

Geld für Unternehmen und Selbstständige Was tun, wenn die Corona-Hilfen stocken?


Innenstadt von Münster
Foto: Rüdiger Wölk / imago imagesVor sechs Wochen haben die Regierenden einen Teil-Shutdown beschlossen. Dafür haben sie einen Teil der Wirtschaft – nämlich Kultur, Gastronomie, Hoteliers und das Veranstaltungsgeschäft – geschlossen und den Betroffenen großzügigen Hilfen versprochen. Sie sollten 75 Prozent des Geldes als Hilfen bekommen, dass sie im November 2019 als Unternehmen eingenommen hatten. Eine gute Idee: Doch das mit den großzügigen Hilfen hat bislang genauso wenig funktioniert wie der Teil-Shutdown insgesamt.
Das Setting war bemerkenswert. Bundesfinanzminister Olaf Scholz und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier saßen zusammen vor der Hauptstadtpresse und verkündeten das 75-Prozent-Programm. 75 Prozent der Vorjahresumsätze aus November sollten die geschlossenen Unternehmer bekommen – und auch solche Betriebe, deren Geschäft zu mindestens 80 Prozent von diesen Schließungen indirekt betroffen ist.

Finanztip
Hermann-Josef Tenhagen, Jahrgang 1963, ist Chefredakteur von »Finanztip«. Der Geldratgeber ist Teil der gemeinnützigen Finanztip Stiftung. »Finanztip« refinanziert sich über sogenannte Affiliate-Links. Mehr dazu hier.
Tenhagen hat zuvor als Chefredakteur 15 Jahre lang die Zeitschrift »Finanztest« geführt. Nach seinem Studium der Politik und Volkswirtschaft begann er seine journalistische Karriere bei der »Tageszeitung«. Dort ist er heute ehrenamtlicher Aufsichtsrat der Genossenschaft. Auf SPIEGEL.de schreibt Tenhagen wöchentlich über den richtigen Umgang mit dem eigenen Geld.
Diese zweite Gruppe ist schwierig abzugrenzen. Das wussten die Minister natürlich. Scholz kündigte gleich an, da würden die Behörden sicher ein paar Mal nachjustieren müssen. Als Beispiel nannten die Ministerialen erst mal den Wäschereibetrieb, der für Hotels die Bettwäsche macht – und durch das Beherbergungsverbot nun nichts mehr zu waschen hat.
Aber gut: Nachjustieren gehört in der Coronakrise zum Basisgeschäft. Tatsächlich hatte die Regierung schon nach einigen Wochen im Frühjahr das Kurzarbeitergeld von 60 Prozent auf bis zu 80 Prozent erhöht. Und Kurzarbeitergeld kann selbstverständlich auch gezahlt werden, wenn Mitarbeiter noch halbtags arbeiten – dann eben nur für jenen Teil der Arbeit, der entfallen ist. Die Kurzarbeiter bekommen ihr Geld vom Chef, wenn der Betrieb funktioniert. Mögliche Auswirkungen auf die Steuern sind für die Kurzarbeitenden elegant nach 2021 verschoben. Dann könnte eine Nachzahlung fällig werden und Millionen Menschen müssen dann womöglich erstmals eine Steuererklärung abgeben.
Doch bei der Novemberhilfe lief das alles nicht so gut. Zunächst einmal, weil es nicht bei November blieb. Die Schließung musste in den Dezember verlängert werden, und wird nun – wie es aussieht – noch einmal in den Januar ausgedehnt.
Schlimmer noch. Selbst die Novemberhilfe ist de facto noch immer nicht an alle geflossen – und vor allem nicht in verlässlicher Höhe.
Denn es gibt zunächst lediglich eine Abschlagszahlung. Die Software für die eigentliche Auszahlung nach Antrag ist immer noch nicht fertig.
3200 Euro Abschlag pro Unternehmen – das ist zu wenig
Und diese Abschlagszahlung floss auch nicht immer. Das Bundeswirtschaftsministerium teilte mir am Mittwochabend auf Anfrage mit, 450 Millionen Euro Hilfen seien bislang als Abschlagszahlungen ausgezahlt worden. 90 Prozent der 43.000 Solo-Selbstständigen, die selbst ohne Steuerberater Novemberhilfen beantragen könnten und auch selbst beantragt hätten, hätten ihren Abschlag auch angewiesen bekommen – und immerhin 75 Prozent der fast 119.000 Unternehmen, die über Steuerberater und Wirtschaftsprüfer Ansprüche auf die Hilfen haben.
