anfang Dezember abgelieferten Bericht rügten die Revisoren denn auch eine Reihe gravierender Mängel. So habe der Vorstand nicht nur viel zu optimistische Planziele verkündet, sondern, nachdem sich diese als unrealistisch herausstellten, zu spät nach unten korrigiert. Kurz nach Ablieferung des Treuhand-Reports nahmen drei AEG-Bosse, unter ihnen der für die Konzernplanung zuständige Vorstand Alexander Lautenbach, ihren Abschied von der AEG.
Hellhörig machte die Aufsichtsräte aber nicht erst der Bericht der Sonderprüfer. Zuvor hatte schon der ansonsten nicht gerade selbstkritische Cipa für die mißliche Lage des Hauses freimütig auch interne Mängel angeführt.
So sei bei der AEG die Zeitspanne zwischen der Entwicklung neuer Produkte und ihrer Marktreife zu lang; daher würde immer wieder die Konkurrenz den Frankfurtern den Rang ablaufen. Einige Vertriebsabteilungen, so klagte Cipa überdies, ließen das nötige Engagement vermissen.
Beides deutet auf die wohl größte Schwäche des 50jährigen Elektro-Sanierers hin: Walter Cipa hat es bis heute nicht verstanden, das durch ständige Nackenschläge entmutigte Führungskorps des Konzerns für sich einzunehmen. Statt das mittlere Management mitzureißen, wie es etwa dem VW-Sanierer Toni Schmücker gelang, lähmte der branchenfremde Doktor der Geologie durch seinen oft rüden Umgangston und eine überbürokratische Organisation die Aktivität vieler Top-Leute. Scharenweise kehrten in den letzten zwei Jahren höhere AEG-Chargen ihrer Firma den Rücken.
Wie lange Walter Cipa selbst noch am Frankfurter Mainufer amtiert, wagt nicht einmal Walter Cipa zu sagen: »Ein Vorstandsvertrag«, so der Vorstandschef vieldeutig, »ist kein Ewigkeitsvertrag.«