BGH-Urteil zu Bausparverträgen Kann Ihr Versicherer Sie auch rauswerfen?

Bauarbeiter in Regensburg (Bayern)
Foto: Armin Weigel/ picture alliance / Armin Weigel/dpaSind Sie auch Bausparer oder waren es mal? Hat man Ihnen auch das Bausparen als super Geldanlage nahegelegt? Dann irritiert Sie das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom Anfang der Woche zur Kündigung von Bausparverträgen sicher so wie mich. Und zwar aus zwei Gründen.
Zum Ersten, weil aus Sicht der Bürger der Eindruck entstehen muss, dass Verträge nur für kleine Leute bindend sind, für Konzerne aber nicht. Pacta sunt servanda, Verträge müssen eingehalten werden, heißt es normalerweise - jetzt und hier aber nicht.
Der BGH hat stattdessen entschieden, dass Bausparkassen hochverzinste, aber nicht ausgezahlte Verträge gegen den Willen der Kunden kündigen dürfen (Az. Az. XI ZR 185/16 und XI ZR 272/16). Er gab damit Konzernen recht, die sich ausgerechnet auf Paragrafen berufen, die eigentlich Verbraucher schützen sollen. Jeder Verbraucher hat das Recht, nach zehn Jahren einen Kreditvertrag zu kündigen, wenn ihm die Konditionen nicht mehr passen. Praktiziert wird das normalerweise bei der Baufinanzierung.
Der Kunde schließt beispielsweise einen Kreditvertrag mit 15 Jahren Laufzeit und einem bestimmten Zins ab. Nach zehn Jahren kann er aussteigen. Sind die Zinsen inzwischen gefallen, kündigt er sein Baudarlehen und sucht sich einen neuen, günstigeren Vertrag. Sind die Zinsen gestiegen, bleibt er dabei. Verbraucher können so ihr Kreditrisiko senken.
Im vorliegenden Falle hat sich die zweitgrößte deutsche Bausparkasse Wüstenrot auf exakt diesen Paragrafen berufen und gemeint, sie sei ja der Kreditnehmer bei den Bausparern und könne deswegen kündigen. Der für Bankrecht zuständige Senat des BGH sah das genauso: "Auf die Bausparverträge ist Darlehensrecht anzuwenden, denn während der Ansparphase eines Bausparvertrages ist die Bausparkasse Darlehensnehmerin und der Bausparer Darlehensgeber. Erst mit der Inanspruchnahme eines Bauspardarlehens kommt es zu einem Rollenwechsel."
Bausparkassen haben nicht nur Bausparverträge verkauft
Noch stärker aber irritiert - zum Zweiten - die Generalisierung des Gerichts, Bausparverträge seien ausschließlich dazu da, Kunden eine im Zweifel günstige Baufinanzierung zu sichern. Und wenn der Kunde erkennbar eine solche Finanzierung nicht wünscht, könne man die Verträge auch deswegen kündigen .
Das Argument hätte ja Zugkraft, wenn die Bausparkassen ausschließlich solche klassischen Verträge verkauft hätten. Haben sie aber natürlich nicht. Am Mittwoch habe ich im WDR mit einer älteren Dame aus Westfalen diskutiert, die bekannte, sie habe 40 Jahre lang Bausparverträge gehabt, aber keinen für eine Baufinanzierung. Alle Verträge seien als Geldanlage konzipiert gewesen.
Ich selbst habe seit den Neunzigerjahren beruflich Tests exakt solcher Rendite-Tarife begleitet. Die meisten Bausparkassen hatten mehrere Tarife im Angebot: Tarife, die in erster Linie darauf abzielten, günstige Baudarlehen zu vergeben. Tarife für Kunden, die sich noch unsicher waren. Und Tarife, die die Rendite der Bausparer optimieren sollten. Namen wie A-Rendite für die Tarife sprechen selbst für unkundige Beobachter Bände . Wenn solche Verträge von der Branche millionenfach verkauft werden, erstaunt es doch, dass das Gericht die Existenz dieser Angebote bei seiner Urteilsfindung offenbar ausblendet.
Nimmt man beide Argumente zusammen, verblüfft die Entscheidung und untergräbt zugleich das Grundvertrauen in die Seriosität von Langzeitversprechen der Finanzdienstleister. Die siegreiche Bausparkasse Wüstenrot ist wie viele andere Tochter eines Versicherungskonzerns, zum Teil zumindest, und zwar der Wüstenrot & Württembergische-Gruppe. Andere gehören deutschen Banken.