Wenn man rechnet, sind das ungefähr 39.000 Solo-Selbstständige und rund 90.000 Unternehmen. Überschlägig hat jedes dieser Unternehmen einen Abschlag von rund 3.200 Euro erhalten – oder insgesamt 2,5 Prozent der insgesamt für den November veranschlagten 15 Milliarden Euro Novemberhilfe. Wohl in der Hoffnung, dass Vermieter und Krankenkasse ebenfalls mit einem Abschlag von 2,5 Prozent zufrieden sind.
Ein Abschlag von 2,5 Prozent ist viel zu wenig. Niemand würde sich mit dem Abschlag von 2,5 Prozent seines Gehalts begnügen – selbst mit dem Versprechen nicht, dass die anderen 97,5 im März kommen. Und schon gar nicht in einer Notlage.
In der Wirtschaft sieht eine richtige Abschlagszahlung normalerweise ja auch anders aus. Inzwischen dräut das wohl auch den Beamten in den Ministerien und den beiden Ministern. Anfang der Woche wurde man sich dann hinter den Kulissen jedenfalls einig, dass künftig mehr Geld als Abschlag fließen müsse. Bei größeren Unternehmen bis zu maximal 50.000 Euro pro Monat und Unternehmen (bisher 10.000), bis Neujahr also bis zu 100.000 Euro. Und: Wer schon Geld als Abschlagszahlung kassiert hat, muss nicht noch einmal nachfassen, um jetzt auch den höheren Abschlag zu bekommen.
Die Lösung werde gerade programmiert, so die Pressesprecherin des Ministeriums am Donnerstag. Dann sollte die Nachzahlung beim Abschlag automatisch erfolgen.
Politisch versteckt sich hinter dem kleinteiligen Hickhack und der angekündigten Großzügigkeit bei praktizierter Knauserigkeit ein prinzipielles Problem. Diese Unternehmerinnen und Unternehmer müssen stellvertretend für uns den Teil-Lockdown wirtschaftlich aushalten. Die Regierung hat ihnen mit den 75 Prozent eine angemessene Entschädigung für ihre Opfer versprochen, selbst wenn das im Einzelfall zu wenig oder auch zu viel sein sollte.
Die Regierung kommt ihren Versprechungen nicht nach
Ein bisschen Einzelfallgerechtigkeit wurde auch angekündigt, als das Finanzministerium schon am ersten Abend nach dem Beschluss dem Entertainer Helge Schneider schrieb, er müsse sich nicht zwingend auf seine Einnahmen im November 2019 beziehen, er können auch den Durchschnittsverdienst eines Monats aus dem Jahr 2019 zur Grundlage für seinen Antrag auf Novemberhilfe nehmen.
Aber die Regierung kommt ihren Versprechungen im Konkreten nicht nach. Und das geht nicht. Denn es zerstört die Bereitschaft einzelner Branchen für uns alle die Rübe hinzuhalten.
Warum macht es die Regierung nicht anders? Warum zahlt sie nicht einfacher und lockerer aus? Und kontrolliert dann hinterher genauer bei den Finanzämtern. Dabei muss bei Abweichungen auch nicht immer gleich die große Betrugskeule geschwungen werden. Der Hinweis würde genügen, es fehlten noch Belege oder hier sei wohl eine (Teil)-Rückzahlung angebracht. Das ist doch auch ein vernünftiger erster Schritt.
Geld für eine solche Strategie müsste ja genug da sein. Die Überbrückungshilfen des Sommers und Herbstes sind wegen ähnlicher bürokratischer Hindernisse großteils (noch) gar nicht geflossen. Von den 15 Milliarden Euro Novemberhilfe sind nach offiziellen Angaben (s.o.) Mitte Dezember erst eine halbe Milliarde ausgezahlt. Und beim Kurzarbeitergeld, der anderen großen Ausgabenposition, kommen auch entlastende Nachrichten für die Finanzpolitiker. Lagen erste Schätzungen für die Zahl der Kurzarbeiter im Mai bei deutlich über 7 Millionen Beschäftigten, stehen die finalen Zahlen jetzt bei 5,7 Millionen. Für Oktober hatte das Ifo-Institut einmal 3,3 Millionen Kurzarbeiter geschätzt, inzwischen gehen die Wirtschaftsforscher von 1,8 Millionen aus. Für September liegen die Zahlen der Bundesagentur bei 2,2 Millionen.
