Dubiose Heilmethoden Wie man mit Elternangst Geschäfte macht

Labor von Vita 34 in Leipzig: Dauermarketing beim Frauenarzt und Schwangeren-Yoga
Foto: Waltraud Grubitzsch/ picture-alliance/ dpaBerlin - Wenn Paare erfahren, dass sie ein Kind bekommen, werden sie meist ziemlich blauäugig. Sobald der Schwangerschaftstest positiv ist, scheinen dem Geldausgeben keine Grenzen mehr gesetzt. Manch einer gibt mehr als 3000 Euro für die "Erstausstattung" aus, quasi widerstandslos liefern sich Bald-Eltern der grellbunten Wahnsinnswelt von Babyartikeln und Luxuskinderwagen aus. Ein neuer Riesenmarkt ist auf diese Weise entstanden.
Eine hoch spezialisierte Firma lernen sie dabei meist besonders früh kennen: Vita 34. Deren Prospekte liegen bei Gynäkologen aus, sie wirbt in praktisch allen Babymagazinen, ihre Vertreter lauern vor der Tür zum Schwangeren-Yoga.
Das Leipziger Unternehmen friert das Blut aus der Nabelschnur des Neugeborenen ein, weil dessen Stammzellen später bei Krankheiten helfen könnten. Der deutsche Marktführer verzeichnet rund 17 Millionen Euro Umsatz im Jahr und hat nach eigenen Angaben knapp 80.000 Proben eingelagert. In seinen Broschüren ist von "einzigartigen Möglichkeiten" die Rede, davon, dass Stammzellen schon bei Krebs- und Bluterkrankungen eingesetzt würden.
Was nicht gesagt wird: Noch immer ist das Nabelschnur-Business höchst umstritten. Mediziner und Wissenschaftler sind extrem zurückhaltend, wenn es um die tatsächlichen Vorteile des Nabelschnurblutes geht. "Die Erfolgsaussichten sind ungewiss", urteilte die Stiftung Warentest. Und die Ethikgruppe der Europäischen Union (EGE) schrieb, die kommerziellen Nabelschnurblutbanken "bieten einen Service an, der zurzeit keinen echten Nutzen (...) hat."
Streit innerhalb der Branche über Werbepraktiken
Das aber stört Vita 34 nicht - im Gegenteil: In ihren Anzeigen erweckt die Firma auch schon mal den Eindruck, dass es gute Heilungschancen beim Einsatz nabelschnurblutgestützter Therapien gebe. So suggerierte das Unternehmen in einer Anzeige, Leukämie sei behandelbar ("Mädchen geheilt") - und erweckte damit selbst in der Branche großen Unmut. Nun widersprach etwa das Rostocker Unternehmen Seracell seinem Konkurrenten öffentlich und verlangte seriöse Kommunikation statt überzogener Versprechen. "Was wir tun, ist für die regenerative Medizin interessant, Ergebnisse werden sich in zehn oder zwanzig Jahren zeigen", sagte Seracell-Sprecherin Susanne Mildner. Deswegen könne man bei ihrem Anbieter die Einlagerung jederzeit kündigen - anderswo kaufe man gleich 20 oder 30 Jahre für eine große Summe.
Ärger bekam Vita 34 auch mit dem Oberlandesgericht Dresden. Das verbot dem Unternehmen im Sommer, weiterhin fälschlich den Eindruck zu erwecken, das eigene Nabelschnurblut könne Krankheiten heilen.
Vielleicht ist das der Grund, warum sich die Firma jetzt anscheinend auf andere, allerdings ebenso unseriöse Werbeformen verlegt hat. Denn nach Recherchen von SPIEGEL ONLINE betreibt Vita 34 inzwischen zum Beispiel die Web-Seiten nabelschnurblut.de, nabelschnurblut-experten.de oder nabelschnurblut-4you.de. Die erwecken den Anschein, objektiv, unabhängig und seriös zum Thema zu informieren - führen dann aber zu der Firma. Und nur bei der ersten, bei nabelschnurblut.de, steht Vita 34 im Impressum. Auf den anderen Seiten ist an keiner Stelle ersichtlich, dass es sich offenbar um einen kommerziellen Betreiber handelt.
Diana aus Leipzig, Claudia aus Hamburg
Diese Seiten werden laut dem jeweiligen Impressum von Privatpersonen in verschiedenen Städten geführt. Auf Anfrage melden sich zwei der Betreiberinnen zurück, eine Diana aus Leipzig, die im Impressum von nabelschnurblut-4you.de steht, und eine Claudia aus Hamburg, die für nabelschnurblut-experten.de verantwortlich zeichnet. Der erweiterte Header beider Nachrichten zeigt aber, dass die E-Mails in Wirklichkeit von einem E-Mail-Account "Vita34Pueschel" empfangen und beantwortet wurden. Eine Dame namens Katja Püschel war bis vor Kurzem für die Pressearbeit von Vita 34 tätig.
Doch damit nicht genug: Die angebliche Claudia hat eine Handynummer mitgeschickt. Ruft man dort an, meldet sich aber "Katja Schulz" - wie die mittlerweile ehemalige Pressefrau von Vita 34 nach ihrer Heirat inzwischen heißt. Allerdings bestreitet die Frau Schulz am Telefon, etwas mit Vita 34 zu tun zu haben. Die Pressestelle von Vita 34 wollte sich bislang weder zur Person Katja Schulz äußern, noch zu der Frage, ob und warum Unternehmensinformationen auf angeblich unabhängigen Websites verbreitet werden.
Der Bund Deutscher Hebammen spricht von "Geschäftemacherei" und verweist auf eine aktuelle Studie der schwedischen Universität Umeå: Das verfrühte Abnabeln - das für die Entnahme von Nabelschnurblut vorausgesetzt ist - erhöhe die Gefahr von Eisenmangel in den ersten Lebensmonaten.
"Einschließlich der Plazenta gehört alles dem Kind", sagt Erika Nehlsen, die Leiterin des Ausbildungszentrums für Laktation und Stillen. "Bei dieser Einlagerung aber werden dem Kind oft 200 Milliliter Blut vorenthalten, die noch in den Körper übergegangen wären. Da wird schlicht ein Geschäft gemacht mit der Angst der Eltern."