»Selbstbedienungsladen der Großindustrie«
Das Angebot war ungewöhnlich, der Zeitpunkt sinnig: Sie sollten doch vor Jahresschluß noch größere Beträge abrufen, wurden westdeutsche Unternehmer, der Eile wegen per Telephon, vor wenigen »Wochen ermuntert.
Die Frohbotschaft kam aus Hans Matthöfers Bundesministerium für Forschung und Technologie. Weil unverbrauchte Förderungs-Millionen sonst vom neuen Etat 1977 abgehen, kehren die Forschungsbeamten solche Ausgabenreste, dem Haushaltsrecht zuwider, jetzt schnell noch an die »Zuwendungsempfänger« aus.
Vom Bundesrechnungshof mußte sich Matthöfer deshalb den Vorwurf gefallen lassen, er gebe ein »schlechtes Beispiel«. »Alle beteiligten Stellen außerhalb des Ministeriums und die Öffentlichkeit müssen den Eindruck gewinnen, daß die Bundesregierung zu viel Geld habe.«
Der Ton ist neu, der Anlaß zu der Ministerschelte weniger. Denn seit sich Bonn entschloß, Forschung »für den Fortschritt« zu fördern, teilen die Ressortchefs mit vollen Händen aus.
Niemals seit Kriegsende floß ein so breiter Strom öffentlicher und privater Mittel für Forschung und Entwicklung (F+E) in wissenschaftliche Institute und Industrielabors -- allein 1976 nahezu dreimal soviel wie vor zehn Jahren: 24,2 Milliarden Mark. Mit ihrem F+E-Aufwand belegt die Bundesrepublik heute, gemessen am Volkseinkommen, unter den forschungsfreudigsten Nationen den zweiten Platz hinter den USA.
Wie kaum ein anderes Ressort wurde das Matthöfer-Ministerium zur Anlaufstelle der Industrie. Denn wer entwickelt und forscht, darf auf die Großzügigkeit der öffentlichen Hand von Hans Matthöfer zählen, auf Staatszuschuß von 50 Prozent und mehr. So wuchs allein zwischen 1972 und 1975 die Zahl der Unternehmer, die sich im Dienst der Forschung, auf den Lippen das Credo der freien Marktwirtschaft, erfolgreich um Staatsgelder bewarben, von 175 auf 478. Eine »Erfolgskontrolle«, staunte der Bundesrechnungshof unlängst, fand gar nicht »oder nur unzureichend« statt.
Die Liste der Zuwendungsempfänger (Amtskürzel: ZE) in Matthöfers »Förderungskatalog« -- einem Kompendium von 3934 F + E-Projekten mit Finanzzusagen über 5,05 Milliarden Mark -- liest sich von A bis Z wie ein Industrie-Gotha -- lauter Namen von Rang zwischen Agfa und Zeiss.
Ganz vorn rangieren die Elektrokonzerne Siemens und AEG-Telefunken, die Luft- und Raumfahrtfirmen Messerschmitt-Bölkow-Blohm und Dornier sowie das Energiekombinat Steag-Ruhrkohle. Mit vornedran die Branchenmultis Veba, Hoechst, Degussa, RWE und Metallgesellschaft.
Schon wittert die Opposition in dem Ministerium des Kabinetts-Linken einen »Selbstbedienungsladen der Großindustrie« -- so der CDU-Haushaltsexperte Lutz Stavenhagen. Und selbst in der Koalition macht sich Unbehagen an einer Forschungsförderung breit, die sich über weite Strecken »kaum noch von Subventionen unterscheidet« -- so Professor Karl-Hans Laermann, forschungspolitischer Sprecher der Bonner FDP-Fraktion.
Zu den grotesken Ergebnissen sozialliberaler Forschungspolitik nämlich zählt die Förderung von Vorhaben, die Unternehmen auch ohne Staatszuschuß auf eigene Kosten selber realisieren würden -- die sie aber dennoch in Bonn anmelden, »nur weil da einer ist, der Geld gibt« (Professor Laermann).
