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Fotostrecke: Ökostrom für Mieter

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Geplante EU-Richtlinie So hat die Energiewende noch eine Zukunft

Gekappte Industrierabatte, strenge Regeln zur Förderung von Ökostrom: Die EU-Kommission will in die deutsche Energiewende hineinregieren. Die Branche ist entsetzt. Doch kreative Firmen entwerfen schon Produkte, mit denen sich erneuerbare Energien auch ohne Förderung lohnen - selbst für Mieter.

Hamburg - Ein Solarmodul und ein silberner Rollkoffer mit einigen Kabeln und bei Bedarf einer Batterie: Geht es nach Toralf Nitsch, dann sieht so die Zukunft der deutschen Energieversorgung aus. Die kleinen Anlagen seiner Firma Sun Invention kosten nur ein paar hundert Euro und lassen sich überall aufstellen, auch auf dem Balkon einer Mietswohnung. Man klinkt sie über eine ganz normale Steckdose ins Stromnetz ein, und schon versorgt man sich mit Sonnenenergie ein Stück weit selbst. Die Stromrechnung sinkt entsprechend.

Die Firma Lichtblick geht einen ähnlichen Weg. Kürzlich hat sie in Berlin eine gewaltige Solaranlage eingeweiht. Sie erstreckt sich über 50 Mietshäuser mit rund 3000 Wohnungen. Die Anlage speist Strom ins Netz ein, doch für die Mieter erfüllt sie noch eine weitere Funktion: Wer will, kann den Strom dieser Anlagen mitnutzen und bekommt auf den herkömmlichen Tarif zwei Cent Rabatt. Wohnungsbaugesellschaften und Immobilienbesitzer können so gleichzeitig die Renditen der Anlagen einstreichen und die Attraktivität ihrer Wohnungen erhöhen.

Beide Modelle markieren eine Zäsur: Bislang konnten nur Eigenheimbesitzer ihren eigenen Strom produzieren, plötzlich kann es fast jeder. Für Verbraucher ist das eine Spar-Chance, für Geschäftsleute ein lukrativer Zukunftsmarkt. Für manche Experten ist es gar die nächste Stufe der Energiewende. Die Idee: Selbst wenn die Förderung für erneuerbare Energien sinkt, ist der selbst produzierte Ökostrom noch immer billiger als der aus der Steckdose. Man muss ihn nur selbst verbrauchen.

Manche denken, dass die Energiewende so auch ganz ohne milliardenteure Zuschüsse eine Zukunft hat. "Eigenverbrauch kann die Förderung von Ökostrom ablösen", sagt Lichtblick-Chef Heiko von Tschischwitz. Vor allem im Solarsektor sei die Förderung bald "überflüssig", sagt Klaus-Dieter Maubach, Ex-Vorstand bei E.on.

Das ist ganz im Sinne von EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia. Der macht sich in Deutschland gerade unbeliebt mit einem Verfahren gegen Stromrabatte für energieintensive Unternehmen und einem Leitlinienentwurf  , der die in Deutschland praktizierte Ökostrom-Förderung grundlegend in Frage stellt. Fixe Vergütungssätze für erneuerbare Energien will er abschaffen. Wer eine Wasser-, Wind-, Biogas- oder Solaranlage baut, soll künftig nicht mehr jede produzierte Kilowattstunde Strom zum Fixpreis abgekauft bekommen. Stattdessen sollen Betreiber ihren Strom zum Marktpreis verkaufen und einen Bonus kassieren. Um diesen möglichst klein zu halten, sollen Bauprojekte für Ökostromanlagen an den günstigsten Anbieter versteigert werden.

Bislang hat dieses System noch nie funktioniert, alle entsprechenden Versuche in Europa sind gescheitert. Die Erneuerbaren-Energien-Branche ist entsprechend geschockt, dass Almunia das durchsetzen will. Manche fürchten, dass der Markt für Ökostromanlagen bald zusammenbricht, auch wenn das öffentlich niemand so klar sagen will. Doch es gibt auch andere Stimmen. "Je früher die Förderung wegfällt, desto besser", sagt Sun-Invention-Chef Nitsch. "Desto schneller werden sich Eigenverbrauchslösungen etablieren." Die Plug-in-Module seien erst der Anfang. "Wir haben noch ganz andere Dinge vor."

