Neue Regeln für Google, Amazon und Co. »Die Vorschläge sind eine Enttäuschung«

Mit schärferen Regeln will die EU die Macht der großen Internetkonzerne begrenzen. Doch für Kunden wird das Leben im Netz dadurch kaum leichter, beklagt der oberste Verbraucherschützer Klaus Müller.
Ein Interview von Michael Sauga
Amazon-Pakete in einem Logistikzentrum

Amazon-Pakete in einem Logistikzentrum

Foto: Rolf Vennenbernd / dpa

SPIEGEL: Herr Müller, die EU-Kommission will die Macht der großen Internetkonzerne brechen. Was bringen die neuen Regeln den Verbrauchern?

Müller: Leider noch zu wenig. Es ist zu begrüßen, wenn sich die Bürger künftig besser gegen illegale Inhalte wie Hassreden und Falschnachrichten im Netz wehren können. Vernünftig ist auch, dass Gatekeeper wie Google oder Amazon auf ihren Plattformen die Angebote anderer Händler nicht länger benachteiligen dürfen. Aber wenn es um die Verbraucherrechte der Kunden auf Onlinemarktplätzen geht, ist der Entwurf der EU-Kommission eine große Enttäuschung.

Foto: vzbv / Jan Zappner

Klaus Müller, Jahrgang 1971, ist seit 2014 Vorsitzender des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV) in Berlin, der Dachgesellschaft der 16 Verbraucherzentralen in Deutschland. Der studierte Volkswirt war von 2000 bis 2005 Umweltminister in Schleswig-Holstein. Danach leitete Müller die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Müller ist Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen.

SPIEGEL: Was meinen Sie damit?

Müller: Unsere Umfragen zeigen, dass der Einkauf auf Onlinemarktplätzen längst nicht so reibungslos läuft, wie es die Konzerne gern darstellen. Fast 60 Prozent der Kunden haben Waren schon mal zu spät geliefert bekommen. Bei 44 Prozent waren die Produkte defekt oder von schlechter Qualität. Und jeder zweite Deutsche hat schon erlebt, dass überhaupt nichts ankam – obwohl er bezahlt hatte. Die europäischen Sicherheitsvorschriften werden im Netz ebenfalls oft nicht eingehalten. Die Verbraucher haben da große Frusterlebnisse, um die sich der Entwurf zu wenig kümmert.

SPIEGEL: Für Verzögerungen oder Ausfälle sind zumeist Händler oder Lieferanten verantwortlich. Was können die großen Plattformen dafür?

»Fast 60 Prozent der Kunden haben Waren schon mal zu spät geliefert bekommen.«

Müller: Es ist Verbrauchern nicht zuzumuten, sich mit irgendwelchen Kleinunternehmen auseinanderzusetzen, die womöglich noch in Asien oder Lateinamerika sitzen. Hier müssen die großen Onlinemarktplätze in die Verantwortung genommen werden.

SPIEGEL: Die Kommission sieht vor, dass Google oder Amazon die Identität ihrer Händler künftig überprüfen müssen.

Müller: Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Wir fordern zudem, dass die Plattformen weitere Sorgfaltspflichten einhalten und dann auch dafür geradezustehen haben, wenn sie verletzt werden.

SPIEGEL: Der Entwurf sieht einige zusätzliche Auflagen vor, wenn die Plattformen milliardenschwere Umsätze machen und Millionen von Verbrauchern haben. Ist das der richtige Ansatz?

Müller: Nein, es darf nicht nur um Google und Amazon gehen. Laut Entwurf sollen nur große Plattformen bestimmte Anforderungen an Empfehlungssysteme wie zum Beispiel Rankings erfüllen müssen. Diese werden aber auch auf kleinen Plattformen eingesetzt und können das Verhalten von Verbrauchern beeinflussen. Am liebsten wäre es uns, wenn die Regeln für alle Plattformen, egal wie groß sie sind, gelten würden. Sonst könnte sich manche Plattform künstlich kleinrechnen, um unter die Grenzen zu rutschen. Damit wäre niemandem gedient.

SPIEGEL: Wie kommt es, dass die EU den Verbraucherschutz vernachlässigt hat?

Müller: Die politische Diskussion der letzten Monate hat sich stark auf den Schutz vor Fake News und Hassbotschaften im Netz konzentriert. Dabei ist der Schutz von Verbraucherrechten möglicherweise etwas in den Hintergrund geraten. Jetzt setzen wir auf das EU-Parlament, damit bei den anstehenden Beratungen mit Kommission und Mitgliedstaaten die Alltagsprobleme auf Onlinemarktplätzen stärker in den Blick genommen werden. In früheren Fällen hat das gut funktioniert.

SPIEGEL: Manche Ökonomen halten die neuen EU-Pläne für Stückwerk und fordern, dass Konzerne wie Google oder Facebook zerschlagen werden. Was halten Sie davon?

Müller: Diese Vorschläge überzeugen mich nicht. Vielleicht ist es gut, eine solche Drohung in der Hinterhand zu haben. Aber bis wir einen der großen Internetkonzerne entflochten haben, würden Jahre vergehen. Das hilft den Verbrauchern nicht. Wir benötigen schnellere Lösungen.  

  

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