»Vergleichbar kostspielige Projekte wie die Übertragung der Ammoniak-Synthese und Kohlenhydrierung vom Laborversuch auf den großtechnischen Maßstab in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts, für die Hunderte von Millionen privater Gelder verwendet worden sind, würde heute niemand mehr ohne den Griff nach der öffentlichen Hand unternehmen«, betrauerte die »FAZ« den »generellen Rückgang an Risikofreudigkeit«.
Zu der Fülle jener Programme, deren Förderung mit Steuergeldern oft nur schwer einsichtig ist, gehören etwa > Projekte zur Verbesserung der Lichtausbeute von Leuchtstofflampen, die Matthöfer der Siemens-Tochter Osram ("Qualität, die einleuchtet") mit 1,59 Millionen Mark honoriert;
* die »Optimierung von Kühl-/Gefriergeräten unter dem Gesichtspunkt der Energieeinsparung«, die der Küchengerätefabrik Bauknecht ("Bauknecht weiß, was Frauen wünschen") mehr als eine Million Mark öffentlicher Gelder einbringt;
* ein Abluft- und Abwasserprojekt (2,978 Millionen Mark), das von der Abteilung Wasserreinhaltung und Immissionsschutz des Bayer-Konzerns übernommen wurde, eines Unternehmens, das sich mit derlei Problemen ohnehin professionell beschäftigt.
* Die Transnuklear GmbH in Hanau, deren Geschäftszweck die Beförderung von Atommüll ist, läßt sich die »Entwicklung von Transportbehältern für radioaktive Substanzen« mit 1,535 Millionen Mark aus dem Forschungsetat bezahlen.
Der Übergang zur Subvention ist fließend. Fünf Millionen Mark für die Weiterentwicklung von Stahlgroßrohren für extreme Klimazonen (Alaska-Pipeline) seien nicht zuviel, macht Mannesmann geltend: »Die Unternehmen des Wettbewerbs werden staatlich umfassend gefördert, weil sie entweder im Staatsbesitz sind (Italien) oder als wesentliche Stütze eines volkswirtschaftlich wichtigen Exports angesehen werden (Japan).«
Bonn subventioniert den AEG-Telefunken Kabelwerken den Bau von Kabeln, den Pflanzenschutzabteilungen der Chemiegiganten BASF, Bayer und Hoechst die Erfindung von Pflanzenschutzmitteln, der Roland Offsetmaschinenfabrik die Arbeit an Offsetmaschinen, den Linsenmachern von Zeiss die Herstellung von Linsen -- für die Herausgabe von Nachrichten bekommt die Nachrichtenagentur dpa vorn Forschungsminister 495 914 Mark.
Die BASF erhielt 1,85 Millionen Mark für die Entwicklung eines Verfahrens zur Herstellung schwefelarmer schwerer Heizöle. »Wenn der Staat entsprechende Auflagen erläßt, machen die Unternehmen dies selbst, dazu bedarf es keiner direkten Forschungsfinanzierung«, beschwert sich Lutz Stavenhagen. »Im übrigen arbeiten bereits verschiedene andere Unternehmen am gleichen Problem auf eigene Kosten.«
Löblich zwar ist die Entwicklung »schadstoffarmer und vielstoffähiger« Automotoren. Daran laborieren VW, Daimler-Benz, MAN, Klöckner-Humboldt-Deutz, BASF und Bosch mit Millionen-Zuschüssen, Porsche macht sich um die »Verringerung der Motorengeräusche« und das »Langzeitauto« verdient.
Wohlfeiler und wirksamer aber wäre es, vermutet das Bundesinnenministerium, »wenn unsere Autos nicht nach Hubraum, sondern danach besteuert würden, wieviel Abgase sie produzieren, wieviel Lärm sie machen, wie sehr sie unsere Straßen verschleißen«; dann nämlich gäbe es »in kürzester Frist ein umweltfreundliches Automobil« -- ganz ohne Matthöfer-Subvention.