Stromzähler, die rückwärts laufen

Wenn bald jeder zumindest etwas Strom selbst erzeugt, werde Elektrizität zum Gratis-Produkt sagt Nitsch. Unternehmen würden mit der Erzeugung von Elektrizität dann kein Geld mehr verdienen, dafür aber mit der sekundenschnellen Verwaltung von Millionen dezentralen Erzeugern und Verbrauchern.

So weit die Vision. Damit sie einst wahr werden kann, müssen aber mindestens drei große Fragen geklärt werden. Die erste ist technischer Natur. Denn dezentrale Anlagen stellen die Stromversorgung vor ganz neue Probleme. Plug-in-Module etwa "sind zweifelsohne innovativ", sagt Jan Suckow vom Verband der Elektrotechnik. Nur seien die Sicherungen in den Häusern nicht dafür ausgelegt. "Die Direkt-Einspeisung über Steckdosen kann zu Überlastungen der Stromkreise und im Extremfall zu Bränden führen." Nitsch hält das für unmöglich. "Jeder Staubsauger belastet die Leitungen stärker", sagt er. Viele Techniker stimmen ihm zu. Doch der endgültige Sicherheitsbeweis steht noch aus.

Hinzu kommt: Eigenverbrauch ist nicht nur für die Stromkreise von Gebäuden eine neue Belastung. Denn auch die Hersteller größerer Solar-Dachanlagen setzen zusehends auf Eigenverbrauch. Durch den Ausbauboom schwankt die Spannung und Frequenz in den Stromleitungen immer mehr. "Erneuerbare Energien müssen die Netze künftig stärker stützen", sagt Suckow. "Wenn jeder einfach drauflosbaut, wird die Wahrscheinlichkeit von Stromausfällen immer größer."

Die nächste Gerechtigkeitsfrage

Die zweite Frage lautet: Wie gesellschaftsverträglich ist der Eigenverbrauch von Strom? Einerseits spart er Kosten: Ökostrom, der die eigenen Haushaltsgeräte versorgt, muss nicht mehr per EEG-Umlage gefördert werden, das entlastet die Verbraucher. Zudem schaffen Lösungen wie die Plug-in-Module oder Lichtblicks ZuhauseStrom etwas Gerechtigkeit. Zwar haben es Eigenheimbesitzer noch immer einfacher, ihren Verbrauch zu drücken; aber Mieter haben nun zumindest dieselbe Chance.

Für ein anderes gesellschaftliches Allgemeingut hingegen ist der Trend dagegen schlecht: Durch den steigenden Eigenverbrauch beteiligen sich immer weniger Verbraucher an Ausbau und Pflege der Netze. Bisher werden diese über entsprechende Abgaben auf jede Kilowattstunde verbrauchten Strom finanziert. Laut Koalitionsvertrag will die Regierung dezentrale Stromproduzenten künftig stärker in die Pflicht nehmen. Zunächst dürfte das nur für Industriekonzerne gelten, die ebenfalls immer öfter ihren eigenen Strom produzieren. Künftig aber könnte es auch Betreiber kleiner Anlagen treffen. Die Frage ist, ob sich ihr Bau dann noch rechnet.

Die dritte Frage lautet: Können sich Eigenstrom-Produkte durchsetzen? Sun Invention hat bislang gut 3500 Plug-in-Module verkauft, Lichtblick hat bislang nur wenige Folgeaufträge für seine mieterfreundliche Solaranlage in Berlin. Und so zeigen solche Produkte zwar einen Weg auf, wie erneuerbare Energien einst wettbewerbsfähig werden können. Noch aber ist unklar, wie schnell sich solche Lösungen am Markt etablieren.

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