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Baugemeinschaften: Viel Bau, wenig Gemeinschaft

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Baugemeinschaften Willkommen in der Kapitalisten-Kommune

Baugemeinschaften boomen, doch mit dem alten Kommunarden-Image haben die privaten Zusammenschlüsse für die eigenen vier Wände nicht mehr viel gemein. Immer häufiger geht es um die begehrten Innenstadtlagen. Und statt Basisdemokratie steht Kostensenkung im Zentrum.
Von Ann-Kristin Mennen

Hamburg - Umzingelt von Baukränen ragt der dunkle Backsteinbau in Hamburgs Himmel. Nidus nennt sich das Vorzeige-Wohnprojekt in der HafenCity. Nidus - lateinisch für: das Nest - ist außen elegante Monotonie, innen Loft - nach New Yorker Vorbild. Dahinter steckt kein großer Bau- oder Immobilienkonzern, sondern eine Baugemeinschaft - aber keine im klassischen Sinne. "Das hätte ich mir nicht angetan", sagt Initiatorin Sandra Munzinger. Statt Basisdemokratie lautet Ihr Konzept: Wenige bestimmen für viele. "Wir haben uns das Haus um unsere Traumwohnung herum gebaut", erklärt die PR-Beraterin stolz. Es ging um Effizienz, weniger um Gemeinschaft.

Ob in Hamburg, Berlin oder Tübingen - private Baugemeinschaften boomen. Fast 20 Prozent der städtischen Flächen reserviert Hamburg für private Baugruppen. Trotzdem: "Das Interesse übertrifft unser Angebot", sagt Angela Hansen von der Hamburger Agentur für Baugemeinschaften. 1800 Wohnungen hat die neue Wohnform in den letzten zwanzig Jahren in Hamburg hervorgebracht, mehr als 200 sind im Bau. Was Anfang der achtziger Jahre in Hamburgs Hausbesetzerszene seinen Ursprung nahm, macht sich heute in der HafenCity breit. "Baugemeinschaften sind in der gesellschaftlichen Mitte angekommen", so Hansen. Praktisch statt politisch denkt das neue Klientel.

Zwischen zehn und zwanzig Prozent wird gespart

Munzigers Projekt steht für diesen neuen Typ Baugemeinschaft: Es geht nicht mehr um eine gemauerte Utopie, sondern um handfeste Vorteile. Wer das Häuschen im Grünen zu spießig findet und trotzdem seine vier Wände nach eigenen Vorstellungen gestalten will, für den kann eine Gemeinschaft mit anderen Bauherren der beste Weg zu bezahlbarem Wohneigentum sein.

Wirtschaftliche Gründe spielten eine zunehmend große Rolle für den Zusammenschluss, stellt der Verband Privater Bauherren (VPB) fest. Wohnraum mitten in der Stadt, bezahlbar und hochwertig: "Was ist da schon die Alternative?", fragt Klaus Kellhammer vom VPB.

Zwischen zehn und zwanzig Prozent der sonst anfallenden Kosten werden beim gemeinsamen Bau eingespart - durch Förderungen, Synergien und vor allem durch den Wegfall der Gewinnmarge des Bauträgers. Und so wird in Hamburg kräftig geworben. Baugemeinschaften seien der ideale Weg, um den Wohntraum in der Stadt zur verwirklichen, erklärt die Behörde für Stadtentwicklung.

Idealistisch klingen auch die Namen, die die Grundstücksanwärter ihren Projekten geben: Sie nennen sich Arche Nora, Carpe Diem oder Tor zur Welt. Sie planen barrierefrei, nachhaltig, ökologisch. Sie richten sich speziell an Alte, an Frauen oder Migranten. Denn sie wissen: Je sozialer und engagierter das Wohnkonzept, desto größer scheint die Chance auf eines der begehrten Grundstücke.

Die Mehrheit entscheidet - auch über Wandfarbe und Badfliesen

Lange bevor das klappt, kapitulieren aber viele Interessengemeinschaften. Die Bewerbungsphase ist zermürbend, die Konkurrenz um die wenigen Grundstücke hart. Frustration und Fluktuation in den Gruppen sind hoch, und trotzdem stehen die Hamburger Schlange. So wie das Ehepaar Breid von der Interessengemeinschaft Einklang, einem Zusammenschluss Zugezogener. Anfangs war die Gruppe auf Bezirke festgelegt, jetzt seien die Präferenzen "stark aufgeweicht", sagt Familie Breid. Ein Kompromiss - der erste.

Weitere folgen, spätestens in der Bauphase. Denn die klassische Baugemeinschaft arbeitet basisdemokratisch. Zwischen den vielen Vorstellungen vermitteln sollen Architekt und Bauplaner, oft müssen Mediatoren eingreifen. "Nach der Euphorie kommt in der Bauphase eigentlich immer die Ernüchterung", sagt René Weisel, Rechtsanwalt für Baurecht in Dortmund. Ob die Farbe der Tiefgarage oder die Form der Badfliesen - in der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), in der die Baumgemeinschaften häufig organisiert sind, gilt das Wort der Gruppe. Mit einfacher Mehrheit. Und so platzen zwangsläufig die kleinen Träume des Einzelnen - zugunsten des Kollektivs.

Wer in Gemeinschaft baut, brauche daher eine hohe Leidensfähigkeit, resümiert Weisel. "Das gilt vor allem für engagierte Baugemeinschaften, in denen jedes Detail diskutiert wird." In Gruppen, die sich vorrangig aus Kostengründen zusammentun, rücke die Konsenssuche im Plenum in den Hintergrund. Und damit auch der Konflikt - vorerst zumindest.

Auch der Nidus-Bau an der Shanghaiallee bot wenig Potential für Ärger. Über Türgriffe und Bodenbelag diskutierten lediglich zwei Ehepaare. Die übrigen 25 Wohnparteien wurden gecastet - nach Sympathie. "So schnell und günstig wie wir baut kaum einer mehr", sagt Initiatorin Sandra Munzinger. Von ihrer Dachterrasse blickt die 41-Jährige auf den Hafen. In luftiger Höhe leben die Initiatoren der Baugemeinschaft - als Lohn für ihr Engagement. Leistung muss sich wieder lohnen, auch im Wohnkollektiv. Munziger findet das ganz in Ordnung so: "Die anderen im Haus sind die Nutznießer dieser Arbeit."

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