»Forschen und Entwickeln ist ein sicheres Geschäft für die Industrie, weil es -- wie bei den Milliarden kostenden Großprojekten -- ohne eigenes Risiko oder mit nur minimaler Kostenbeteiligung betrieben wird«, fand selbst die sonst eher industriefreundliche »FAZ«. »Je höher das Auftragsvolumen und je länger die Laufzeit, um so besser, solange nur der Steuerzahler die Mehrkosten trägt.«
Konsequenz: Viele der Geldempfänger, fand »Blick durch die Wirtschaft« der »FAZ« nach einem Blick in Bilanzen, sind bereits »in eine erhebliche Abhängigkeit von staatlichen Forschungszuwendungen geraten«.
»Zum Zuge kommt, wer die cleverste Bonner Vertretung hat«, weiß Lutz Stavenhagen. So kommt es, daß »die großen Firmen mit Kinkerlitzchen antanzen und damit ständig auf der Payroll stehen«. FDP-Professor Laermann sieht das ähnlich: »Dieses Geld fehlt dann für Grundlagenforschung und für zukunftsorientierte Projekte.«
Rund 30 Prozent der im Förderungskatalog bewilligten 5,05 Milliarden Mark sind nur für die Prototypen des Schnellbrüter- und Hochtemperatur-Reaktors verplant. Allein sechs Firmengruppen beanspruchen weitere 40 Prozent.
Die Kritik gilt der zunehmend forcierten Direktförderung einzelner Projekte: Zwischen 1972 und 1975 hat sieh die Zahl der staatlich belohnten Vorhaben auf 2049 mehr als verdoppelt. Und allzu häufig fließt das Geld jenen Firmen zu, die zufällig von der Existent dieser Haushaltsmittel erfahren oder diese Zuschußchancen planmäßig recherchieren.
Wichtig ist dabei vor allem die Antragspsychologie. firmenintern .·Schaumproduktion« genannt. Wenn erst einmal feststeht, daß Bonn eine bestimmte Summe Geld ausgeben will, stellt sich in den Chefetagen nur noch die Frage: »Wer hat denn eine gute Begründung?«
Bei Bosch heißt ein Acht-Millionen-Projekt: »Arbeitsstrukturierung in Verbindung mit der Entwicklung von Methoden zur Anhebung der Qualifikation der Mitarbeiter des Produktionsbereiches und zum Ausbau der Flexibilität der Fertigung als Beitrag zur Humanisierung der Arbeitswelt.«
Um das ökonomische Optimum ging es weniger: Im Forschungsministerium wurden unter dem Rubrum »Humanisierung des Arbeitslebens« 94 Projekte von 40 Personen betreut. Ohne Überanstrengung, so fanden Rationalisierungsfachleute heraus, könnte ein Mann 20 Projekte bearbeiten.
Dabei sollte die Förderung ursprünglich dazu dienen, so Minister Matthöfer, »daß wir an der Spitze des technischen Fortschritts in der Welt bleiben«. Doch allein das Antragsverfahren vereinigt alle Merkmale bürokratischer Umständlichkeit und ökonomischen Aberwitzes.
»Der ganze Aufwand«, fand die »FAZ«. lohne nur für Firmen, »die praktisch im Abonnement Zuwendungen für Forschungsvorhaben erhalten«. Der Minister merkte es schließlich selbst. In einer offiziellen »Förderfibel« (Matthöfer-Prolog: »Haben Sie eine Idee für ein Forschungsprojekt?") erteilt der Minister »praktische Ratschläge«, wie Interessenten ans Bonner Geld kommen. Forschungs-Antragsexperten der Großindustrie nutzten die Chance: Unter Firmennamen wie »Technologie-Transfer« oder »Scientific Consulting« haben sie sich als neue Branche etabliert.
Auch aus dem »öffentlichen Dialog über Prioritäten und Schwerpunkte der Forschungspolitik« » der einst verheißen war, wurde nichts. »Immer mehr zunehmende Verflechtung zwischen Bürokratie, speziellen Gutachtern und Unternehmen führt dazu, daß die Förderungsmittel nach dem »Prinzip der Gegenseitigkeit' verteilt werden«, rügt Stavenhagen das Bonner System: Mehr als 1000 Berater aus Wirtschaft und Wissenschaft stehen im Dienst des Ministeriums. Interessenkollision sei nicht auszuschließen, bestätigte jüngst der Bundesrechnungshof.
