Fragwürdige Beratung Unterschreiben Sie hier, um auf Ihre Rechte zu verzichten

MLP-Zentrale in Wiesloch
Foto: Ronald Wittek/ picture-alliance/ dpaAkademiker haben es den Vertretern des Finanzvermittlers MLP offensichtlich angetan. Die Berater sind zu Dauergästen an Hochschulen geworden: Sie locken die jungen Leute mit kostenlosen Seminaren, spendieren Currywurst und bieten Gewinnspiele an - immer mit dem Ziel, möglichst viele Versicherungen zu verkaufen. An der Technischen Universität Darmstadt hatten sie wegen ihrer aufdringlichen Werbemethoden zwischenzeitlich sogar Hausverbot.
Ein kleiner Sieg für Stephan Voeth, der sich für den Werbebann starkgemacht hatte. Er selbst hatte sich einmal testweise von einem MLP-Vertreter beraten lassen und dabei Denkwürdiges erlebt. Der Vermittler empfahl dem Studenten eine Berufsunfähigkeits- und eine Rentenversicherung - und legte Voeth sogleich ein Formular vor: Er solle darauf verzichten, dass die Beratung protokolliert wird. "Der Berater sagte, dass das für einen schnellen Abschluss nötig sei", berichtet Voeth.
Seit einigen Jahren sind die Finanzvertreter verpflichtet, das Beratungsgespräch zu protokollieren: Welche Produkte wurden besprochen? Wurden Risiken thematisiert? Das Protokoll soll es Kunden erleichtern, später gerichtlich gegen eine Falschberatung bei Finanzprodukten vorzugehen. Denn fühlen sie sich über den Tisch gezogen, müssen sie den Beweis erbringen. Was der Student Voeth erlebt hat, ist ein Beispiel dafür, wie manche Versicherer tricksen. Aber ist es auch illegal? Und wie können sich Kunden wehren?
Bei Geldanlagen wie Aktien oder Fonds ist die Dokumentation etwa in jedem Fall vorgeschrieben, bei Versicherungen darf hingegen auch mal verzichtet werden. "Einen vernünftigen Grund gibt es dafür nicht", sagt Dorothea Mohn, Finanzexpertin beim Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV). "Die Versicherungslobby hat es einfach geschafft, niedrigere Standards durchzusetzen." Und das machen sich die Vertreter zunutze, nicht nur bei MLP.
Eine Umfrage des Bundesverbandes Finanzdienstleistungen kam 2012 zu dem Ergebnis, dass fast zwölf Prozent der befragten Vermittler immer auf das Protokoll verzichten (pdf ). Fast sechs Prozent gaben an, in der überwiegenden Zahl ihrer Kundengespräche keine Dokumentation anzufertigen. Andere Untersuchungen aus der Branche kommen allerdings zu niedrigeren Werten.
Ein MLP-Sprecher sagt auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE, dass nur im Ausnahmefall auf das Protokoll verzichtet würde - und nur auf ausdrücklichen Wunsch des Kunden hin. Von sich aus sollen die Berater den Verzicht nicht ins Gespräch bringen. "Das ist eine völlig absurde Argumentation", meint Verbraucherschützerin Mohn. "Welches Interesse sollte ein Kunden daran haben, sich seiner eigenen Rechte zu berauben?"

Kein Protokoll - oder ein schlechtes
Die Branche scheint es mit dem Protokoll ohnehin nicht sonderlich genau zu nehmen. Vor zwei Jahren hatte das Verbraucherschutzministerium die Praxis evaluieren lassen und ließ dafür unter anderem 119 Testkunden zu Finanzberatern gehen (pdf ). Das Ergebnis: Das gesetzlich vorgesehene Protokoll erhielten nur 29 der Testkunden. Zwei Kunden wurde der Verzicht angeboten, den meisten wurde dagegen das Protokoll ohne jeden Kommentar vorenthalten. Am häufigsten fehlte es bei Versicherungen.
Selbst wenn die Testkunden Beratungsprotokolle mit nach Hause nahmen, taugten diese kaum etwas. "Keine einzige Dokumentation gibt den Ablauf des Testgesprächs vollständig, richtig, verständlich und übersichtlich wieder", monieren die Autoren der Untersuchung. "Eine bedeutende Anzahl der Berater erfüllt die Dokumentationspflicht nicht wie gesetzlich gefordert."
