Tourismusbranche in der Corona-Krise Der Urlaub und die Angst

Tristesse in Mailand: Leere Straßen, ausbleibende Touristen
Foto: Claudio Furlan/ dpaItaliens Premierminister muss in diesen Tagen ständig schlechte Nachrichten verkünden: immer neue Coronavirus-Infizierte, Todesfälle, Sperrzonen, Warnungen vor erheblichen wirtschaftlichen Einbußen. Aber eine frohe Botschaft will Giuseppe Conte unbedingt in die Welt tragen: "In Italien kann man sicher reisen und Tourismus betreiben", verkündet der Regierungschef am Dienstag. "Es ist ein sicheres Land: viel sicherer als andere."
Die Touristen, die dieser Tage nach Italien kommen sollten, haben offenbar ein anderes Gefühl. Ob in Venedig, Mailand, Südtirol oder Sizilien: bei Hoteliers im ganzen Land hagelt es Absagen. Der Verband der italienischen Reise- und Tourismusvereinigungen schätzt die kurzfristige Stornierungsquote auf rund 70 Prozent.
Die Berichte über das Coronavirus in Italien hätten "die Tourismusbranche in die Knie gezwungen", sagt Marina Lalli, Vizepräsidentin des Verbandes Federturismo Confindustria, dem SPIEGEL. Den Unternehmen stünden Einnahmeverluste in zweistelliger Milliardenhöhe bevor. "Die Entwicklung ist in diesen Tagen so dramatisch, dass wir die Folgen noch nicht einmal richtig abschätzen können." Lalli fordert nun Staatshilfe. Die Regierung in Rom müsse Steuern und Sozialversicherungsbeiträge für ihre Branche senken.
Ausgerechnet die Chinesen sollten nach Italien kommen
Italien lebt von seinen ausländischen Besuchern. Die Reisebranche erwirtschaftet laut dem Kultur- und Tourismusministerium 13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Sie verschafft 4,2 Millionen Menschen Arbeit und ist einer der wenigen Wachstumstreiber für Italiens dümpelnde Wirtschaft. Für 2020 hatten die Tourismusstrategen ausgerechnet einen Boom chinesischer Reisender vorhergesagt.
Diese Hoffnung haben die Hoteliers längst begraben, seit sich im Januar das Coronavirus in China ausbreitet. Aber nun bangen sie auch um ihre Stammkundschaft: die aus Deutschland und anderen europäischen Staaten. Reihenweise raten Außenministerien ihren Bürgern mehr oder weniger deutlich davon ab, nach Norditalien zu touren. Das Auswärtige Amt in Berlin beschränkt sich auf die unmittelbaren Krisenherde rund um die beiden Sperrzonen. Frankreich hingegen hat entschieden, alle Rückkehrer aus der Lombardei und Venezien 14 Tage lang unter Quarantäne zu stellen.
Nicht nur in Italien müssen Hoteliers, Gastronomen, Reiseveranstalter um ihre Lebensgrundlage bangen. Kurz vor dem Start der Internationalen Tourismusbörse (ITB) in Berlin am kommenden Mittwoch droht die Reisebranche weltweit unter die Räder zu geraten. Es wäre ein Schlag für die gesamte Weltwirtschaft. Denn Tourismus ist einer der größten Sektoren überhaupt: mächtiger als die Tech-Giganten aus dem Silicon Valley, wirtschaftsstärker als die Ölindustrie und die globale Automobilbranche.
Das globale Geschäft dürfte bei einem Volumen von rund 6600 Milliarden Euro pro Jahr liegen: zehn Prozent der Weltwirtschaftsleistung, fast doppelt so groß wie das gesamte deutsche Bruttoinlandsprodukt. Eingerechnet in diese gewaltige Summe sind neben Beherbergungsgewerben auch die Transportindustrie mit all ihren Flugzeugen, Kreuzfahrtschiffen und Reisebussen sowie die Souvenir- oder Reisebürobranche. Seit 1950 hat sich die Zahl der Reisenden verfünfzigfacht. Tourismus ist damit zur Jahrhundertindustrie schlechthin geworden.
Doch das Coronavirus wird gerade zur größten Bedrohung der Branche. Eine ganze Reihe von Ländern leidet bereits.
Frankreich, die Nation mit den meisten internationalen Besuchern, erlebt gerade einen Einbruch. Zwischen 30 und 40 Prozent weniger Touristen als erwartet seien zurzeit im Land, sagt Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire. "Das hat natürlich bedeutende Folgen für die französische Wirtschaft." Der Tourismus sorgt für rund zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts und mehr als drei Millionen Arbeitsplätze.