Egal was Sie in manchen Medien gelesen haben: Auch die Erfahrungen mit den großzügigen Auszahlungen der Soforthilfen des Frühjahrs sind eigentlich gut. Bei der ersten Soforthilfe zum Beispiel hat allein das Land Berlin zwei Milliarden Euro für annähernd 200.000 Musiker und Messebauer ausgeschüttet. 150 Millionen Euro sind schon zurückgekommen. Insgesamt haben bundesweit mehr als zwei Millionen Firmen solche Hilfen beantragt. Der große Betrug blieb aus: Es sollen 8000 Verfahren laufen, weil Antragsteller gelogen haben. Das sind weniger als 0,5 Prozent.
Und dem Vernehmen nach läuft noch nicht einmal ein solches Verfahren gegen die Lufthansa. Die hat zwar Milliarden kassiert, will gleichzeitig aber hunderttausenden Kunden ihr Geld für nicht stattfindende Flüge gesetzeswidrig erstmal nicht auszahlen. Mit Duldung der dem Verkehrsminister nachgeordneten Luftfahrtbehörde.
Normalerweise kommt an dieser Stelle der Hilfe-Block für Sie, liebe Leserinnen und Leser. Diesmal richtet er sich auch und noch mehr an die Menschen, die versuchen müssen, aus den prinzipiellen Entscheidungen unserer Bundes- und Landesregierungen umsetzbare Hilfen zu machen:
Liebe Steuerberater und Wirtschaftsprüfer: Wenn Ihr Unternehmenskunde schon Geld bekommen hat, passen Sie bis zur vollständigen Auszahlung der Hilfen auf ihn auf.
Liebes Wirtschaftsministerium: Machen Sie es den Empfängern von Hilfen einfacher, diese zu bekommen. Und das Geld, wo es unnötig floss, auch wieder zurückzuzahlen. Und dann konzentrieren Sie sich gemeinsam mit der Finanzverwaltung darauf, die wirklich schlimmen Finger zu erwischen.
Liebe von der Schließung betroffene Selbstständige, stehen Sie ihren Abgeordneten telefonisch und digital ganz Corona-konform auf dem Fuß, das sind auch ihre Volksvertreter. Die Adresse Ihres Wahlkreisabgeordneten finden Sie im Kürschner oder im Netz. Verlangen Sie vehement nach den zugesagten Hilfen und geben Sie Hilfen, die nicht gebraucht werden, schnell zurück.
Liebe Mitarbeiter und MitarbeiterInnen bei Ver.di. Sie machen einen tollen Job, weil Sie vielen Solo-Selbstständigen helfen, auch Nicht-Gewerkschaftsmitgliedern. Nutzen Sie ihre Kontakte in die Parteien, um die all jenen die Alltagsproblem noch besser zu erklären, die demnächst wieder Entscheidungen treffen müssen.
Bei der Gelegenheit – Kurzarbeitergeld: Das Kurzarbeitergeld ist eine grandiose Erfindung. Liebe Beamte, lieber Mitarbeiter der Arbeitsagentur, machen Sie weiter so und retten sie Firmen und Mitarbeiter über diese harte Zeit.
Und Steuerrecht: Liebe Ministerialen, liebe Finanzbeamte, kämpfen Sie um sinnvolle Pauschalregeln für die Abrechnung von Homeoffice-Kosten und Kurzarbeiter-Einnahmen. Damit sie wenig Einzelfallprüfungen machen müssen und sich auf die Kontrolle der größeren Geldstürme konzentrieren können.
Ach ja, und liebe Betroffene, schreiben Sie ruhig an Adressen des Bundeswirtschaftsministers und des Bundesfinanzministers persönlich, Beschwerden und Danksagungen. Wenn Sie so an den Weihnachtsmann schreiben, bekommen Sie normalerweise auch Antwort.