Micha Kirsten / Finanztip
Hermann-Josef Tenhagen, Jahrgang 1963, ist Chefredakteur von »Finanztip« und Geschäftsführer der Finanztip Verbraucherinformation GmbH. Der Geldratgeber ist Teil der Finanztip Stiftung. »Finanztip« refinanziert sich über sogenannte Affiliate-Links, nach deren Anklicken »Finanztip« bei entsprechenden Vertragsabschlüssen des Kunden, etwa nach Nutzung eines Vergleichsrechners, Provisionen erhält. Mehr dazu hier .
Tenhagen hat zuvor als Chefredakteur 15 Jahre lang die Zeitschrift »Finanztest« geführt. Nach seinem Studium der Politik und Volkswirtschaft begann er seine journalistische Karriere bei der »Tageszeitung«. Dort ist er heute ehrenamtlicher Aufsichtsrat der Genossenschaft. Auf SPIEGEL.de schreibt Tenhagen wöchentlich über den richtigen Umgang mit dem eigenen Geld.
Mit zwei Anfragen von Sparern und Sparerinnen zu ähnlichen Themen musste ich mich in dieser Woche mehrfach auseinandersetzen. Sparkassen haben langlaufende Sparverträge mit steigenden Boni für treue Sparer angeboten. Diese Verträge stehen jetzt bei den Geldinstituten auch auf der Abschussliste. Denn die Boni machen aus Verträgen, mit denen die Sparkassen superbillig Spargroschen eingesammelt haben, Verträge, die Sparkassen bei jeder Zinszahlung teuer zu stehen kommen. In Sachsen tobt gerade die Auseinandersetzung um solche Verträge bei der Sparkasse Leipzig.
Auch ein Gutteil der Riester-Banksparpläne der Sparkassen gehorcht dieser Logik. Sind dort die Kunden auch von Kündigungen bedroht? Und greift dann auch die neue Logik des Bundesgerichtshofs, dass die Bank als arme Kreditnehmerin ihre kreditgebenden Kunden nach zehn Jahren wieder loswerden können muss? Es war schließlich der Bankensenat des Bundesgerichtshofes, der die Urteile fällte.
Noch gravierender waren die Nachfragen zum Thema Altersvorsorge mit Rentenversicherungen. Eine mehrfach gestellte Frage lautete: Wenn es ungemütlich wird, können mich dann die Versicherer auch herauswerfen?
Geldgeschäfte sind Vertrauensgeschäfte. Vertrauen ist an dieser Stelle nachhaltig zerstört worden. Und das oberste deutsche Zivilgericht hat seinen Stempel daraufgesetzt.
Empirisch ist der Flurschaden noch gering. Von den knapp 30 Millionen Bausparverträgen stellt der kleinere Teil auf Renditesparen ab. Sparer brauchen im Regelfall sieben bis zehn Jahre, um den Teil des Bausparvertrags anzusparen, der notwendig ist, um von der Bausparkasse eine Zusage für einen Kredit zu bekommen (Zuteilungsreife). Und nach dieser Zusage kann immer noch zehn Jahre weiter gespart werden. Insgesamt haben Bauparkassen bislang rund 250.000 bis 300.000 Verträge gekündigt, also knapp ein Prozent ihres Bestandes, Verträge aus dem vergangenen Jahrtausend vor allem. Jedes Jahr können nun einige zehn- oder gar hunderttausend Verträge dazukommen. Die Mehrzahl der Bausparer trifft das noch lange nicht.
Was sollten Bausparer tun, um ihre Rendite zu retten?
1) Nicht die Flinte ins Korn werfen. In vielen Fällen sind Kündigungen immer noch unberechtigt, und man kann mit Bausparverträgen weiter gute Zinsen kassieren.
2) Wenn Ihr Vertrag ins Raster der Gerichtsurteile passt: Schauen, wann Sie von der Bausparkasse schon eine Zuteilung erhalten haben. Nutzen Sie die Zehn-Jahres-Frist nach der Zuteilung des Kredites bis zur Neige aus und lassen Sie sich keinesfalls vorher aus Verträgen drängen .
3) Nutzen Sie alle vertraglichen Möglichkeiten, um noch mehr Geld in die noch gut verzinsten Bausparverträge einzuzahlen.
4) Tragen Sie Geld aus gekündigten Bausparverträgen keinesfalls zu Bausparkassen, sondern legen Sie es nach Bedarf zwischen Festgeld und Aktienindexfonds (ETFs) verteilt an.
Vertrauen ist künftig beim Umgang mit Bausparkassen absolut fehl am Platze.