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Earthships: Wohnen, ohne zu zahlen

Foto: Annika Leister

Ökologie Haus aus Müll

In Baden-Württemberg entsteht das erste Haus aus Müll. Es braucht grundsätzlich weder Heizung noch Strom - oder Wasseranschluss. Nur die deutschen Bauvorschriften stören.

Noch hämmert ein junges Pärchen zu Elektromusik am Küchenboden, im Bad wird die letzte Schicht Lehm aufgetragen. Bis Februar soll es bezugsfertig sein: das erste Earthship (zu Deutsch: Erdschiff) in Deutschland. Zum großen Teil erbaut aus Müll, wird das Haus auf 150 Quadratmetern Duschen, Toiletten, Küche und Wohnzimmer für 25 Bewohner bieten - ohne dass je eine Nebenkostenabrechnung ins Haus flattern soll.

Das Gebäude ist autark. Zumindest so autark, wie es die deutschen Regeln erlauben. Die Gemeinschaft Tempelhof hat den Bau geplant , auf einer Wiese gleich neben ihrer Siedlung, rund eineinhalb Stunden von Nürnberg entfernt.

Mehr als tausend alte Autoreifen bilden die Wände und zugleich den thermischen Speicher des Earthships. Zweierteams haben sie bearbeitet: Das Erste füllt Erde in den Reifen, das Zweite klopft sie hinein. So entstehen mehrere Zentner schwere Energiebatterien, die Wärme optimal speichern und sie bei Kälte an die Umgebung abgeben. Heizen? Überflüssig. Eine Solaranlage auf dem Dach liefert außerdem den Strom für die Anlage.

Am Baustoff wird es nie mangeln

Mit Bierdosen in der Wüste New Mexicos fängt vor 45 Jahren alles an. Michael Reynolds, gerade fertig mit dem Architekturstudium, baut aus ihnen 1971 ein Haus. Der Umwelt zuliebe, aber auch aus Pragmatismus: Dosen sind bereits leichter und billiger zu haben als Holz, Beton oder Stein. Seither versteht Reynolds Abfall als natürliche Ressource, an der es, egal auf welchem Erdteil, nie mangelt.

Er entwickelt den Dosenbau weiter zum Selbstversorgerhaus und wird zum Pionier, zur Vaterfigur einer neuen Bewegung. Inzwischen gibt es weltweit 1000 seiner Erdschiffe. Als Nächstes schwebt Reynolds eine ganze Stadt für Flüchtlinge vor.

Obwohl längst im Rentenalter, wacht der markige Architekt auch heute über seine Erfindung. Sein Unternehmen Earthship Biotecture verkauft die Baupläne zu den verschiedenen Modellen für 1000 bis 8000 Dollar. Eine App mit Plänen für das kleinste Modell ist laut Reynolds gerade in Planung - erstmals für 9,99 Dollar.

Außerdem unterstützt das Unternehmen Bauherren auf der ganzen Welt, wenn gewünscht. Ruft es zu Schaufel und Hammer, strömen junge Helfer aus allen Teilen der Welt herbei. Ihr einziger Lohn ist das Wissen um den ökologisch perfektionierten Häusle-Bau. Wer Talent hat, kann danach in wenigen Wochen selbst ein Heim hochziehen. "Earthship-Army" nennt Reynolds die Freiwilligen - Soldaten, die mit Schaufeln und Wissen die Welt verändern.

Gegen und mit der deutschen Bürokratie

Auch die Gemeinschaft Tempelhof hat Reynolds als Architekten beauftragt. Fünf hauptberufliche Earthship-Bauer und mehr als 50 Freiwillige aus 17 Ländern haben auf der Baustelle angepackt. Die größten Herausforderungen aber seien Vorplanung und Übersetzung der Skizzen gewesen, sagt Projektleiter Roman Huber. Denn was in der Wüste von New Mexico funktioniert, klappt nicht zwangsweise in Hohenlohe in Baden-Württemberg - oder ist gar nicht erst erlaubt.

"Reifen zum Beispiel sind in Deutschland kein anerkannter Baustoff", sagt Huber. Die Baugruppe musste von einem Statiker ein Dutzende Seiten starkes Gutachten anfertigen lassen. Der habe den Bau jüngst heimlich besichtigt und sein Einverständnis gegeben, erzählt Huber: Der Reifenbau sei stabil.

Doppelte Schwierigkeiten bereitete der deutschen Bürokratie das ausgeklügelte Wassersystem der Earthships, das jeden Tropfen viermal nutzt: Regenwasser wird auf dem Dach gesammelt, gefiltert und in Waschbecken und Duschen des Hauses geleitet. Danach wässert es die Pflanzen und fließt von dort in die Toiletten. Das sogenannte Schwarzwasser von dort wird zum Schluss in einer Pflanzenkläranlage als Biodünger verwertet. Ein Wasseranschluss ist so eigentlich nicht nötig.

In Deutschland aber muss Schwarzwasser abgeführt werden, so nützlich es im Garten auch sein könnte. Auch Regen- als Trinkwasser zu verwenden, verbietet das Gesetz. "Eigentlich absurd", sagt Huber. "Als verbiete dir jemand, den Mund aufzumachen, wenn es regnet."

Also gibt es im Tempelhofer Earthship nun doch Anschlüsse für Frisch- und für Abwasser. Das Regenwasser wird gesammelt, gefiltert und für Toiletten und die Waschmaschine genutzt.

Bei anderen Modifikationen aber seien die Behörden erstaunlich progressiv gewesen. Im Gegensatz zu Reynolds' Einfamilienhäusern soll das Earthship in Baden-Württemberg als reine Versorgungseinheit dienen. Die 25 Bewohner schlafen in Bauwagen und Jurten im Kreis drumherum. Auch das ist in Deutschland eigentlich nicht erlaubt, die mobilen Wohneinheiten müssten regelmäßig bewegt werden. Doch die Baugenehmigung versteht das Earthship plus die 14 Wagen und Jurten als ein einziges Gebäude - weil seine Bestandteile durch eine Heizleitung verbunden sind.

Insgesamt wird der Bau in Süddeutschland rund 300.000 Euro kosten. Für Earthship-Verhältnisse ist das recht viel. Beim nächsten Mal soll es anders laufen: Die Tempelhof-Gemeinschaft will ihre Berechnungen, Bauphysikauswertungen und Materialdiskussionen frei zur Verfügung stellen. Ein Großteil der kostenaufwendigen Übersetzungsarbeit könnte so gespart werden. "Wir waren nur die Vorreiter", sagt Roman Huber. "Ich freue mich, wenn das nächste Earthship besser als unseres wird."

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