Es ist also fraglich, ob das Protokoll einem Kunden wirklich dabei hilft, gegen überteuerte und unnötige Versicherungen zu klagen. Verbraucherschützerin Mohn hält die Mitschriften daher nicht zwangsläufig für einen Segen: "Natürlich sind die Berater geschult darin, dass sie keine Falschberatung dokumentieren."
Noch bedenklicher: Mitunter lassen die Vermittler Kunden die vernebelten Beratungsdokumentationen sogar noch unterschreiben - obwohl dies gesetzlich gar nicht vorgesehen ist. In der Evaluation des Verbraucherministeriums sollten 13 der 29 Testkunden mit angefertigtem Protokoll ihre Unterschrift unter das eher dürftige Dokument setzen.
Expertin Mohn fürchtet, dass eine Vorkehrung zum Schutz der Verbraucher sich so in etwas verkehrt, das ihnen sogar schadet. Ist das Protokoll erst einmal unterzeichnet, könnte es schwer werden, vor Gericht seine Richtigkeit anzuzweifeln.
Was also können Verbraucher machen? Was sind ihre Rechte? Ein kleiner Leitfaden:
Nicht unterschreiben, aber auch nicht verzichten
"Kunden sollten das Protokoll auf keinen Fall unterschreiben, aber auch nicht darauf verzichten", empfiehlt Mohn. Und vor allem: Aus der Beratungsdokumentation sollte klar hervorgehen, aus welchen Gründen man sich für das jeweilige Produkt entschieden hat.
Noch lieber wäre es Verbraucherschützern, wenn man die Gesetze verschärfen würde, statt sich mit Protokollen zu behelfen: Vor Gericht sollten nicht mehr die Kunden nachweisen, dass sie falsch beraten wurden - sondern die Versicherungen, dass sie auch wirklich alles richtig gemacht haben.
Wo sind Beratungsprotokolle vorgeschrieben?
Seit 2007 müssen Versicherungsvertreter Privatkunden ein Beratungsprotokoll aushändigen. Seit 2010 gibt es eine Protokollpflicht auch beim Wertpapierkauf, also bei Aktien, Zertifikaten oder Fonds. Seit 2013 fallen auch Finanzanlagevermittler unter die Protokollpflicht.
Wenn das Protokoll fehlt, obwohl es hätte ausgefertigt werden müssen, kann dies die Verhandlungsposition falsch beratender Verbraucher stärken.
Geht es um eine Beratung vor 2010 (vor der Protokollierungspflicht) muss geprüft werden, ob die Falschberatung anders bewiesen werden kann. Gibt es andere Mitschriften? Gibt es einen Zeugen? "Leider liegt die Beweislast für die Falschberatung beim Kunden", sagt Verbraucherschützerin Mohn.
Wie unterscheiden sich die Regeln für Banken und Versicherungen?
Bei Wertpapieren und Geldanlagen ist das Protokoll Pflicht, eine Verzichtsmöglichkeit ist ausdrücklich nicht vorgesehen. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) kontrolliert, ob die Banken die Protokollpflicht einhalten. Auch der Inhalt der Beratungsdokumentation ist vergleichsweise detailliert im Gesetz vorgegeben.
Bei Versicherungen sind die Regeln dagegen lockerer: Ihre Dokumentationspflichten werden nicht von der BaFin kontrolliert. Ein Kunde kann auf das Beratungsprotokoll verzichten. Allerdings bedarf es dafür einer schriftlichen Erklärung mit dem Hinweis, dass sich der Kunde über die Konsequenzen im Klaren ist. Anders als bei Wertpapieren macht das Gesetz bei Versicherungen kaum konkrete Vorgaben, was festgehalten werden muss.
Was sollte in einem Protokoll stehen?
Die Stiftung Warentest hat aufgeführt, was in einem Protokoll zur Anlageberatung vermerkt sein sollte , eine entsprechende Checkliste gibt es auch bei der Verbraucherzentrale . Sowohl bei Geldanlagen als auch bei Versicherungen sollten Kunden stets darauf achten, dass die wichtigsten Punkte vermerkt sind. Das sind:
- die Beratungsumstände (der Name des Kunden, des Beraters, Zeitpunkt und Dauer der Beratung usw.),
- der Beratungsanlass und die Wünsche des Kunden,
- die finanzielle Situation des Kunden (Einkommen, Schulden, Vermögen, Risikobereitschaft),
- der Inhalt der Beratung,
- die Empfehlung für ein Produkt und die Begründung.