Spanien macht gerade weltweit Schlagzeilen mit dem Hotel auf Teneriffa, dessen rund 1000 Gäste nach einem Corona-Fall in Quarantäne mussten. Als sich die Nachricht verbreitete, erklärte Handels- und Tourismusministerin Reyes Maroto am Dienstag: "Spanien ist ein sicheres Ziel", die Zahl der Fälle sei noch niedrig, und das Gesundheitssystem sei "das beste der Welt." Tourismus ist mit 15 Prozent Anteil der wichtigste Sektor der spanischen Wirtschaft.
In mehreren ost- und südostasiatischen Ländern wie Japan, Vietnam, Kambodscha, Singapur oder Thailand bleiben die ausländischen Gäste aus - ganz besonders die aus China. "Holiday in Hell" nennt die niederländische ING-Bank ihre jüngste Tourismus-Studie. Sie prophezeit, dass die asiatischen Staaten Einbußen bei den Tourismuseinnahmen von 105 bis 115 Milliarden Euro erleiden werden.
In China selbst liegt der Tourismus fast komplett darnieder. Besonders hart trifft es die Glücksspielmetropole Macao, die zeitweise alle Casinos schließen musste. Nun sind die Zockertempel wieder offen, aber der Andrang hält sich in Grenzen. Auch in Hongkong sind Sehenswürdigkeiten geschlossen. Der dortige Flughafen, so schildert es ein Reisender, wirke wie eine Geisterstadt. Man sehe kaum Passagiere; gleiches habe er zuvor in Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur erlebt.
Die Aktienkurse vieler Fluggesellschaften sind in den vergangenen Tagen eingebrochen. Die Lufthansa hat diesen Mittwoch ein Sparprogramm angekündigt. Die Linie bietet auf einigen Strecken Kampfpreise an. So kann man ab Mailand in die USA derzeit in der First Class für weniger als 2500 Euro fliegen; der Preis kann sonst dreimal so hoch liegen. In Jets nach Ostasien sind zurzeit viele Reihen komplett leer, vor allem in der Businessclass.
"Wir sehen hier eine typische Reaktion der Reisenden, wie wir sie auch von anderen Ereignissen wie etwa Terroranschlägen kennen", sagt Jürgen Schmude, Tourismusforscher an der Universität München. "Kurzfristig wird das Coronavirus einen starken Effekt auf das Reiseverhalten haben."
Das müsse aber nicht dauerhaft so bleiben – gerade im Urlaubssegment. "Reisen sind ein Grundbedürfnis geworden", sagt Schmude. "Viele Urlauber werden nicht auf ihre Reise verzichten, sondern lieber ihr Ziel durch ein anderes ersetzen." Als etwa Ägypten-Reisen durch Terroranschläge gefühlt unsicher wurden, flogen umso mehr Urlauber in die Türkei. Und nach den dortigen Attacken stattdessen nach Griechenland.
Zudem hätten Touristen oft "ein sehr kurzes Gedächtnis", meint Schmude. Sie gewöhnen sich oft schnell an neue Bedrohungen. Dies könnte auch beim Coronavirus passieren – gerade dann, wenn sich auch in anderen europäischen Ländern die Infektionsfälle häufen. "Italiens Tourismusindustrie muss den Sommer noch nicht abschreiben", sagt Schmude.
Schärfere Kontrollen bei der Reisemesse ITB
Am deutlichsten dürfte sich das Coronavirus auf Geschäftsreisen auswirken. Hier sind sowohl die Reisenden wie auch ihre Unternehmen eher bereit, auf den geplanten Trip zu verzichten. Zumal es Alternativen gibt wie etwa Videokonferenzen. Internationale Kongresse und Messen werden dieser Tage reihenweise abgesagt. Die ITB in der kommenden Woche hingegen soll nach dem Willen der Berliner Messegesellschaft stattfinden. Der Anteil der Aussteller aus China sei ja gering und liege unter einem Prozent, hieß es. Doch dieses Argument wird immer weniger überzeugend: Jetzt, wo mit Italien ein neuer Schwerpunkt dazu gekommen ist, die Infektionswelle sich auf immer mehr Staaten verbreitet und auch in Deutschland neue Fälle bekannt geworden sind.
Die Veranstalter haben nun die Auflagen verschärft. Alle Aussteller müssen eine Erklärung ausfüllen. Wer innerhalb der vergangenen 14 Tage in den jeweiligen Risikogebieten in China, Iran, Italien oder Südkorea war, Kontakt zu einer infizierten Person hatte oder Anzeichen typischer Symptome wie Fieber, Husten oder Atembeschwerden habe, erhält keinen Zutritt zum Messegelände.
In normalen Jahren pflegt sich die Tourismusbranche in Berlin ausgiebig zu präsentieren und zu feiern. Dieses Jahr wird die Stimmung auf den Parties wohl gedämpft sein. Wenn sie überhaupt stattfinden, in Zeiten von Corona.