Wohl gilt im Hause Matthöfer die Regel, daß es Geld nur gibt, wenn Interessen der Allgemeinheit, hohe Entwicklungsrisiken oder die technologische Neuheit eines Vorhabens den Einsatz von öffentlichen Mitteln rechtfertigen. Doch Zweifel sind angezeigt: Im 3. Datenverarbeitungsprogramm von 1976 bis 1979 etwa, mit 1,576 Milliarden stattlich dotiert, gelten nicht wenige der Projekte der Erfindung von Dingen, die es längst gibt.
Zum Beispiel das Fahrplaninformationssystem für den Frankfurter Verkehrsverbund zu 750 000 Mark. Begründung: »Jeder Reiseinteressent im Ortsnetz Frankfurt kann dann über Telephon das Auskunftssystem benutzen.«
Oder: Für 645 000 Mark ersinnen die Dornier-Analysten ein Hotel-Reservierungssystem für Frankfurt: Vom Flughafen oder Hauptbahnhof aus sollen Reisende, die noch keine Bleibe haben, ihr Hotelzimmer ordern können -- »auch unnötig, da auf dem freien Markt längst vorhanden« (Stavenhagen).
Fehler der Bonner Förderungspolitik werden nur ungern eingestanden. »Man fürchtet den Prestigeverlust«, meinte die »FAZ«. »Man denkt ... an das viele investierte Geld, das man doch nicht verlorengeben darf, und wirft dem schlechten noch gutes hinterher.«
An Geld fehlt es nicht. So erforscht das Frankfurter Battelle-Institut für 230 435 Mark »Bürgerinitiative gegen Kraftwerke« und für 893 302 Mark die »Einstellung der Bevölkerung zu unterschiedlichen Energiegewinnungsarten«. Für 3,2 Millionen Mark wird die Öffentlichkeit bereits »über Notwendigkeit und Sicherheit der friedlichen Nutzung der Kernenergie« aus dem Matthöfer-Etat unterrichtet.
»Daten und Fakten für energiesparende Maßnahmen in Haushalt und Kleinverbrauch« trugen die Firmen Dornier und Fichtner zusammen. Aus dieser Arbeit für 250 000 Mark ist zu erfahren. daß 20 Prozent zu wenig Wäsche in der Waschmaschine 20 Prozent Energieverschwendung bedeuten. Oder diese Erkenntnis: Aus einem undichten Warmwasserhahn tropfen monatlich 170 Liter Heißwasser. Tröpfelt es in jedem vierten Haushalt, verschwindet dadurch pro Jahr die Leistung eines 120-Megawatt-Kraftwerkes im Abwasserkanal.
Eine andere »Energiesparfibel« (239 477 Mark) hat der Bundesrechnungshof bereits geprüft und als unnütz befunden. Eine weitere Studie über »Technologien zur Einsparung von Energie« füllt immerhin viertausend Seiten -- für 3,5 Millionen Mark.
Auch den Kommunen gilt des Ministeriums Fürsorge. Für 765 800 Mark erarbeitet Messerschmitt-Bölkow-Blohm ein »Planungshandbuch für kleine Gemeinden durch Übertragung erprobter Management-Methoden aus der Luft- und Raumfahrt (Fortsetzung)«. Für nur 566 600 Mark macht Dornier eben dieses Luft- und Raumfahrtwissen »für mittlere Gemeinden (Fortsetzung)« und die Erno-Raumfahrttechnik GmbH zum Preis von 581 000 Mark »für große Gemeinden (Fortsetzung)« nutzbar.
Gegen Jahresschluß kam aus dem Battelle-Institut, im Bonner Förderungskatalog mit 67,1 Millionen Mark unter den Großforschern, eine neue Erfolgsmeldung. In »systemanalytischen Untersuchungen« über technische Orthopädie im Auftrag des Bundesforschungsministers gelang es den Wissenschaftlern unter anderem, die Vermutung zu erhärten, »daß es für Menschen mit ausgeprägten Rückgratverkrümmungen nahezu unmöglich ist, einen Ehepartner zu finden«.